Haltern am See. . Die ganze Stadt Haltern steht unter Schock. 16 Schülerinnen und Schüler eines Spanischkurses und zwei Lehrerinnen des Joseph-König-Gymnasiums saßen in der Germanwings-Maschine, die in Frankreich abgestürzt ist.

Mittags hat man sie nach Hause geschickt. Am Nachmittag aber kommen sie wieder. Erst sind es nur zwei, bald sind es zwanzig, am Ende ein paar Dutzend. Schüler und Schülerinnen des Joseph-König-Gymasiums in Haltern am See. Sie nehmen sich in die Arme, halten sich an den Händen. Viele weinen. Dann stecken sie Kerzen an. Ein paar auf der steinernen Tischtennisplatte, die auf dem Schulhof steht, noch viel mehr vor dem Eingang zum Schulgebäude, der an diesem Tag von einem Mannschaftwagen der Polizei versperrt wird. „Irgendwie“, sagt ein junges Mädchen, „kann man gar nicht begreifen, was da heute passiert ist."

"Es ist etwas Schlimmes passiert"

Die sechste Stunde ist vorbei, da tönt die Stimme von Oberstudiendirektor Ulrich Wessel aus der Lautsprecheranlage der Schule. Der Unterricht sei für heute beendet, sagt er, aber das sei kein Grund zur Freude. „Es ist etwas Schlimmes passiert.“ Die älteren Schüler ahnen, was er damit meint. Sie haben schon gehört von dem Absturz der Germanwings-Maschine. „Und natürlich war bekannt, dass unser Spanisch-Kurs der Stufe 10 an diesem Tag zurückkommen sollte“, sagt ein junger Mann, der in ein paar Wochen Abitur machen will. 16 Jungen und Mädchen und zwei Lehrer waren vor einer Woche nach Llinars del Vallès bei Barcelona aufgebrochen, um sich zu revanchieren für einen Besuch der Spanier im Dezember. Seit sechs Jahren schon gibt es diesen Austausch.

Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die schreckliche Nachricht. „Viele haben geweint“, sagt der angehende Abiturient, denn: „Irgendeinen aus der Gruppe hat jeder gekannt.“ Kurz keimt Hoffnung, die Reisegruppe habe den Flieger verpasst, habe auf den Nachmittagsflug umgebucht. Aber seit zehn Uhr am Morgen gibt es keine Handy-Nachrichten mehr von den Mitschülern. „Das klingt vielleicht komisch“, sagt ein anderer. „Aber dann weißt du, es ist etwas passiert.“ Notfallseelsorger sind gekommen um zu trösten, wo es keinen Trost gibt.

Die ganze Stadt wirkt wie gelähmt

Am Nachmittag wirkt die Stadt wie gelähmt. Niemand lacht, keiner lächelt, alle kennen nur ein Thema. „Schlimm“, sagen sie beim Bäcker, „entsetzlich“ in der Eisdiele. Eine ältere Dame steht vor einem Zeitschriftenhandel und telefoniert. „Ja, schrecklich ist das. Kinder. Sie waren doch noch Kinder.“

