Am Niederrhein. . Auf dem Rhein wird ein Viertel aller Waren in NRW transportiert. Es könnte mehr sein, wenn die Fahrrinne vertieft würde. Kritik von Umweltschützern.
Gemächlich fährt das Massengutsschiff Schwelgern den Rhein hinauf, mit über einer Stunde Verspätung. Wie kommt’s? „Wir mussten auf einen Lkw warten, der stand im Stau“, wird Kapitän Manfred Wirges später erklären. „Natürlich“, möchte man fast sagen. Stau, so etwas gibt es auf der Wasserstraße allerdings nicht. Die rund 100 Meter langen Flussgiganten sind stromaufwärts zwar langsamer als ein Auto auf der Straße, dafür aber deutlich zuverlässiger.
Rund 2000 Tonnen, also ca. 80 Lkw-Ladungen, passen in ein Frachtschiff, das vom größten Binnenhafen der Welt in Duisburg entweder in Richtung Rotterdam oder Neuwied aufbricht. „Die Wasserstraße ist ein Verkehrsweg, der oft nicht genug Beachtung bekommt“, findet Ocke Hamann, Verkehrs- und Logistikexperte der IHK. Rund ein Viertel der Waren in NRW würden auf dem Wasser transportiert. Deshalb sei es enorm wichtig, auch für die Funktionalität dieser Verkehrswege zu sorgen.
Sechs kritische Stellen auf der Strecke bis nach Dormagen
Eines der zentralen Themen dabei ist die geplante Rheinvertiefung. Von derzeit 2,50 Metern soll der Fluss von Duisburg nach Neuss auf 2,80 Meter und dann bis Dormagen-Stürzelberg auf 2,70 vertieft werden. Kapitän Wirges erklärt: „Da wird nicht das ganze Flussbett ausgegraben, sondern es handelt sich um spezielle Bereiche, in denen es kritisch ist. Diese Schwellen werden dann abgetragen.“ Solenbegradigung wird der Vorgang darum auch genannt. Zusammen mit seiner Mannschaft überlegt der 62-Jährige, wie viele solcher brisanter Stellen es auf der Strecke bis nach Dormagen gibt: „Sechs“, lautet die einstimmige Antwort.
Wirges deutet auf einen grün-weiß geringelten Metallpfahl: „So werden ökologische Ausgleichsmaßnahmen beim Gewässerbau gekennzeichnet. In Ufernähe schüttet man dann beispielsweise wieder Steine auf.“ Umweltschützer befürchten dennoch, dass durch den Eingriff in das natürliche Flussbett das ökologische Gleichgewicht aus den Fugen gerät und Wasserrahmenrichtlinien der EU verletzt würden.
45.000 Arbeitsplätze hängen vom Duisburger Hafen ab
Ocke Hamann führt ebenfalls einen Umweltaspekt an, allerdings für die Gegenseite: „Wenn die Schiffe mehr beladen werden können, müssen weniger Schiffe gleichzeitig unterwegs sein, beziehungsweise können mehr Kapazitäten von der Straße auf das Schiff verlagert werden.“ Schließlich sei das Schiff das Verkehrsmittel mit dem geringsten Energieverbrauch pro Tonne. Hamann beruft sich auf eine Planco-Studie aus dem Jahr 2007 wonach ein Lkw 67 Prozent mehr Energie pro Tonne als ein Schiff verbraucht. Beim Schienenverkehr seien es 35 Prozent mehr.
Für die Binnenschifffahrt, und damit für die Industrie im Duisburger Hafen, hätten diese 30 Zentimeter mehr im Flussbett große Auswirkungen. „Die Schwerindustrie gäbe es hier so nicht, wenn sie den Rhein nicht als verlässlichen Transportweg hätte“, ist sich Hamann sicher. Rund 45. 000 Arbeitsplätze hingen direkt oder indirekt vom Duisburger Hafen ab. Deshalb sei es so wichtig, den Hafen international konkurrenzfähig zu halten.
In Häfen gibt es so gut wie keine Lager mehr
Bei einer Solenbegradigung könnte die MS Schwelgern beispielsweise 300 Tonnen, also gut zwölf Lkw-Ladungen, mehr mit an Bord nehmen. Frank Althaus, Prokurist der Duisburger Traditions-Reederei Haeger und Schmidt, erläutert, dass die Reedereien ihren Kunden durch eine eventuelle Rheinvertiefung deutlich mehr Transportsicherheit geben könnten. Das sei ebenfalls wichtig, um sich international im Wettbewerb zu behaupten. Denn: Lager gibt es so gut wie keine mehr, Häfen haben sich inzwischen von Umschlagplätzen zu Logistikzentren weiterentwickelt, in denen Produkte direkt weiterverarbeitet, veredelt oder verpackt werden.
Vorbei an Kraftwerken, Schornsteinen und grünen Wiese schiebt sich die MS Schwelgern den Rhein hinauf. Mit zehn Kilometern in der Stunde. Kapitän Wirges fasst die Entwicklung in einem Satz zusammen: „Den Hüttensand, den wir geladen haben, könnten wir morgen, auf dem Rückweg schon als Spezialzement kaufen.“