Düsseldorf. Eigentlich sollten alle Kinder bis zur vierten Klasse schwimmen können. “Utopisch“ nennt das ein Sportwissenschaftler: Warum ist das so?

  • Jeder siebte Schüler im Alter zwischen 7 und 10 Jahren ist Nichtschwimmer, besagt eine Studie des Robert-Koch-Instituts
  • Messlatte für Schwimmfähigkeit: mindestens 200 Meter Schwimmen in höchstens 15 Minuten
  • Schon Kindergärten sollten dem Nachwuchs Sicherheit im Wasser zu vermitteln

Ertrinken ist ein stiller Tod - für Eltern ist das ein grauenvoller Gedanke. Viele setzen darauf, dass ihre Sprösslinge spätestens in der Grundschule lernen, sicher zu schwimmen. Doch der Blick von Experten hinter die Kulissen ist ernüchternd: Das Ziel, allen Kindern bis zum Ende der 4. Klasse mit dem derzeitigen Stunden-Deputat das Schwimmen beizubringen, sei "utopisch", urteilt Sportwissenschaftler Dirk Hoffmann von der Universität Duisburg Essen in einer Expertise an den Düsseldorfer Landtag.

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Im Sportausschuss war die Schwimmfähigkeit von Grundschülern am Dienstag Thema einer Sachverständigenanhörung. Titel: "Sicheres Schwimmen kann Leben retten." Doch wie ist es darum bestellt?Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) veröffentlichte im vergangenen Monat alarmierende Zahlen: Demnach stieg die Zahl der Badetoten in NRW 2015 auf den höchsten Stand seit neun Jahren. 70 Menschen ertranken.

Viele Menschen überschätzen sich im Wasser

Die Bilanz der Experten: Viele Menschen können nicht ausreichend schwimmen oder überschätzen sich im Wasser. Was können die Schulen tun? "Die Last der Verantwortung kann nicht allein den Schulen auferlegt werden", heißt es in einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen (Essen) an den Landtag. Tatsächlich beobachten aber viele Experten, dass Eltern dies zunehmend tun. Vor allem Kinder aus sozial schwachen Milieus und aus Migrantenfamilien werden demnach zuhause deutlich seltener ermuntert oder gar gefördert, Schwimmen zu lernen.

Eine große Aufgabe für Politik, Schulen und Kommunen angesichts Zigtausender zugereister Flüchtlingskinder allein in NRW. Wissenschaftlich eindeutige Zahlen über die Schwimmfähigkeit am Ende der Grundschulzeit gibt es nicht. Verschiedene Stichproben und kommunale Erhebungen ergaben ganz unterschiedliche Quoten. Das Robert-Koch-Institut kam nach einer wissenschaftliche Untersuchung zu dem Ergebnis, dass in Deutschland etwa jeder siebte Schüler im Alter zwischen 7 und 10 Jahren Nichtschwimmer ist.

30 Prozent Nichtschwimmerquote bei Elfjährigen

Eine Studie zur Nichtschwimmerquote bei elfjährigen Schülern in NRW ging dagegen 2006 sogar von fast 30 Prozent aus - also fast jeder Dritte aus dieser Gruppe. Die Praktiker aus den Bädergesellschaften und dem Deutschen Sportlehrerverband beobachten jedenfalls, "dass immer weniger Kinder und Jugendliche sich sicher im Medium Wasser bewegen können". Die Gesellschaft für das Badewesen listet ein Konglomerat möglicher Ursachen auf: Zunahme allgemeiner motorischer Störungen bei Kindern, Übergewicht, vermehrter Medienkonsum. Wann ist man überhaupt Schwimmer?

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Dafür gebe es keine verbindlichen Kriterien, kritisiert die FDP-Opposition, die das Thema auf die Agenda des Sportausschusses gebracht hat. Sportwissenschaftler sind sich einig: Sicheres Schwimmen am Ende der Grundschulzeit könne nicht länger mit dem Motivationsabzeichen "Seepferdchen" nach 25 Metern Schwimmen bescheinigt werden. Die Messlatte müsse stattdessen das Bronze-Abzeichen sein. Das heißt: unter anderem mindestens 200 Meter Schwimmen in höchstens 15 Minuten. Da seien absolute Nichtschwimmer aber nicht in den im Lehrplan vorgesehenen 40 Unterrichtseinheiten mit je 30 Minuten Wasserzeit heranzuführen, stellt der Sportwissenschaftler Prof. Theodor Stemper von der Bergischen Universität Wuppertal fest. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse das Kontingent verdoppelt werden.

Die Lehrerausbildung ist unzureichend

Optimal sei es, je 20 mal 45 Minuten auf die Klassen 2 bis 4 aufzuteilen. Viele Experten beklagen auch eine unzureichende Lehrer-Ausbildung. Schwimmen müsse in der universitären Ausbildung zum Pflichtprogramm gehören und mit einer Lehrbefähigung abgeschlossen werden, fordert der Deutsche Sportlehrerverband. Zudem sollte die Rettungsfähigkeit nachgewiesen werden. Die Bädergesellschaft Düsseldorf stößt ins gleiche Horn und warnt, Schwimmen sei durchaus als Risikosportart einzustufen, weil es hohe Gefahren für Anfänger berge.

Mehrere Wissenschaftler sprechen sich dafür aus, schon Kindergärten in die Aufgabe einzubinden, dem Nachwuchs Sicherheit im Wasser zu vermitteln. In Düsseldorf finanzieren Sport- und Jugendamt ein Vorschulschwimmprogramm. Die Bädergesellschaft spricht sich dafür aus, den Schwimmunterricht von den Klassen 3 und 4 auf die Klassen 1 und 2 vorzuverlegen, um später nachsteuern zu können. Dazu wäre aus Sicht der Experten auch ein Eintrag zur Schwimmfähigkeit auf dem letzten Grundschulzeugnis hilfreich. Wer am Ende der 4. Klasse immer noch keine "Wasserratte" ist, sollte zusätzliche Angebote erhalten - auch in Ferienkursen. (dpa)