Germanwings-Jet abgestürzt

Dieser Jet der Fluglinie Germanwings vom Typ Airbus A320 mit der Kennung D-AIPX ist in den französischen Alpen abgestürzt. Die Absturzstelle...
Dieser Jet der Fluglinie Germanwings vom Typ Airbus A320 mit der Kennung D-AIPX ist in den französischen Alpen abgestürzt. Die Absturzstelle... © Stefan Siegenthaler
...liegt in der Nähe des Ortes Barcelonnette, wie die Website Flightradar24 zeigt. Der Airbus war von Barcelona aus nach Düsseldorf unterwegs. Die ersten Fotos...
...liegt in der Nähe des Ortes Barcelonnette, wie die Website Flightradar24 zeigt. Der Airbus war von Barcelona aus nach Düsseldorf unterwegs. Die ersten Fotos... © dpa
...vom Absturzort: Ein Helikopter fliegt über eine Stelle, an der Helfer neben Wrackteilen arbeiten...
...vom Absturzort: Ein Helikopter fliegt über eine Stelle, an der Helfer neben Wrackteilen arbeiten... © dpa
Ort des Grauens: Die Wrackteile liegen verstreut an einem Berghang. Zur Unfallursache gab es am Dienstag noch keine Erkenntnisse, dafür reichlich Spekulationen. Fakt ist: Die Maschine hatte kurz nach Erreichen ihrer Reiseflughöhe stark an Höhe verloren.
Ort des Grauens: Die Wrackteile liegen verstreut an einem Berghang. Zur Unfallursache gab es am Dienstag noch keine Erkenntnisse, dafür reichlich Spekulationen. Fakt ist: Die Maschine hatte kurz nach Erreichen ihrer Reiseflughöhe stark an Höhe verloren. © dpa
Zahlreiche Medien am Flughafen Düsseldorf. Der Absturz ist der erste in der Geschichte der Fluglinie Germanwings. An Bord der Maschine waren insgesamt 150 Menschen...
Zahlreiche Medien am Flughafen Düsseldorf. Der Absturz ist der erste in der Geschichte der Fluglinie Germanwings. An Bord der Maschine waren insgesamt 150 Menschen... © dpa
...Auf Anzeigetafel des Flughafen in Düsseldorf war der abgestürzte Germanwings-Flug 9525 aus Barcelona verzeichnet. Angehörige waren geschockt, als sie vor Ort vom Absturz erfuhren.
...Auf Anzeigetafel des Flughafen in Düsseldorf war der abgestürzte Germanwings-Flug 9525 aus Barcelona verzeichnet. Angehörige waren geschockt, als sie vor Ort vom Absturz erfuhren. © dpa
Ein Mitarbeiter des Flughafen Care Team läuft am 24. März am Flughafen Düsseldorf begleitet von Polizisten mit Angehörigen von Insassen des abgestürzten Airbus.
Ein Mitarbeiter des Flughafen Care Team läuft am 24. März am Flughafen Düsseldorf begleitet von Polizisten mit Angehörigen von Insassen des abgestürzten Airbus. © dpa
Der Flughafen hatte einen VIP-Raum abgesperrt, wo sich Angehörige der Opfer versammelten.
Der Flughafen hatte einen VIP-Raum abgesperrt, wo sich Angehörige der Opfer versammelten. © dpa
Ähnliches Bild am Flughafen Barcelona. Auch dort treffen Angehörige von Reisenden des Germanwings-Flugs ein und werden von Notfallseelsorgern betreut.
Ähnliches Bild am Flughafen Barcelona. Auch dort treffen Angehörige von Reisenden des Germanwings-Flugs ein und werden von Notfallseelsorgern betreut. © Getty Images
Frankreichs Präsident Francois Hollande bei einer Pressekonferenz nach dem Unglück. Nach ersten Angaben wird ausgeschlossen, dass eventuell schlechtes Wetter vor Ort Grund für den Absturz haben könnte.
Frankreichs Präsident Francois Hollande bei einer Pressekonferenz nach dem Unglück. Nach ersten Angaben wird ausgeschlossen, dass eventuell schlechtes Wetter vor Ort Grund für den Absturz haben könnte. © dpa
Dieses Foto zeigt die französische Gemeinde Barcelonette im Nordosten des Département Alpes-de-Haute-Provence. In der Nähe des Ortes ist der Airbus abgestürzt. Eine Screenshot...
Dieses Foto zeigt die französische Gemeinde Barcelonette im Nordosten des Département Alpes-de-Haute-Provence. In der Nähe des Ortes ist der Airbus abgestürzt. Eine Screenshot... © dpa
von Google Earth zeigt das Gebiet, in dem der Airbus zu Boden gestürzt ist.
von Google Earth zeigt das Gebiet, in dem der Airbus zu Boden gestürzt ist. © dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte:
Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte: "Der Absturz der deutschen Maschine mit über 140 Menschen an Bord ist ein Schock, der uns in Deutschland - und der Franzosen und Spanier - in tiefe Trauer stürzt". Jede Spekulation über die mögliche Absturzursache verbiete sich, sagte Merkel. © dpa
