Essen. . Die Polizei in NRW hat es im Kampf gegen Wohnungseinbrecher besonders schwer. Sie kann sogar Erfolge vorweisen - doch die sind nicht nachhaltig.

  • NRW ist das Bundesland mit den meisten Bewohnern und mit den meisten Wohnungseinbrüchen
  • Einbruchsbekämpfung ist für die Polizei eine Sisyphos-Aufgabe
  • Seit 2007 steigt die Zahl der Einbrüche in NRW stetig an

Sommer 2015, ein ganz normaler Einbruch im Düsseldorfer Norden: Die Tür ist offenbar mit einem Schraubendreher aufgehebelt worden, ein wenig Bargeld weg, sonst nichts passiert. Die Polizei wird sich rund 20 Minuten vor Ort damit beschäftigen. Erst kommt eine Streife, schaut sich kurz um und lässt sich vermisste Gegenstände auflisten. Etwas später pudert die Spurensicherung kurz die Tür ein, findet keine Fingerabdrücke und schließt: "In ein paar Wochen erhalten Sie dann wohl den Einstellungsbescheid." Der Einbruch ist unaufgeregte Routine, die Aussichtslosigkeit wird offen kommuniziert.

Die Erfahrung eines Redaktions-Kollegen ist wohl die Regel bei Wohnungseinbrüchen in NRW. Einbrecher zu fassen, dürfte zu den frustrierendesten Aufgaben von Polizisten gehören. Was tut die Polizei in NRW gegen Wohnungseinbrüche? Und wie schlecht ist die Lage tatsächlich? Einige Antworten:

Passieren in NRW tatsächlich besonders viele Wohnungseinbrüche?

Ja. NRW ist das Bundesland mit den meisten Bewohnern und mit den meisten Wohnungseinbrüchen. 62.362 Fälle wurden im vergangenen Jahr statistisch erfasst, in 43,7 Prozent blieb es beim Versuch. Das wären etwa 3,5 Wohnungseinbrüche pro 1000 Einwohner. In Hessen liegt der Wert bei etwa 1,9. Aufgeklärt wurden in NRW 8145 Wohnungseinbrüche, also nur 13,8 Prozent. Im von manchen viel gepriesenen Bayern lag die Aufklärungsquote dagegen kaum höher: 15,9 Prozent weist die aktuelle Kriminalitätsstatistik dort aus. Die Zahl der Einbrüche sei in Bayern im Vergleich zu 2014 um 30 Prozent gestiegen, heißt es dort. Die Gesamtzahl wird aus der bayerischen Kriminalitätsstatistik nicht klar: 12.984 Wohnungseinbrüche werden unter der Rubrik "sonstige Diebstähle" genannt; 7480 Wohnungseinbrüche unter der Rubrik "schwerer Diebstahl". In jedem Fall deutlich weniger als in NRW.

Wie hat sich die Zahl der Einbrüche in NRW entwickelt?

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Die Zahl der Wohnungseinbrüche in NRW war zwischen den Jahren 2000 und 2007 kontinuierlich zurückgegangen, von 44.676 auf 37.393 registrierte Fälle. Doch seitdem geht die Kurve nach oben, mit einer Delle im Jahr 2014.

Ist die Aufklärungsquote in NRW besonders niedrig?

Nein, das zeigt eine Übersicht mit Zahlen des Bundeskriminalamts für das Jahr 2013: In sechs von 16 Bundesländern und Stadtstaaten lang die Quote über 20 Prozent, in Sachsen-Anhalt gar bei 30,4 Prozent. Die NRW-Polizei meldete damals 13,6 Prozent, in Baden-Württemberg waren es 10,9 Prozent, in Schleswig-Holstein 10,2 Prozent. Am Schlechtesten war die Aufklärungsquote dagegen in Hamburg (7,2%), Berlin (7,3 %) und Bremen (7,7%).

Welche Fälle klärt die Polizei am häufigsten auf?

