Haltern. In der Trauer um die Absturzopfer ist Haltern am See nicht allein: Der Bundespräsident ist gemeinsam mit NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft nach Westfalen gekommen, um Mitschülern und Angehörigen der Toten sein Mitgefühl auszudrücken.
Als der Bundespräsident vor die Kirche tritt, bläst ein kalter Wind über Halterns Kirchplatz. Gerade hat er mit Schülern, Lehrern und Angehörigen in einem Gottesdienst der 18 Absturzopfer des einzigen Gymnasiums der Stadt gedacht. Er hat den Angehörigen der 16 toten Zehntklässler und ihrer beiden Lehrerinnen persönlich seine Anteilnahme überbracht. Leise spricht er aus, was sich drei Tage nach der Katastrophe in der ganzen Stadt spüren lässt: "Wenn wir alle zueinander stehen, entsteht so etwas wie ein Band des Mitleidens und des Mittrauerns."
Haltern steht in Trauer zusammen
In ihrer Trauer steht die westfälische Stadt mit 37.000 Anwohnern zusammen. Das Ortsschild trägt Trauerflor, die Fahnen wehen auf halbmast. In den Schaufenstern der Innenstadt haben Einzelhändler Kerzen angezündet, sie wünschen ihren Mitbürgern Stärke und Kraft, diese schwere Zeit zu überstehen.
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Ein eindrucksvolles Band der Trauer bilden auch die Schüler, die am Morgen vom Joseph-König-Gymnasium zu hunderten in die Kirche ziehen. Ein schweigender Zug junger Menschen, dicht gedrängt, viele gehen Hand in Hand. Es sind so viele, dass es wirkt, als ob die große Backsteinkirche St. Sixtus sie kaum alle fassen kann.
Haltern trauert um die Opfer
Vor dem Kirchenportal steht auch Bürgermeister Bodo Klimpel, bleich ist er, und erschöpft sieht er aus. Seit Dienstag, als klar wurde, dass 16 Schüler und zwei Lehrerinnen des Gymnasiums der Stadt bei dem Flugzeugabsturz über den französischen Alpen ums Leben gekommen waren, kommen seine Stadt und er nicht zur Ruhe. Die täglich neuen Nachrichten über den Ablauf der Katastrophe haben den Schmerz der Stadt nicht gelindert. Journalisten reisten an, aber auch Politiker und Geistliche, die ihr Mitgefühl zum Ausdruck bringen.
Zum Gedenkgottesdienst an diesem Freitag sind auch Bundespräsident Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt nach Haltern gekommen. Hinter ihnen schließt sich die Tür für Kameras und Journalisten. Teilnehmer werden später von einer emotionalen Gedenkfeier sprechen: Die Namen der Toten werden verlesen, Schüler legen weiße Rosen nieder und zünden je eine Kerze an. Der örtliche Pfarrer spricht, Münsters Bischof Felix Genn und auch Gauck richten sich an die Trauernden, der Bundespräsident wechselt nach dem Gottesdienst noch in der Kirche persönliche Worte mit den Eltern der Verunglückten, er reicht ihnen die Hand, umarmt manche.
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Nach einer Stunde läuten erneut die Glocken, die Schüler verlassen die Kirche genauso geschlossen wie sie gekommen sind. Gaucks Lebensgefährtin Daniela Schadt hat noch immer Tränen in den Augen als sie sich von den anderen Gästen verabschiedet, auch die Sicherheitsleute des Präsidenten kämpfen mit den Tränen. Gauck umarmt Hannelore Kraft, auch den Bürgermeister. "In solchen Notsituationen spürt man, dass wir in einer Gesellschaft von Menschen leben und nicht nur von funktionierenden Wesen", sagt er den Journalisten, bevor er in seine Limousine steigt.
Trauer in vielen Sprachen - Respekt vor Gefühlen der Familien
"In tiefer Trauer", "en profonde tristesse", "solidaridad y amor" - vielsprachig teilen die Menschen in Seyne-les-Alpes ihre Trauer. Sie haben ihre Gefühle in das Kondolenzbuch in der Eglise de Nazareth geschrieben: "Heartfelt sympathies to all of the victim families plus friends of 4U9525." ("Aufrichtiges Mitgefühl für alle Familien und Freunde der Opfer des Flugs 4U 9525")
Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in dem französischen Bergmassiv nehmen Angehörige Abschied von den 150 Toten, die meisten aus Deutschland und sehr viele aus Spanien. Dutzende haben an einer Trauerfeier teilgenommen - abgeschirmt von der Öffentlichkeit. "Das gebietet der Respekt für die Familien, die größten Schmerz durchleben", sagt Bürgermeister Francis Hermitte. Viele waren schon am Donnerstag da, sie sind bereits wieder abgereist. Andere wollten am Freitag kommen, erneut dürften Deutsche dabei sein.