Trauer auch in Haltern am See: Eine Schülergruppe der Jahrgangsstufe 10 und zwei Lehrerinnen gehören zu den Opfern des Airbus-Absturzes...
Trauer auch in Haltern am See: Eine Schülergruppe der Jahrgangsstufe 10 und zwei Lehrerinnen gehören zu den Opfern des Airbus-Absturzes... © Funke Foto Services
...die Schulleitung hatte den Schulbetrieb am Dienstag nach der sechsten Stunde abgebrochen,...
...die Schulleitung hatte den Schulbetrieb am Dienstag nach der sechsten Stunde abgebrochen,... © dpa
... nachdem man erfahren hatte, das Mitschüler an Bord des abgestürzten Airbus waren.
... nachdem man erfahren hatte, das Mitschüler an Bord des abgestürzten Airbus waren. © Getty Images
Trauer auch in der Nähe des Unglücksortes: Spaniens König Felipe mit Königin Letizia und Frankreichs Staatspräsident Francoir Hollande bei einem Treffen. An Bord des Airbus waren den Angaben nach auch 45 spanische Staatsbürger.
Trauer auch in der Nähe des Unglücksortes: Spaniens König Felipe mit Königin Letizia und Frankreichs Staatspräsident Francoir Hollande bei einem Treffen. An Bord des Airbus waren den Angaben nach auch 45 spanische Staatsbürger. © dpa
Hubschrauber der französischen Armee auf einem Feld im Ort Seyne, in der Nähe der Absturzstelle.
Hubschrauber der französischen Armee auf einem Feld im Ort Seyne, in der Nähe der Absturzstelle. © dpa
Beamte der französischen Gendarmerie in der Nähe der Unglücksstelle...
Beamte der französischen Gendarmerie in der Nähe der Unglücksstelle... © dpa
"Das Flugzeug ist total zerstört", berichtet unterdessen Christophe Castaner, Abgeordneter der Region Alpes-de-Haute-Provence, am Dienstag bei Twitter. Er habe die Unfallstelle gemeinsam mit Innenminister Bernard Cazeneuve überflogen. "Entsetzliche Bilder in dieser Berglandschaft. Es bleibt nichts außer Trümmern und Körpern." © Getty Images
Sichtlich gezeichnet: Germanwings-Chef Thomas Winkelmann gab Auskunft über erste Erkenntnisse nach dem Airbus-Absturz über den französischen Alpen. In waren insgesamt 144 Passagier und sechs Besatzungsmitglieder. Der Kapitän des abgestürzten Flugzeugs habe seit mehr als 10 Jahren für Germanwings und Lufthansa gearbeitet. Auf dem Modell Airbus habe er über 6000 Flugstunden absolviert.
Sichtlich gezeichnet: Germanwings-Chef Thomas Winkelmann gab Auskunft über erste Erkenntnisse nach dem Airbus-Absturz über den französischen Alpen. In waren insgesamt 144 Passagier und sechs Besatzungsmitglieder. Der Kapitän des abgestürzten Flugzeugs habe seit mehr als 10 Jahren für Germanwings und Lufthansa gearbeitet. Auf dem Modell Airbus habe er über 6000 Flugstunden absolviert. © imago/Eibner
Blick auf das Absturzgebiet: Der Airbus verlor stark an Höhe und zerschellte offenbar an einem Berg.
Blick auf das Absturzgebiet: Der Airbus verlor stark an Höhe und zerschellte offenbar an einem Berg. © dpa
Die Karte zeigt den Flugweg des Germanwings-Airbus.
Die Karte zeigt den Flugweg des Germanwings-Airbus. © dpa-infografik
Amtsgeschäfte von Politikern:  Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt nach ihrer Ankunft auf dem Flughafen in Marseille, Frankreich. Von dort fliegen beide mit einem Hubschrauber zum Absturzort der Germanwings-Maschine. Auch Kanzlerin Angela Merkel und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft werden zur Absturzstelle reisen.
Amtsgeschäfte von Politikern: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt nach ihrer Ankunft auf dem Flughafen in Marseille, Frankreich. Von dort fliegen beide mit einem Hubschrauber zum Absturzort der Germanwings-Maschine. Auch Kanzlerin Angela Merkel und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft werden zur Absturzstelle reisen. © dpa
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In der direkt neben dem Gymnasium liegenden Alexander-Leben­stein-Realschule ist der für diesen Tag angesetzte Elternsprechtag abgesagt worden. Einige Eltern sind noch vor Ort, in ihren Gesichtern nur Leere. In Kleingruppen stehen Lehrer auf den Treppen vor dem Hauptportal. Sie sprechen nicht, sie schauen nur. Ins Nichts. „Ich darf gar nicht daran denken, was die Eltern der verunglückten Kinder jetzt durchmachen“, sagt eine Mutter unter Tränen. „Es muss wie ein Alptraum sein, der nie mehr endet.“

