Essen. . Die jüngste Erdbeben-Serie in Nord-Italien rückt auch das Erdbebenrisiko in unseren Breiten in den Blick. In Teilen des Landes sind sogar Beben möglich, die stärker als die jüngsten in Italien sind. Für Bauwerke gilt deshalb sogar eine eigene Din-Norm für Erdbebensicherheit - aber nur in bestimmten Regionen.
Als er die Bilder der Verwüstung nach den jüngsten Erdbeben in Italien sah, war das für Ralf Grzelka aus Erkelenz "so ein 'Hallo wach'-Moment". Der 47-Jährige sei sich plötzlich wieder bewusst geworden, "dass auch wir in einer Erdbebenzone" leben. Und Grzelka, Löschgruppenführer der Freiwilligen Feuerwehr in Erkelenz-Gerderath, spürte, wie er vor gut 20 Jahren, im April 1992, nachts plötzlich aus dem Bett schreckte, weil das Bett wackelte und die Schränke in der Wohnung. Lampen schaukelten an der Decke wie auf See und aus dem Boden kam ein beunruhigendes Grollen.
Mit einer Stärke von 5,9 war das "Erdbeben bei Roermond" damals so kräftig, wie das jüngste Nachbeben der Serie um die italienische Stadt Modena. 150 Millionen D-Mark Sachschaden wurden damals auf deutscher Seite beziffert, in Köln stürzte eine Kreuzblume von einer der Dom-Spitzen, im Kreis Heinsberg wurden mehr als 150 Häuser beschädigt, einige so schwer, dass sie abgerissen werden mussten. Schwerwiegend Verletzte, gar Tote wie in Italien, wurden nicht gemeldet.
Zehn Jahre später, am 22. Juli 2002, folgte in NRW erneut ein kräftiges Beben. Beim Städtchen Alsdorf im Kreis Aachen sorgten Gesteinsbewegungen 16 Kilometer tief unter den Füßen der Menschen in der Region bis Köln und Bonn hin für Angst. An einen Feuerwehreinsatz kann sich Grzelka allerdings nicht erinnern: "Da waren bei den meisten höchstens ein paar Risse in der Wand oder Fliesen gebrochen".
Das Tsunami-Beben in Japan brachte sogar den Kölner Dom in Schwingung
Doch ein Szenario wie in Nord-Italien ist auch in NRW denkbar - sogar mit stärkeren Kräften: "Erdbeben bis zu einer Stärke von 7 sind im Rheinland möglich", erklärt Professor Klaus Hinzen, Leiter der Erdbebenstation Bensberg in Bergisch-Gladbach. Dabei registrieren die Messgeräte in Bensberg auch fernste Vorkommnisse: Als vor einem Jahr im 9000 Kilometer entfernten Fukushima das Tsunami-Beben für einen Atom-Gau sorgte, hat man das Erdgeschehen auch in NRW gespürt. Selbst der Kölner Dom hatte sich damals leicht mitbewegt.
In der zur Universität Köln gehörenden Einrichtung verfolgen Experten seit mehr als 60 Jahren das seismologische Geschehen unterhalb von NRW. Eine Erdbeben-Serie, wie jetzt in Italien, gab es vor gut 250 Jahren auch in hiesigen Breiten; erdgeschichtlich ist der Zeitraum ein Wimpernschlag. In den Jahren 1755 und 1756 hatte im Rheinland immer wieder die Erde gebebt und die Menschen, wie man vermuten darf, erschreckt; das Epizentrum lokalisieren Geologen auf den Raum Düren.
Für NRW-Erdbebenzonen gibt es sogar eine spezielle Din-Norm für Gebäude
"Etwa zwei bis drei Beben pro Jahr sind bei uns so stark, dass sie gespürt werden", sagt Klaus Hinzen. Erst vor wenigen Tagen schlugen die Seismografen in Bensberg wieder wegen eines regionalen Geschehens aus. Das Epizentrum lag bei Plaidt in der Nähe von Andernach; mit einer Stärke von 1,2 war das Beben allerdings kaum zu spüren. Ganz anders das Beben von Goch am Niederrhein im September 2011: es erreichte die Stärke 3,7 und ließ auch noch 50 Kilometer weiter weg Menschen aufschrecken.
