Ruhrgebiet. An den Corona-Impfungen nimmt vielerorts nur jede zweite Pflegekraft teil. Sie fürchten Spätfolgen. Heimleiter: Impfung alternativlos.

Es ist ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft, den viele Heimleitungen in diesen Tagen ausstellen, dafür aber ein Scheck über 100 Prozent. 100 Prozent ihres Personals würden sich impfen lassen, geben sie gegenüber den Städten an, allein schon, um dann auch genug Dosen Impfstoff zu bekommen.

Nach innen aber ist die Kommunikation häufig eine andere: "Wenn du dich nicht impfen lassen willst, nehm' ich dich runter von der Liste." Ist ja auch erlaubt. Und sie kennen ja ihre Leute.

Quote der Teilnehmer liegt in den Städten zwischen 50 und 74 Prozent

Und so ist es offenbar: Was Umfragen über Monate ankündigten, hat sich zum Impfauftakt am Sonntag genau so materialisiert: Die Impfbereitschaft der Altenheimbewohner geht auf 100 Prozent, die der Mitarbeiter ist deutlich geringer. Quoten um die 50 Prozent melden am Wochenende Heime in Gelsenkirchen, Mülheim oder Essen; in Marl werden 60 Prozent genannt, in Witten 74.

Der Grund? "Man unterhält sich untereinander: Lässt du dich impfen?", sagt eine Altenpflegerin aus Duisburg: "Und dann heißt es oft: Nö, ist mir alles zu unsicher. Noch nicht genug getestet. So denke ich ja auch." Eine Kollegin, die an einer Autoimmunkrankheit leidet und daher besonders gefährdet ist, meint: "Das musste jetzt ganz schnell gehen mit dem Impfen, das kann ich ja auch verstehen, aber mir ging es zu schnell."

Auch ohne Impfung will sie "nicht Larifari mit Corona umgehen"

Tatsächlich gehört auch sie zu den 100-prozentig angemeldeten, ist sich aber sicher, dass sie einen Rückzieher machen wird, wenn es soweit ist: "Das möchte ich selbst entscheiden." Aber natürlich werde sie auch ohne Impfung "nicht Larifari mit Corona umgehen".

Eine Haltung ist das, die der Leiter eines Heims in einer anderen Revierstadt nicht verstehen kann - vorsichtig ausgedrückt. "Haben Pfleger, die sich jetzt nicht impfen lassen, den Schuss nicht gehört?" Altenpflege benötigt Körperkontakt, Abstand zu halten, ist unmöglich: "Die Impfung ist absolut alternativlos."

"Ich versuche, meine Leute mit Informationen aus seriösen Medien aufzuklären"

Der Mann hatte selbst schon Covid-19, Husten, Fieber, Gliederschmerzen, aber nicht krankenhausreif. "Trotzdem fragt man sich dann doch ständig: Gehörst du zu denen mit mildem Verlauf oder gehst du auf die Intensivstation?" Nach seiner Ansicht geht es manchen Beschäftigten auch darum, nach Krankenscheinen zu fischen.

Auch Christiane Holstein kennt die Probleme, sie leitet das Kurt-Schumacher-Haus der Arbeiterwohlfahrt in Dinslaken. "Ich versuche, meine Leute mit Informationen aus seriösen Medien und mit Fakten aufzuklären", sagt sie: "Natürlich geht man mit einer Impfung ein Risiko ein, aber das tut man auch, wenn man morgens aus dem Haus geht und am Straßenverkehr teilnimmt." Nur, wenn es eine breite Bereitschaft zum Impfen gebe, "können wir unser Haus und unsere Bewohner vernünftig schützen".

Heimleiterin wünscht sich persönliche Ansprache von Experten an die Pflegenden

Am Kurt-Schumacher-Haus arbeiten 131 Pflegekräfte, rund 70 wollen sich bislang impfen lassen, etwa 55 Prozent. Als Gründe gegen die Impfung werde häufig ein Kinderwunsch angeführt oder die Furcht vor Folgeschäden, sagt Holstein. "Über die Spätfolgen von Covid-19 machen sich viele seltsamerweise nicht so viele Gedanken."

Holstein sagt, sie sei "absolut gegen einen Impfzwang für Pflegende", wünsche sich aber eine bessere Aufklärung: "Anerkannte Fachleute wie der Virologe Drosten könnten sich doch mit einer persönlichen Ansprache an die Pflegenden wenden."

Überzählige Dosen gingen spontan an die Feuerwehr

Einen ganz anderen Grund für die geringe Quote hat sich Essens Gesundheitsdezernent Peter Renzel schon am Sonntag zusammenspekuliert: Vermutlich hätten viele Mitarbeiter dienstfrei gehabt. Was für eine Planung soll denn das gewesen sein?

Das Problem, nun auf überzähligen und wenig haltbaren Impfdosen zu sitzen, haben sie in Essen dahingehend gelöst, dass man sie Feuerwehrleuten verabreichte. Aber die können natürlich in den nächsten Wochen nicht überall als Reserve bereitstehen. Und eigentlich heißt es doch auch: "Die Feuerwehr hilft. Vorbeugen musst du."