Halterner Kirche wird zum Trauerraum

Eine Gruppe geht langsam vom Schulhof, die Mädchen halten sich gegenseitig im Arm. „Wir gehen jetzt alle rüber in die Kirche am Markt“, sagen sie. Kurzfristig hat die St.-Sixtus-Gemeinde aus ihrer Kirche einen Trauerraum für die Schüler gemacht. Auf dem Weg in die Innenstadt sprechen viele über ihre Mitschüler, mit denen sie nie wieder eine Pause verbringen können, über ihre Lehrerinnen, das Leid der Familien. In der Kirche hat Kaplan Thorsten Brüggemann den jungen Leuten einen „Ort der Stille“ geschaffen, an dem „sie trauern können, ohne beobachtet zu werden“.

Nebenan beginnt derweil die Pressekonferenz von Bürgermeister Bodo Klimpel. Sichtlich angegriffen spricht er vom „schwärzesten Tag in der Geschichte unserer Stadt“ und von einem „Schockzustand, der überall zu spüren ist“. „Das ist so ziemlich das Schlimmste, was man sich vorstellen kann.“

Trauer auch in Spanien

Auch in der spanischen Kleinstadt Llinars del Vallès hat sich tiefe Trauer ausgebreitet. „Die Familien der spanischen Schüler hatten ihre deutschen Gäste am Morgen zum Bahnhof gebracht“, sagte der Sprecher der Stadtverwaltung, Josep Aixandri, der Deutschen Presse-Agentur. „Von dort fuhren sie mit der Bahn zum Flughafen von Barcelona.“ Der Germanwings-Airbus stürzte auf dem Flug von Barcelona nach Düsseldorf ab.

„Die spanischen Schüler stehen wie unter Schock. Wir haben versucht, ihnen Trost zu spenden“, sagte Aixandri. Die 16 Schüler aus Haltern hatten nach Angaben des Sprechers mit ihren beiden Lehrerinnen eine Woche in der katalanischen Kleinstadt mit knapp 10.000 Einwohnern verbracht.

Das Joseph-König Gymnasium soll am Mittwoch nicht geschlossen bleiben. „Es wird aber keinen normalen Unterricht geben“, sagt Klimpel, sondern „eine schulinterne Veranstaltung in der Aula." Trauerarbeit.

Die wird nicht an einem Morgen zu bewältigen sein, ahnt Kaplan Brüggemann, der den ganzen Tag als Notfallseelsorger unterwegs war. „Bis die Stadt dieses Unglück verarbeitet hat, das wird dauern.“