Essen. Das Ruhrgebiet gehört zu den am stärksten frequentierten Bahnregionen in Europa. Doch die Infrastruktur des Konzerns ist teilweise Jahrzehnte alt.

Die Ruhrgebiets-Bahnstrecken stammen aus der Gründerzeit. Aber in den letzten zwei Jahren haben sie selten viele außergewöhnliche Situationen durchlebt. Den Lokführerstreik. Die Bombenentschärfung von Essen. Den Sturm „Ela“. Jetzt starren die Kunden in der Halle des engen Dortmunder Hauptbahnhofs wieder hilflos auf die blaue digitale Fahrplan-Tafel mit den weißen Bemerkungen. Es gibt Ausfälle, Umleitungen und Verspätungen massenweise .

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Überall ist so die Lage: In Duisburg, Essen, Bochum. Die Ursache: Immer noch der Brand in der obersten Stellwerksetage in Mülheim-Styrum. Und immer noch fährt wenig Bahn im Revier. Ein Notfahrplan gilt, der zwei Regionalzüge pro Stunde und Richtung zulässt und die zentrale S-Bahn-Linie im vorzeitlichen 40-Minuten-Takt.

Schreckenabschnitte zwischen Köln und Essen "überlastet"

Das Ruhrgebiet und die sich anschließende Rheinstrecke nach Köln gehören, schienentechnisch gesehen, zu den am stärksten frequentierten Regionen auf dem Kontinent. 800 000 regionale Kunden plus Fernverkehr werden hier jeden Tag durchgeschleust. Offiziell hat deshalb der Staatsbetrieb DB Netz im letzten Dezember die Streckenabschnitte zwischen Köln und Dortmund via Essen für „überlastet“ erklärt. Eine Art Hilferuf.

Brennt es dann noch, geht nichts mehr. In Styrum hat das Feuer den Schalttisch zusammengeschmolzen, wo Weichen, Signale und Schranken per Knopfdruck bedient werden, berichtet die Feuerwehr. Dennoch lassen solche Unglücke und ihre gravierenden Folgen wartende Pendler schnell fragen: Wie viel davon ist Zufall und wie viel ist marode im engmaschigen, überlasteten Netz? Wurden oder werden Fehler gemacht und wo? Will man sie ausbügeln und wie?

Mehdorn wollte die Bahn für den Börsengang schön sparen

Die Bahn ist diese Fragen gewöhnt. Als „Ela“ zuschlug und schienen-nah gewachsene Bäume an 64 Stellen im Revier die Gleise blockierten, kam heraus, dass das Unternehmen zuvor bundesweit beim Grünschnitt umgestellt hatte. Lothar Ebbers vom Fahrgastverband „ProBahn“ kennt an Rhein und Ruhr fast jeden Puffer. Wurden Investitionen vernachlässigt? Ja, sagt Ebbers, die Anlagen sind alt. Manche sind 50plus. Gerade Stellwerke, die den Verkehr managen müssen, seien am „Ende ihrer Nutzungsdauer“. Und in der Ära des Bahnchefs Hartmut Mehdorn, der den Börsengang plante, habe man sich auch durch Investitionen nicht die Bilanz versauen wollen.

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So ist das zerstörte Stellwerk Styrum von 1967. Auch das Essener tut seit 41 Jahren Dienst. Auf der Auslaufliste der Bahn stehen zudem die Leitstände in Düsseldorf, Dortmund, Hamm und Köln. Fast fertig sind nur die neuen Anlagen in Duisburg und Bochum und bald auch Wuppertal. Jeder einzelne Neubau ist ein Kraftakt, hat DB Regio-Sprecher Dirk Pohlmann betont – mit Auswirkungen für die Bahnkunden. In Duisburg hatte die nötige Bauzeit massive Verspätungen und Ausfälle provoziert, der Wuppertaler Hauptbahnhof ist derzeit ganze Wochenenden nicht nutzbar. „Zehn Jahre“,sagt ProBahn-Mann Ebbers, brauche man noch, um die komplette Erneuerung der Stellwerktechnik an der Magistrale und den Sprung vom Relais auf digitale Steuerung zu schaffen.

Die Verspätungen und der Domino-Effekt

Doch wichtig, findet Ebbers, sei gar nicht das Alter. Die Relaistechnik funktioniert ja noch, darauf besteht auch die Bahn. Entscheidender für die aktuelle Fahrplan-Pleite: Über viele Jahre habe das Staatsunternehmen, gedeckt oder gefordert durch die Politik, „lieber auf den Bau neuer Strecken geguckt als auf die Entflechtung der Bahnknoten“. Viele komplizierte Bahnknoten zu managen wie die Bahnhöfe von Köln, Düsseldorf, Duisburg, Essen und Dortmund – das mache es nach Ereignissen wie dem Styrumer Feuer den Verantwortlichen schwer, wieder pünktlich zu fahren, sagt Ebbers: „Die dort entstehenden Verspätungen sind extremen Dominoeffekten unterworfen“.

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Das wirkt so: Ist der IC aus Hamburg in Dortmund zu spät, verpasst der Aachener Regio-Kunde seinen Zug nach Eschweiler.

Früher gab es bei der Bahn fahrbare Ersatzstellwerke

Wird das in Zukunft anders? Die Bundesregierung will noch in diesem Herbst den Bewertungskatalog für den neuen Bundesverkehrswegeplan vorlegen. Erst dort wird klar, ob die Politik auf Dauer nur Vorrang für große Streckenausbauten gibt - oder auch Lösungen für die in NRW wichtigen Knoten anbietet. Die Bahn ist jedenfalls gewillt, in ihre neuen elektronischen Stellwerke weiter zu investieren, bis zum Jahr 2019 616 Millionen Euro. Bundesweit will sie die Infrastruktur mit 28 Milliarden Euro auf Vordermann bringen. In 850 Baustellen.

Nur brennen darf es nicht noch mal. Früher gab es fahrbare Ersatzstellwerken. Sie konnten defekte Stellwerke wie in Styrum sofort ersetzen. Sie waren sehr teuer. War auch Mehdorn.