Düsseldorf. Der NRW-Landtag macht Druck gegen die Hintermänner der Koran-Verteilungsaktion “Lies!“. Parteiübergreifend will das Parlament die Aktion stoppen.

  • NRW-Landtag macht Druck gegen die Koran-Verteilungsaktion "Lies!"
  • In vielen Innenstädten sind die "Lies!"-Stände seit langem bekannt
  • Der Landtag fordert, neben vereinsrechtlichen auch steuer- und gewerberechtliche Schritte zu prüfen

Der Landtag fordert parteiübergreifend ein hartes Vorgehen des Staates gegen die umstrittenen Koran-Verteilungsaktionen in vielen Innenstädten. Die Aktivitäten des „Lies!“-Netzwerkes sollten unverzüglich unterbunden werden, heißt es in einem gemeinsamen Antrag von SPD, CDU, FDP und Grünen. Die Liberalen hatten die Initiative dazu ergriffen. Ihr Fraktionsvize Joachim Stamp begründete den Vorstoß: „Unter dem Vorwand Korane zu verteilen, versucht „Lies!“ junge Menschen für den Dschihad anzuwerben, zu radikalisieren und als Selbstmordattentäter zu instrumentalisieren.“

Das Land kann zwar nicht über ein Verbot der Koranverteilung entscheiden, NRW erhöht aber den Druck auf Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), diese salafistische Kampagne in ganz Deutschland zu stoppen. Gegen „Lies!“ müsse mit allen rechtsstaatlichen Mittel vorgegangen werden: ordnungsrechtlich, steuerrechtlich und gewerberechtlich. Denn die Landespolitik vermutet hinter dem Netzwerk der Verteiler vielfältige kriminelle Strukturen.

"Nahezu sektenähnliches Vorgehen"

Zum einen handele es sich laut NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) um eine offensichtlich verfassungsfeindliche „extremistische Kampagne, die junge Menschen für die salafistische Szene gewinnen soll“. Den Verteilern gehe es um „Hass, Gewalt und Terrorismus“. Zum anderen werde mit den Koran-Aktionen offenbar heimlich Geld verdient, das unversteuert bleibe. Der Kopf des Netzwerkes, Islamisten-Prediger Ibrahim Abou-Nagie, hatte zunächst eine deutsche „Lies“-GmbH gegründet, diese später aber durch die in England ansässige Gesellschaft „Readlies“ ergänzt.

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Die Landespolitik vermutet dahinter eine Strategie zur „Verschleierung von Gewinnen“. Dubios erscheint auch die Praxis, dass die Verteiler die Korane zuvor selbst ankaufen müssen. Der Vorsitzende des Innenausschusses, Daniel Sieveke (CDU), sieht darin ein „nahezu sektenähnliches Vorgehen.“ FDP-Mann Joachim Stamp schlug vor, nach dem „Al-Capone-Prinzip“ vorzugehen, wenn ein Verbot von „Lies!“ als terroristische Vereinigung scheitern sollte. Dem legendären Gangster-Boss konnte zwar nie ein Mord nachgewiesen werden, er wanderte aber wegen Steuerhinterziehung hinter Gitter.

Piraten unterstützen Antrag nicht

Monika Düker (Grüne) bezeichnete die Koran-Verteiler als „salafistische Menschenfänger“, gegen die der Rechtsstaat Flagge zeigen müsse. Jeder fünfte IS-Kämpfer, der von Deutschland aus in den Irak oder nach Syrien ausgereist sei, habe Kontakt zur „Lies!“-Kampagne gehabt. Düker stellte aber auch die Frage, warum manche junge Menschen so bereitwillig der Einladung in die salafistische Szene folgen. Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen, Haltlosigkeit und Frust vergrößerten die Gewaltbereitschaft und spielten den Verführern in die Hände. Die Salafisten machten dann aus einem Loser einen vermeintlichen Helden.

Die Piraten unterstützten den Antrag der anderen Fraktionen mehrheitlich nicht. Sie verwiesen darauf, dass der Landtag in diesem Fall gar nicht zuständig sei und daher nicht „Ermittler“ spielen sollte. Außerdem könnten Muslime eine betont harte Gangart des Staates gegen die Koranverteiler als Angriff auf den Islam missverstehen.

Innenminister Ralf Jäger bedauerte, dass es in NRW bisher nur möglich gewesen sei, die Koranverteilung „in begründeten Einzelfällen“ zu verbieten. Nun sei der Bundesinnenminister am Zug. „Die Unterstützung aus NRW ist ihm sicher“, sagte Jäger. NRW-Verfassungsschutzchef Burkhard Freier hatte zuletzt erklärt, es gebe im Grunde zurzeit nur einen Hebel gegen die „Lies!“-Aktionen. Den Verteilern müssten Straftaten nachgewiesen werden. In Aachen war aus diesem Grund ein Infostand untersagt worden.

