Warendorf. . „Sport für Einsatzgeschädigte“: Die Bundeswehr bietet ein Pilotprojekt für verletzte deutsche Soldaten in Warendorf an. Es soll die Leistungsfähigkeit wieder herstellen, weitermachen, wo die Reha aufhört.

Als der Schuss durch seine Schulter schlug, war Tim Focken „in Gedanken längst zuhause“. Dreizehneinhalb Stunden dauerte das Gefecht da schon, Tim lag auf dem Dach eines Dorfes in Afghanistan, aber als Kaliber 7,62 kam wie ein Stromschlag, dachte er nur an die Kameraden, „die sich auf mich verlassen“. Er atmete tief durch, kein Lungenschuss! Und wusste: „Ich werde überleben.“

Tim, 25 Jahre, Veteran

Aber was ist das für ein Überleben: „Wie Quasimodo“ kam der Oberstabsgefreite Focken nun, eineinhalb Jahre danach, zum Lehrgang „Sport für Einsatzgeschädigte“ der Sportschule der Bundeswehr. Schief und krumm, der linke Arm schlaff, „der Schmerz“, sagt sein Mund, aber auch sein Blick, „ist mein täglicher Begleiter“. Tim Focken ist 25 Jahre alt und das, was man einen Veteranen nennt. „EinsGeschädigt“ heißen bei der Bundeswehr Leute wie er.

Am Gymnastikball trainiert diese Woche in Warendorf auch der Junge, dem eine Granate das rechte Auge nahm. Ein Kerl, dessen Tätowierungen tiefe Narben verbergen: Sie haben ihm die Lunge, die Leber, den Bauch zerschossen, „es ist ein Wunder, dass er hier ist“, sagt der Arzt. Und ein anderer mit halb verbranntem Gesicht; er hat das Karfreitags-Gefecht von Kundus überlebt, bei dem vor einem Jahr drei Kameraden fielen. Alles deutsche Soldaten, die Deutschland am Hindukusch verteidigen wollten.

Pilotprojekt in Warendorf

Die Bundeswehr zählt sie nicht, ihre Verwundeten, es heißt, es gibt keine Listen, aber sie kümmert sich endlich: Es ist ein Pilotprojekt, was sie da machen in Warendorf, weil es wieder deutsche Soldaten gibt, die kriegsverletzt sind. Denn „das ist wirklich Krieg da“, sagt Oberstarzt Andreas Lison, Leiter des Sportmedizinischen Instituts der Bundeswehr. Er will die Leistungsfähigkeit wieder herstellen, weitermachen, wo die Reha aufhört; er hat ihnen gezeigt, wie ihre Mobilitätskurve abfällt, wenn sie nichts für ihre geschundenen Körper tun: 20 Jahre eher als bei Gesunden.

Und er hat ihnen Leute besorgt, die ihre Sprache sprechen: „Arsch zusammenziehen, Männer, ich will keine Banane sehen“, kommandiert Hauptmann Michael Wieger, es herrscht Kasernenton in der Turnhalle, Tim Focken macht Liegestützen auf einem Arm. Was sollen solche Soldaten in einer gewöhnlichen Reha? 15 sind sie in diesem Lehrgang, es wird gelacht, geredet, man versteht sich. Sportwissenschaftler Wieger war selbst in Afghanistan, Oberst Bernd Grygiel, Kommandeur der Sportschule, erlebte „155 Anschläge, dreimal Glück gehabt“.

Narben unter den Turnleibchen

Es hat sie deshalb nicht überrascht, dass die Soldaten nicht nur Narben unter den Turnleibchen haben, sondern auch auf der Seele. „Hier sind Männer, die gesehen haben, wie Kameraden gefallen sind“, weiß Oberstarzt Lison. „Die Schmerz und Angst erlebt haben.“ Einer ist dabei, dessen Fleischwunden verheilt sind, und der sich doch manchmal gewünscht hätte, „dass ich körperlich geschädigt wäre“. Man sieht seine Verletzungen nicht, aber nun sieht er die derer, die schlimmer dran sind. So helfen sie einander, der gemeinsame Sport macht sie stärker.

Eine Sprengfalle hob seinen Wagen hoch

Bei vielen ist es ja lange her, dass sie verwundet wurden, sie wissen alle noch das Datum. „17.10.2010“ – „2.4.2011“ – „19.6.2010“. Bei Felix Rauer war es der 389. Tag in Afghanistan, als er „angesprengt“ wurde. Eine Sprengfalle hob seinen Wagen hoch, hart fiel er auf die Wüstenpiste, in Rauers Rücken brach ein Wirbel. „Ich bin um ein Haar dem Rollstuhl entgangen.“ Mit 24 musste der Soldat wieder laufen lernen, dieser Lehrgang, zwei Jahre nach dem Anschlag, ist „ein Traum“ für ihn.

Nach nicht einmal zwei Wochen Krafttraining, Physiotherapie, Aqua-Jogging kann Felix Rauer schmerzfrei laufen, kann Tim Focken wieder „den aufrechten Gang mit zwei Daumen nach oben“, kann Sergej Merker wieder „hüpfen und springen“. Der Oberhausener war am Hindukusch einen Hügel hinunter gerannt, in ein Loch getreten und hatte sich das Sprunggelenk zerrissen. Nicht im Kampf, es fühlte sich an wie eine Verletzung zweiter Klasse. Aber „einer mit Schuss ist hier nicht der Held“, sagt der Oberstarzt. „Auch der, der einen Unfall hatte, hat seine Gesundheit verloren.“

Sie waren Leistungssportler

Oder auch nur die Kraft, die Beine vom Boden zu heben. Männer, die Leistungssportler waren, bewegen sich nicht mehr, „und wo sie vor der Verwundung 98 Kilo reines Steak hatten, ist jetzt was anderes dran. Das belastet zusätzlich.“ Körper wie Seele. Deshalb verabredet die Sportschule Ziele. Sie schreibt sie in kleine Verträge: Fünf Kilo abnehmen. Drei Kilometer beschwerdefrei gehen. Mein Kind auf den Arm nehmen können.

Eine Sache allerdings wollen alle: zurück zur Truppe. Bloß nicht weg von den Kameraden, „zurück ins Zivile“. Es tut weh, sagt Tim Focken, „wenn man von der Draußen-Sau zum Büro-Hengst werden soll“. Deshalb bauen sie einem, der seinen Arm nicht mehr bewegen kann, eine besondere Schutzweste, damit er seinen Schießunterricht nicht im Jogginganzug geben muss. Und Daniel mit seinem zertrümmerten Fuß nach vier Jahren endlich eine Schiene, „sonst steht Amputation im Raum“. Der Körper, sagt „Doc“ Lison pragmatisch, „ist eine Anpassungsmaschine“. Soll heißen: Sie kriegen diese Jungs wieder hin. „Ich kann wieder lachen“, bestätigt Tim Focken. Deutschlands „EinsGeschädigte“ sind ja froh, wenn sie „wenigstens ein Stück vom alten Leben zurück bekommen“.