Ruhrgebiet. .
Welche weiterführende Schule ist die richtige für mein Kind? Haupt-, Real-, Gesamtschule, das Gymnasium oder gar die neue Sekundarschule? In diesen Tagen starten die Anmeldeverfahren, und vielen Eltern stellt sich diese richtungweisende Frage. Noch ist die Auswahl an Schul(form)en groß, doch langfristig sinken die Schülerzahlen, viele Schulen fürchten das Aus. Um ihr Überleben durch hohe Anmeldezahlen zu sichern, werben selbst Gymnasien frühzeitig und gezielt um die besten Köpfe – mit immer neuen Methoden.
Tage der offenen Tür und Info-Zettel – geschenkt. Wer heute in der Gunst von Schülern und Eltern vorne landen will, muss deutlich mehr bieten als noch vor zehn oder 20 Jahren. Begabtenförderung, schulinterne Wettbewerbe, individualisierter Unterricht, Zusatzabschlüsse, integrative Lerngruppen, AGs, Projektwochen oder Schwerpunkte im sprachlichen oder naturwissenschaftlichen Bereich sind nur einige der Stichworte. Unterricht nach Lehrplan reicht längst nicht mehr aus. „Man muss den Eltern und Schülern kleine Besonderheiten bieten“, sagt Oliver Bauer, Leiter des Neuen Gymnasiums Bochum, „sie fordern das ein.“
Schulen sind immer mehr auf dem freien Markt unterwegs
Die Bedeutung des eigenen Rufs und Profils wird immer wichtiger. „Jedes Gymnasium muss sich genau überlegen, wie es sich präsentiert“, sagt Berthold Urch, Schulleiter des Essener Alfred-Krupp-Gymnasiums. „Wir sind immer mehr auf dem freien Markt, da muss man sich präsentieren. Jeder wirbt für sein Profil“, sagt sein Kollege Dirk Gellesch von der Graf-Engelbert-Schule in Bochum. „Aber wir müssen auch sagen, wo unsere Grenzen sind, da holt man sich außerschulische Partner ins Boot.“
Kooperationen mit Universitäten und Unternehmen sind längst keine Seltenheit mehr. Als Pionier im Revier gilt Werner Binnenbrücker, bis Sommer 2011 Schulleiter am Duisburger Haniel-Gymnasium. Schon Ende der 1980er-Jahre begann er, eine Kooperation mit dem Haniel-Konzern aufzubauen. „Man muss etwas Zusätzliches zum Unterricht bieten“, sagt Binnenbrücker. „Wir haben schon damals vorausschauend gearbeitet und sind heute zukunftsweisend aufgestellt.“ Längst sitzen weitere Konzerne wie Thyssen-Krupp-Stahl, Ikea oder die Deutsche Bank mit im Boot, ebenso die Stadtverwaltung. Das Prinzip ist simpel: Die Schule bekommt Geld für modernes Unterrichtsmaterial, die Unternehmen bekommen gut ausgebildete Fachkräfte, denen im Anschluss an Praktika eine duale Ausbildung oder ein Stipendium winkt.
Kein Wunder, dass das Haniel-Gymnasium in der Gunst von Schülern und Eltern weit vorne liegt. Wie wichtig und letztlich entscheidend die Elternmeinung ist, beschreibt Oliver Bauer: „Schule ist überall ein großes Thema, selbst im Supermarkt an der Wursttheke.“
Das alles kostet – Geld und Engagement. „Man braucht eine sehr gute Schulleitung und ein Kollegium, das bereit ist, sich weit über die klassische Unterrichtsverpflichtung hinaus zu engagieren“, sagt Ralf Hörsken von der Duisburger Bildungsholding.
Das Gymnasium gilt als Nonplusultra
Das Gymnasium gilt nach wie vor als Nonplusultra des deutschen Bildungssystems – doch Hörsken sieht genau darin eine weitere Gefahr: „Sie werden ihre Kapazitäten langfristig mit Schülern auffüllen, die sie früher nicht aufgenommen hätten. Die Frage ist, ob die die sechste Klasse überleben.“ Regine Schwarzhoff vom Elternverein NRW stimmt ihm zu: „Es wird immer der Eindruck erweckt: „Ohne Abi ist Dein Kind nichts wert’.“ Das sei falsch, sagt Schwarzhoff. „Wichtig ist, die Schulzeit optimal zu nutzen.“ Eltern, die bei der Schul-Wahl unsicher sind, rät sie: „Achtet auf die Interessen des Kindes, fragt andere Eltern und schnuppert die Atmosphäre in den Schulen.“
Der Trend: „Die Profilierung und der Kampf um die Schüler werden zunehmen“, sagt Klaus Wilting, Leiter des Essener Viktoria-Gymnasiums. Und was für Schüler schon immer galt, gelte heutzutage auch für die Schulen: „Man darf sich keinen Fehler erlauben.“