Die Energie von Erdbeben steigt mit jedem vollen Wert auf der Mess-Skala um etwa das 30-fache; das Fukushima-Beben 2011 mit der Stärke 9 wäre demnach etwa 30.000 mal kräftiger als ein Beben der Stärke 6, wie es Experten jederzeit im Rheinland für möglich halten. Gleichwohl ist die Gefahr schwerer Erdbeben sogar Teil hiesiger Bau-Vorschriften, erklärt eine Sprecherin im NRW-Bauministerium. Konkret geht es um die Din-Norm 4149, die das "Bauen in deutschen Erdbeben-Gebieten" regelt und vorschreibt, wonach sich Architekten oder Bauingenieure richten müssen, je nach Region bzw. "Erdbebenzone". Die konzentrieren sich im Wesentlichen links der Rheinschiene. Der Geologische Dienst NRW bietet dazu eine spezielle Karte an.
Sand und Kies dämpfen Beben im Rheinland
Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Natur in NRW den Boden übermäßig kräftig wackeln lässt, ist nicht vorhersagbar. Man kann bis dato nur sagen, dass sich hierzulande bereits Beben ereignet haben, die denen wie zuletzt in Nord-Italien entsprechen - "zuletzt vor 1000 bis 2000 Jahren", erklärt Klaus Hinzen.
Einen direkten Zusammenhang mit dem Erdgeschehen in Italien sehen Experten dagegen nicht, erklärt Ludger Krahn vom Geologischen Dienst NRW in Krefeld. In Italien entstehen die Beben in den oberen zehn Kilometern unter der Erdoberfläche. "Die Adriatische Platte schiebt sich unter die Eurasische Scholle", erklärt Krahn. "Je näher an der Oberfläche das passiert, desto stärker sind die Beben", sagt Krahn.
In der niederrheinischen Bucht liegen tektonische Beben tiefer, wirken sich demnach an der Erdoberfläche schwächer aus, und haben andere Ursachen: "Die Erde zerbricht, tief im Untergrund sind mächtige Gräben". Teile der Erde bewegen sich etwas nach Nord-Westen, andere Richtung Süd-Westen". Ohnehin sei der Niederrhein geologisch gegen größere Beben geschützt, sagt Krahn: "In vielen Bereichen liegen Kilometerdicke Schichten Sand, Kies oder Braunkohle über dem Festgestein. Das federt Bewegungen darunter ab".
Für den Erkelenzer Feuerwehrmann Ralf Grzelka ist das Thema Erdbeben dennoch akut - und das nicht nur an seinem Heimatort. Auf der griechischen Insel Karpathos baut Grzelka derzeit ein Rettungs-System auf, nach Vorbild in Deutschland. "Vergangenes Jahr haben wir die Notfallnummer 112 auf der Insel eingeführt", berichtet der 47-Jährige, der für das Hilfsprojekt auch den Verein "Karpathoshilfe" ins Leben gerufen hat. Seit 16 Jahren verbringt Grzelka seine Urlaube auf Karpathos. "Ich habe dort in der Zeit schon vier Erdbeben mitgemacht - deutlich heftigere als zuhause." Vor Kurzem erst war Grzelka mit Feuerwehr-Kollegen auf der Insel und hat 65 Freiwillige über zwei Wochen lang als Feuerwehr- und Rettungskräfte geschult. Die Insel "ist etwa halb so groß wie der Kreis Heinsberg", beschreibt Grzelka. Mit Erdbeben, "müssen die Menschen dort täglich rechnen". Grzelka will helfen, dass Sie im Fall des Falles besser gerüstet sind.