Ruhrgebiet. Putze, Spachtelmasse und Fliesenkleber können Asbest enthalten. Es ist dort ungefährlich, solange keine Reparatur anliegt. Experten warnen.

In Millionen älterer Gebäude in Deutschland steckt noch immer der Schadstoff Asbest. Betroffen sind vor allem Häuser aus den Baujahren 1960 bis 1993. Da in älteren Häusern mehr Reparaturen und Renovierungen anfallen, sehen Experten die Gefahr wachsen, dass Asbest dabei freigesetzt und eingeatmet wird. Es kann Krebs verursachen.

Es steckt vor allem in Putzen, Spachtelmasse und Fliesenkleber („PSF-Materialien“) und ist dort gebunden und ungefährlich, solange niemand Hand anlegt. „Doch sobald gebohrt, gehämmert oder der Putz aufgestemmt wird, werden die Fasern freigesetzt“, sagt Andreas Grosse-Holze von den Zentralen Diensten der Stadt Bochum. Man wolle keine Panik schüren, doch schon bei kleineren Arbeiten könne es zu einer massiven Belastung kommen. Erst neue, verfeinerte Messmethoden haben die Entdeckung des Asbest möglich gemacht.

Sachverständige fordern: Vor Umbau nach Asbest suchen

Laien können nicht unterscheiden, ob die entsprechenden Stoffe bei ihnen zuhause asbestbelastet oder -frei sind. Der Bundesverband der Sachverständigen (BVS) fordert daher Normen und Bestimmungen, wie im Verdachtsfall vorzugehen ist. Da es keine Pflicht zur Erkundung gibt, seien bei Bauarbeiten „alle gefährdet, die unter Umständen mit freigesetzten Asbestfasern in Berührung kommen“, so die Sachverständige Nicole Richardson aus Witten. Wenn die Wohnung beprobt werde, sei mit Kosten zwischen 1500 und 2000 Euro zu rechnen, wenn es beispielsweise nur um die Renovierung eines Bades gehe, mit 300 bis 400 Euro.

Eine wilde Müllkippe mit asbestverseuchtem Material in einem Waldgebiet in Hattingen.
Eine wilde Müllkippe mit asbestverseuchtem Material in einem Waldgebiet in Hattingen. © FischeR

Die „Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV)“ bestätigt Schätzungen, wonach die Bewohner von 40 Millionen Wohnungen betroffen sein können sowie zwei Millionen Mitarbeiter in Bau- und Handwerksberufen. „Problematisch ist, dass es auch zu einem unbeabsichtigtem Umgang mit Asbest kommen kann, wenn die Materialien mit Werkzeug bearbeitet werden“, heißt es dort.

400 Mieter müssen für ein Jahr umziehen

In Moers etwa müssen rund 400 Mieter einer Siedlung aus den 70er-Jahren demnächst ihre Wohnungen für ein Jahr verlassen, damit sie unter dem Einsatz von Schleusen saniert werden können. In einer leer stehenden Wohnung hatten Sachverständige den Schadstoff in Bodenplatten, Badezimmerwänden und Spachtelmasse entdeckt. Schon Anfang 2018 hatte der Vermieter Vivawest die Menschen schriftlich aufgefordert, „Böden und Wände in Ihrer Wohnung weder anzubohren, abzuschleifen, zu beschneiden … oder auf andere Art zu bearbeiten.“ Wohnen mit gebremsten Raum, sozusagen.

„Man kriegt schon einen Schreck“, sagt einer der Bewohner

Da stand es dann, schwarz auf weiß in einem Brief von Vivawest: Asbest. „Man kriegt schon einen Schreck“, sagt Norbert Braun, der ehemalige Schlosser auf Padberg. Und seit Ende Mai wissen sie jetzt, dass sie umziehen müssen. Das Ehepaar Braun im April 2021. „Danach brauchen wir nicht mehr zurück zu kommen, danach sind wir im Altenheim“, sagt Norbert Braun, fürchtet Kosten und Umstände und will „zum Mieterschutzverein“.

Bei allem Schreck und aller Aufregung gilt aber auch: Vivawest stellt Ersatzwohnungen, bietet Aufwandsentschädigungen an und spricht von einer „einmaligen Situation bei diesem Haustyp ..., den wir ansonsten nicht im Bestand haben“.

Da kann man nur hoffen, dass das so bleibt. Denn ganz losgelöst von Vivawest, geht auch der Ingenieurverband VDI davon aus, dass in einem Viertel aller zwischen 1960 und 1993 in Westdeutschland gebauten Häuser gebundenes Asbest steckt.

Einige Bundesländer haben Handlungshilfen für Bewohner erarbeitet

Nun hat die DGUV, die Unfallversicherung, Untersuchungen angestoßen, um „die Belastungssituation zu bewerten und emissionsarme Verfahren zu entwickeln“, so ein Sprecher. Einige Bundesländer hätten auch schon „Handlungshilfen für Mieter und Bewohner entwickelt“. Auch sie besagen: untersuchen lassen, Fachbetrieb beauftragen, auf staubarmes Arbeiten achten.

Ein Arbeiter schleift 2017 in Norderstedt asbestbelasteten Kleber von einem Boden ab, nachdem zuvor die asbestbelasteten PVC-Fliesen entfernt worden sind.
Ein Arbeiter schleift 2017 in Norderstedt asbestbelasteten Kleber von einem Boden ab, nachdem zuvor die asbestbelasteten PVC-Fliesen entfernt worden sind. © dpa | Markus Scholz

Ein bisschen schien Asbest ja ein Thema von früher zu sein. Öffentliche Gebäude etwa gelten als weitgehend saniert, was schwach gebundenes Asbest betrifft, solches also, das schnell frei wird. Doch wenn man genauer hinschaut, entdeckt man allein in diesem Jahr und allein in NRW etliche Fälle, dass (geringe) Messwerte auftraten: Asbest im Bauschutt einer Essener Gesamtschule, in einer Schwimm- und Sporthalle in Herne, in zwei Klassenräumen der Stadt Alpen im Kreis Wesel oder in einer Zelle im Gefängnis Kleve nach einem Brand.

Wackelnde Wände geben Asbest frei im Berufskolleg

Und im Berufskolleg Wesel, wo auch sehr schön zu erkennen ist, wie leicht Asbest frei wird. Denn obwohl hier die gleichen Systemtrennwände in zwei Dritteln aller Klassenräume hängen, wurde Asbest nur in zwei Naturwissenschaftsräumen gemessen. Der anzunehmende Grund: Die Wände hängen nicht mehr richtig in der Decke und geraten leicht in Bewegung, wenn jemand die Tür zumacht. Als der Schulleiter das vorführt, sagt er: „Und ich habe die Tür jetzt normal geschlossen.“ Nicht, wie Schüler es ganz gelegentlich tun ...