Provisorische Kapelle im Sportzentrum
Im Sportzentrum hat die Gemeinde provisorisch eine Kapelle und einen Raum für die Betreuung der Hinterbliebenen eingerichtet. Während die schwierige Bergung der sterblichen Überreste ihrer Verwandten und Freunde am 15 Kilometer entfernten Absturzort an steilen Hängen und Felsen weitergeht, sammeln sie sich hier in Stille und Trauer. Psychologen betreuen sie. Gendarmerie sorgt dafür, dass die internationale Presse und andere Neugierige auf Abstand bleiben.
Der Ort wird in diesen Tagen regelrecht überrannt von Medienvertretern aus vielen Ländern. Zudem sind Hunderte Helfer da, darunter Soldaten, Gendarmerie, Feuerwehrleute, Hilfsorganisationen und Fachleute für die Ermittlungen.
Auch am Freitag donnerten Hubschrauber über den 1500-Seelen-Ort. Sie brachten Experten der Spurensicherung und Rechtsmediziner an den Unglücksort. Unter Hochdruck wird nach dem zweiten Flugschreiber des Airbus A320 der Lufthansa-Tochter gesucht.
DNA-Experten arbeiten an Identifizierung der Toten
Ebenfalls bei Seyne-les-Alpes arbeiten währenddessen in einem provisorischen Labor Dutzende DNA-Experten an der Identifizierung der Toten. Allein die Bergung wird noch viele Tage oder sogar zwei Wochen dauern. Und bis die sterblichen Überreste an die Angehörigen übergeben werden, könnten viele Wochen vergehen, schätzt ein Sprecher der Gendarmerie.
Im Nachbarort Le Vernet, der am nächsten an der Absturzstelle liegt, erinnert bereits eine Stele an die 150 Opfer. "In Erinnerung an die Opfer des Flugzeugunglücks vom 24. März 2015" ist darauf in vier Sprachen zu lesen: Französisch, Deutsch, Spanisch und Englisch. Davor ein Meer von Blumen: Weiße und rote Rosen, Sträuße in bunten Farben.
Auch über einen Erinnerungsort in der Nähe der Absturzstelle in den Bergen wird nachgedacht. Es gehe darum, einen "sichtbaren Punkt" zu schaffen, der den Familien den Gedanken erlaube: "Hier ist es passiert", sagt Hermitte. "Aber die Familien müssen einverstanden sein."
Der Ort in den Bergen nimmt Anteil
Der Ort nimmt Anteil. "Es ist sehr traurig", hört man immer wieder. Auch ein anderer Gedanke bewegt die Menschen hier: Was wäre passiert, wenn das Flugzeug in den Ort gestürzt wäre? Oder in die Mauer des nahe gelegenen Stausees? Dann hätte es schwere Überschwemmungen mit vielen Toten geben können, sagt ein Hotelbesitzer.
Die Menschen hier bleiben trotz des Rummels freundlich, helfen bei alltäglichen Fragen, nehmen schon mal einen Fremden im Auto mit. Sonst kommen die Besucher als Touristen zum Wandern und Skifahren. Doch so einen Andrang habe es noch nicht gegeben, sagen viele.
Die Bergregion ist immer wieder mit Unglücken konfrontiert. "Wir sind ein Bergort", sagt der Bürgermeister. "Wir kennen Unfälle." Die Menschen wüssten um die Gefahr des Todes in den Bergen. Doch die Tragik dieser Katastrophe, die Zahl der Opfer, die Umstände - das berührt in besonderer Form. "Die Menschen fühlen sich den Familien nahe." Privatleute und Hotels stellten Übernachtungsplätze zur Verfügung, insgesamt 600 Betten. Die große Hilfsbereitschaft sorgt international für Aufmerksamkeit. "Ich bedanke mich bei der Bevölkerung", sagt Hermitte.
Wahrscheinlich werden die Menschen hier noch lange mit dem Unglück konfrontiert sein. "Manche Familien werden in einigen Monaten wiederkommen." (dpa)