Wohnungseinbrüche sind bei der Aufklärungsquote auch im Vergleich mit anderen Delikten am unteren Ende der Skala, zeigt eine Grafik der GdP in NRW: Mord und Totschlag klärte die NRW-Polizei nach Zahlen des Landeskriminalamts im Jahr 2014 zu 96,9 Prozent in NRW; weil es sich sehr häufig um Beziehungstaten handelt. Auch bei Rauschgiftdelikten (93,4%), leichter Körperverletzung (90,1%) oder Beleidigung (88,4%) werden die Täter zumeist ermittelt. Fahrraddiebe hingegen gehen mit 7,9 Prozent Aufklärungsquote der NRW-Polizei noch seltener in die Fänge als Wohnungseinbrecher.

Warum gibt es in NRW so viele Wohnungseinbrüche?

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Als bevölkerungsreichstes Bundesland gibt es in NRW besonders viele Ballungsräume. Dort häufen sich die Wohnungseinbrüche. Bayern zum Beispiel hat nur drei Großstädte und ist insgesamt viel ländlicher. Zudem ist NRW verkehrstechnisch sehr gut erschlossen - Täter kommen also mit dem Auto rasch wieder weg; auch die Nähe zu den Niederlanden macht die Region an Rhein und Ruhr vor allem für reisende Einbrecherbanden attraktiv, heißt es bei der Polizei.

Warum werden Einbrecher eher selten gefasst?

Das liegt in der Natur der Sache: "Wohnungseinbrüche sind ein so genanntes 'kontaktarmes' Delikt. Unmittelbare Tatzeugen sind die Ausnahme", Einbrecher wollen nicht auffallen und halten sich meist nicht lange am Tatort auf, hat Frank Richter, heute Polizeipräsident in Hagen, in seiner Zeit als NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) mal beschrieben. Von den 8626 aufgeklärten Fällen waren 7636 der Täter bereits polizeilich "in Erscheinung getreten". 4604-mal handelte es sich um Alleintäter. Das Gros der Taten wird reisenden Banden zugeschrieben. Sie, beobachtet die Polizei, "gehen höchst professionell und arbeitsteilig vor".

Wieso verlaufen so viele Ermittlungen im Sande?

80 bis 100 Fälle bekommt ein Sachbearbeiter im Schnitt jeden Monat auf den Schreibtisch, sagt die GdP NRW. "Selbst in Urlaubszeiten oder während des Besuchs von Weiterbildungsmaßnahmen werden neue Fälle dazu gepackt", kritisierte Vorstandsmitglied Wolfgang Spies auf einem Forum Ende 2015. "Unter diesen Voraussetzungen findet bei vielen Einbrüchen ein echtes Ermittlungsverfahren nicht mehr statt", beklagte Spies. „Liegen keine Zeugenaussagen oder Anhaltspunkte vor, die auf Tatverdächtige schließen lassen, wird die Mehrzahl der Fälle ohne weitere Nachforschungen eingestellt“. Das sorge für Frust bei Polizisten. Was den Frust noch verstärke: Nur in etwa 21 Prozent der Fälle wird nach einer Festnahme überhaupt die öffentliche Klage erhoben.

Gibt es zu wenig Personal bei der Polizei?

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Die GdP behauptet: ja. 2004 bis 2007 wurde die Zahl der Polizeianwärter in NRW auf jährlich 500 gedrückt. Kosteneinsparungen. Dadurch hat die Polizei in NRW 2000 Beamte verloren, beklagt die GdP. Inzwischen werden pro Jahr 1920 Polizeianwärter eingestellt, auch würden mehr eingestellt, als in Pension gehen, sagt ein Sprecher im NRW-Innenministerium. Die Zahl der Polizeibeamten insgesamt sei heute um 700 höher als im Jahr 2011; die Neueinstellung überstiegen auch die Zahl der Pensionierungen. Im "Wach- und Wechseldienst" - also sozusagen die Streifenbeamten - gab es zum Oktober 2015 370 Stellen mehr als im Oktober 2012.