Im vergangenen Jahr sollen bundesweit rund drei Millionen Korane an den Ständen der Kampagne verteilt worden sein. Die Sicherheitsbehörden gehen von rund 400 Aktiven aus. Das Netzwerk ist auch in Österreich, in der Schweiz und anderen europäischen Ländern tätig. Organisator Abou-Nagie hatte schon vor zehn Jahren das Netzwerk „Die wahre Religion" gegründet, das als Schwerpunkt des politischen Salafismus gilt.

Terror oder Religion - wie gefährlich ist die Kampagne "Lies!"?

Selten zeigt sich der Landtag so einig in seiner Meinung: Geht es gegen salafistische Machenschaften, ziehen alle an einem Strang. Parteiübergreifend will das Parlament die Koran-Verteilungsaktion "Lies!" stoppen.

Was ist schlecht daran, den Koran zu verteilen?

Nach Erkenntnissen des NRW-Innenministeriums wird die Religion hier als Deckmantel für verfassungsfeindliche Ziele missbraucht. "Klar ist, dass die Initiatoren von "Lies!" keine religiösen oder gemeinnützigen Motive verfolgen, sondern dass es sich hier um eine eindeutig extremistische Kampagne handelt, die gerade junge Menschen in diese Szene leiten will", stellt Innenminister Ralf Jäger (SPD) fest.

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"Bei "Lies!" geht es darum, für Hass, Gewalt und Terrorismus zu werben."

Wer steckt hinter "Lies!"?

Die Kampagne wird seit 2011 von dem in Bonn lebenden selbst ernannten islamistischen Prediger I.A.N. organisiert - vor allem für Deutschland, aber auch für Österreich, die Schweiz und andere europäische Länder.

Was ist das Ziel?

Nach Angaben der Organisation soll jedem Haushalt ein Koran zur Verfügung gestellt werden.

Was hat das mit Salafismus zu tun?

Der "Lies!"-Organisator ist auch Begründer des Netzwerks "Die wahre Religion" - ein Schwerpunkt des politischen Salafismus. In den Internet-Auftritten tauchen auch Akteure aus NRW auf, die nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes eindeutig Bezüge zum verfassungsfeindlichen Salafismus erkennen lassen.

Beobachtet der Verfassungsschutz die Kampagne?

Ja. Aus Sicht der Sicherheitsbehörden erhärtet sich der Verdacht, dass es dabei eigentlich um die Anwerbung von Mitteln und Kämpfern für die islamistische Terrororganisation IS geht.

Welche Indizien sprechen gegen die religiöse Ausrichtung von "Lies!"?

Zum Beispiel der Fall Sven Lau. Der Islamist aus Mönchengladbach hatte längere Zeit an der Kampagne mitgewirkt. Jetzt hat die Bundesanwaltschaft ihn wegen Unterstützung einer islamistischen Terrormiliz angeklagt. Auch der Jugendliche aus Gelsenkirchen, der gestanden hat, im April eine Bombe vor dem Sikh-Gebetshaus in Essen deponiert zu haben, gehörte zur "Lies!"- Truppe. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden hatte jeder Fünfte aus NRW in die Kriegsgebiete Syrien und Irak ausgereiste Salafist Kontakt mit "Lies!"

Warum kann man die Organisation dann nicht verbieten?

Dies könnte nur der Bundesinnenminister prüfen und durchsetzen. Der Düsseldorfer Landtag ist dafür.

Können die Kommunen die Stände verbieten?

Die Stadt Aachen hat das versucht - dagegen klagen die "Lies!"-Organisatoren jetzt vor dem Verwaltungsgericht. Die für Februar terminierte mündliche Verhandlung wird mit Spannung erwartet.

Welche Hebel hat der Rechtsstaat sonst?

Möglicherweise greift auch das Steuer- und Gewerberecht, wenn nachweisbar ist, dass die angemeldeten Gesellschaften andere Ziele verfolgen als angegeben. "Das Prinzip Al Capone", nennt der Initiator des parteiübergreifenden Bündnisses gegen "Lies!" und Vizechef der FDP-Landtagsfraktionschef, Joachim Stamp, den "Plan B" zum Vereinsverbot. Dem legendären Gangster-Boss aus dem Chicago der 20-er Jahre habe zwar nie ein Mord nachgewiesen werden können. Dafür war er aber wegen Steuervergehen für viele Jahre hinter Gitter gewandert. (mit dpa)