Washington. . Erschreckende Zahlen aus der US-Armee: Jede dritte Soldatin wird von Kollegen vergewaltigt. Verteidigungsminister Leon Panetta geht von 19.000 Fällen von sexuellen Übergriffen pro Jahr aus. Das sei „ein Schandfleck für die Ehre der großen Mehrheit der Truppe“.

Es geschieht nicht oft, dass der Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten von Amerika einen Dokumentar-Film kommentiert, bevor er in die Kinos kommt. „Der unsichtbare Krieg“, der am Freitag auf dem berühmten Sundance-Festival in Utah Premiere feiert und seit Tagen für Schlagzeilen sorgt, hat Leon Panetta jetzt zu einer ungewöhnlichen Vorwärtsverteidigung genötigt.

In dem Werk von Regisseur Kirby Dick geben vor allem ehemalige Soldatinnen in bisher beispielloser Offenheit einem Übel Gesicht und Stimme, das nach Ansicht von Experten von der Führung der mit 1,5 Millionen Männern und Frauen größten Armee der Welt seit Jahrzehnten hartnäckig totgeschwiegen wurde: Sexueller Missbrauch, von verbaler Belästigung bis hin zu fortgesetzter Vergewaltigung.

Hunderttausende Fälle von Missbrauch

Laut Panetta wurden im vergangenen Jahr offiziell 3158 solcher Fälle gemeldet; eine Zahl, die sich auf dem Stand von 2010 bewegt. Panetta selbst hält das, wohl auch im Wissen um die schonungslose Aufbereitung des Themas in dem genannten Film, für weit untertrieben. Seiner Einschätzung nach, die er in dieser Woche bei einer Pressekonferenz im Pentagon abgab, liegt die tatsächliche Ziffer bei rund 19 000 Fällen pro Jahr. Legt man das zugrunde, kommen schnell Hunderttausende Missbrauchsfälle über die Jahre zusammen.

Die Annahme basiert auf verschiedenen Details: So wurde bei einer intensiven Befragung von 540 weiblichen Veteranen ermittelt, dass über 30 Prozent beweisbar angaben, sie seien von männlichenKollegen und/oder Vorgesetzten vergewaltigt worden; teilweise fortgesetzt. In nahezu allen Fällen seien die Opfer bedroht und eingeschüchtert worden, um eine Anzeige zu verhindern. Dazu passt, was kritisch Soldatenverbände festgestellt haben: dass nur acht Prozent der erwiesenen Fälle von Vergewaltigung am Ende zu einer Anklage vor der Militärgerichtsbarkeit führen – und nur zwei Prozent zu einer Verurteilung.

"Affront gegen die Grundwerte, die Amerika vertritt"

Panetta bezeichnete das von ihm persönlich unterstellte Ausmaß von sexuellem Missbrauch als „Affront gegen die Grundwerte, die Amerika vertritt“ und als „Schandfleck für die Ehre der großen Mehrheit der Truppe“. An die Adresse der Opfer richtete der Dienstherr eine Entschuldigung. „Ich bedauere zutiefst, dass solche Verbrechen in der US-Armee passieren. Jeder Fall ist einer zu viel. Ich werde alle Schritte unternehmen, dass das, was ihnen geschehen ist, nicht auch anderen passiert.“ Als Sofortprogramm soll die psychologische und finanzielle Hilfe für Betroffene ausgebaut werden und mehr Geld in die Schulung von Ermittlern und Anwälten gehen, um Vergewaltiger im Militär zielgerichteter aufzuspüren und zu verurteilen.

Außerdem sollen Opfer, die eine Vergewaltigung anzeigen, unmittelbar auf andere Stützpunkte versetzt werden können, um ihren Peinigern nicht mehr begegnen zu müssen. Ob das ausreicht, bezweifeln die Filme-Macher um den bereits vor Jahren mit einer Oscar-Nominierung ausgezeichnete Kirby Dick. Seine düstere Festellung: Für amerikanische Soldatinnen ist es heute wahrscheinlicher, von männlichen Kollegen vergewaltigt als in kriegerischen Auseinandersetzungen getötet zu werden.