40.321 Stellen zählt die NRW-Polizei für 2016. Ein Vergleich: In Bayern gibt es 41.000 Polizisten. Die GdP merkt an: auch in den kriminaltechnischen Einrichtungen brauche es mehr Personal: "Mitunter dauert es Monate, bis Tatort-Spuren ausgewertet worden sind".

Wie geht die Polizei gegen Wohnungseinbrüche vor?

Einbruchsbekämpfung ist eine Sisyphos-Aufgabe. "Wenn Sie einen Einbrecher wegfischen, kommt der nächste nach", sagt ein Sprecher im NRW-Innenministerium. Doch die Polizei sieht sich inzwischen besser 'aufgestellt' gegen Einbruchsdiebstähle:

  • Seit 2012 gibt es in NRW zwei "Auswerteverbünde" (Ruhr und Rheinland), bei denen Daten gebündelt werden, um Tatserien auf den Grund zu gehen
  • Einbruchs-Ermittlungen zunehmend an den Tätern orientiert: "Serien-Einbrechern ist es egal, ob sie in Dortmund oder Bochum agieren, aber bei der Polizei waren das früher zwei verschiedene Behörden", erklärt ein Beamter. Das ist jetzt anders: "Man bekommt ein komplettes Bild, je nachdem wo eingebrochen wurde, auch über Städtegrenzen hinweg"
  • Die Polizei in NRW setzt zudem auf Vernetzung der Behörden: So wurde in NRW das Fahndungskonzept "Motiv" entwickelt, das auf "mobile Intensivtäter" zielt. 793 mobile Serieneinbrecher seien seit Start im August 2013 identifiziert worden, 504 davon waren oder sind in Haft, teilte das Innenministerium in diesem Januar mit. Aktuell seien 442 Verdächtige im Visier der Fahnder. Sie seien in 16 Schwerpunktbehörden gebündelt; insgesamt gibt es in NRW 47 Polizeibehörden
  • Bei Schwerpunktaktionen wie etwa Straßenkontrollen sind auch Hundertschaften der Bereitschaftspolizei im Einsatz gegen reisende Banden
  • Die Polizei setzt zudem auf die "systematische Sachfahndung nach Diebesgut"
  • Seit Mitte Mai veröffentlicht jede Polizeibehörde wöchentlich Karten zu den Orten von Wohnungseinbrüchen ("Einbruchsradar").
  • Aber die Polizei appelliert auch an die Eigenverantwortung der Bürger und setzt auf Aufklärung und Prävention: "Tatgelegenheitsstrukturen sollen für die Einbrecher verschlechtert werden. Die Bürger werden um Hinweise auf verdächtige Personen und Ereignisse gebeten", sagt ein Sprecher der Duisburger Polizei

Wie läuft die Arbeit in Polizeibehörden?

Beispiel Polizei Duisburg: Dort gibt es ein Behördenkonzept gegen Wohnungseinbruchdiebstahl, dass alle Direktionen einbindet, schildert Sprecher Ramon van der Maat: "Kräfte werden für diese Aufgabe gebündelt. Das Fachkommissariat wurde personell verstärkt. Es wird bei den Ermittlungen ein Schwerpunkt auf Tatserienerkennung gelegt, intensive Spurensuche und –sicherung sind Standard. Die rechtlichen Möglichkeiten offener und verdeckter Ermittlungsmaßnahmen werden ausgeschöpft.

Hat die Polizei auch Erfolge zu vermelden?

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In Duisburg konnte 2015 "die Zahl der vorläufigen Festnahmen auf frischer Tat gegenüber 2014 nahezu verdoppelt werden". Gelungen war das "durch gezielte täterorientierte Observationen und Einsätze ziviler und uniformierter Kräfte an Brennpunkten", sagt Sprecher Ramon van der Maat. Eine große Hilfe seinen dabei aufmerksame Bürger, die beim Verdacht die Polizei alarmieren. Auch die Justiz helfe mit, mehr Einbrecher zu fassen: "Soweit rechtlich möglich, wurde die Beantragung von Untersuchungshaftbefehlen angeregt. Die Staatsanwaltschaft ist dem regelmäßig gefolgt, die Gerichte haben sie regelmäßig erlassen." Bei der Duisburger Polizei geht man deshalb "von einem nachhaltigen Effekt im Hinblick auf zukünftige Straftaten aus".

Heißt mehr Festnahmen = weniger Taten?

Leider nein. Die Wohnungseinbruchszahlen sind 2015 in Duisburg insgesamt sogar gestiegen, trotz vermehrter Festnahmen durch die Polizei. "Die erhöhten Einbruchszahlen werden vor allen Dingen auf südosteuropäische mobile Banden zurückgeführt", sagt Polizeisprecher van der Maat. Die Täterstrukturen hätten sich entsprechend verändert. "Kaum wurden Einbrecher vorläufig festgenommen, waren kurz darauf weitere diesen Strukturen zuzurechnende Einbrecher im Bezirk unterwegs."

Heißt mehr Polizisten = weniger Einbrüche?

Bei der GdP glaubt man das. Die Statistik zeigt: Je mehr Fälle es gibt, desto kleiner wird die Aufklärungsquote. Sie pendelt seit 2011 in NRW zwischen 13,6 Prozent und 13,8 Prozent. Schon 2010 hat die Gewerkschaft deshalb angeregt, in einer Polizeibehörde ein Modellprojekt zu starten, und dort die Zahl der Ermittler für Wohnungseinbrüche testweise kräftig zu erhöhen. Auch müsste es wieder mehr Beamte geben, die Streife gehen oder fahren. Im NRW-Innenministerium hält man einen solchen Versuch nicht für sinnvoll und baut mehr auf neue Ermittlungsmethoden, etwa "Predictive Policing".

Welche Hilfe verspricht sich die Polizei von 'Kommissar Computer'?

In Duisburg und Köln wird aktuell eine neue Ermittlungs-Software getestet: "Predictive Policing". Der Begriff bedeutet "vorhersagende Polizeiarbeit". Die Polizei in Duisburg hat die Stadt dazu in 500 einzelne Quartiere unterteilt. Anhand der Wohnungseinbrüche vor Ort überspielt das Landeskriminalamt wöchentlich Prognosen zu aktuell einbruchsgefährdeten Orten. Die Polizei vor Ort entscheidet dann, wie sie reagiert: mit Streifen, die dort herumfahren, mit verdeckten Ermittlern, die sich auf die Lauer legen, oder mit Beamten, die Anwohner auf offene Gartentüren oder Fenster hinweisen.

Ist Einbruchskriminalität wirksam zu bekämpfen?

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Der Blick auf anderer Bundesländer zeigt, dass die Polizei andernorts mehr Erfolg hat, Fälle aufzuklären. Doch sind auch die örtlichen Voraussetzungen verschieden. Bei allem, was die Polizei leisten soll und will, kommt der Prävention eine ebenso große Bedeutung zu: Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) etwa gibt seit neuestem Zuschüsse, wenn man in die Einbruchssicherheit investiert. Die GdP schlägt vor, Hausratversicherer sollten finanzielle Anreize schaffen, damit auch z.B. Mieter mehr für den Einbruchschutz tun. Doch mitunter sind es die ganz einfachen Dinge, die Einbrechern "Tatgelegenheiten" bieten und auf die jeder achten kann: auf Kipp stehende Fenster oder Fenstertüren, angelehnte Haus- oder Wohnungstüren. Auch mehr Aufmerksamkeit von Bürgern, kann der Polizei in NRW helfen, die Aufklärungsquote künftig vielleicht wieder etwas zu steigern.