Berlin. Rund 120.000 Menschen in Deutschland können ohne Nasenspray nicht mehr richtig atmen. Ein HNO-Arzt sagt, wie man die Sucht loswird.

  • Abschwellendes Nasenspray ist das meistverkaufte rezeptfreie Medikament Deutschlands
  • Bei zu langer Anwendung kann es jedoch zur Abhängigkeit führen
  • Experte sagt, mit welchen Tricks und Methoden man die Sucht wieder loswird

Wenn Nathalie das Haus verlässt, überprüft sie immer ganz genau, dass sie nicht nur ihren Hausschlüssel mitnimmt, sondern auch ihr Nasenspray. „Ich muss das kleine Fläschchen immer bei mir haben“, sagt die 31-jährige Berlinerin. Alle drei bis vier Stunden sprüht sie sich das Medikament in die Nase, um wieder leichter atmen zu können. Wenn sie das nicht tut, so die junge Frau, bekommt sie nur ganz schwer Luft durch die Nase. „Ohne Nasenspray bleibt meine Nase über Stunden angeschwollen und ich kann dann nur durch den Mund atmen, was mich sehr belastet“, erzählt Nathalie.

Seit rund vier Jahren nimmt sie das abschwellende Nasenspray täglich und gehört damit zu den rund 120.000 Menschen in Deutschland, die nach Schätzungen der Krankenkasse Barmer eine Nasenspray-Sucht entwickelt haben – die Dunkelziffer dürfte aber noch viel höher liegen. Ein bis zwei Fläschchen verbraucht sie jede Woche, je nach Umständen. „Ich weiß, dass ich ein Problem damit habe, aber ich kann nicht mehr ohne Nasenspray richtig atmen“, gesteht die 31-Jährige.

Nasenspray-Sucht: Es begann mit einer Erkältung vor vier Jahren

Angefangen hat das Ganze bei ihr mit einer schweren Erkältung vor vier Jahren. Nathalie konnte nachts nicht schlafen, weil ihre Nase ständig zu war, also griff sie zum abschwellenden Nasenspray, das sie rezeptfrei in einer Apotheke geholt hat. „Ich weiß noch, dass die Apothekerin zu mir meinte, ich soll das nicht länger als eine Woche benutzen“, erinnert sich die junge Frau. Aus einer Woche wurden zwei, daraus ein Monat und schließlich sind es fast vier Jahre.

Das Nasenspray, das Nathalie benutzt, enthält den Wirkstoff Xylometazolin, der die Schleimhaut abschwellen lässt und so für freie Nase bei einer Erkältung sorgt. Laut der Bundesärztekammer handelt es sich dabei um das meistverkaufte rezeptfreie Medikament in Deutschland. Zählt man die vier meistverkauften Nasensprays mit Xylometazolin zusammen, kommt man auf 59,5 Millionen verkaufte Packungen in Deutschland pro Jahr.

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„Bei einer verstopften Nase verschafft so ein Nasenspray natürlich schnell Linderung, weil es dafür sorgt, dass die Nasenschleimhaut abschwillt“, sagt Dr. Parwis Mir-Salim. Er ist Chefarzt an der Klinik für Nasen-Ohren-Heilkunde und Kopf- und Halschirurgie am Vivantes Klinikum im Berlin-Friedrichshain und behandelt regelmäßig Menschen, die ohne Nasenspray nicht mehr frei atmen können. Der Wirkstoff Xylometazolin, so erklärt es der Arzt, verengt die Blutgefäße in der Schleimhaut und verringert so die Blutzufuhr. „Man kann also wieder frei mit der Nase atmen – zumindest kurzfristig“, sagt der Mediziner. Das Nasenspray sei grundsätzlich ein nützliches Produkt, doch viele unterschätzen sein Suchtpotenzial.

Nasenspray: HNO-Arzt erklärt, wie gefährlich eine Xylometazolin-Abhängigkeit ist

Denn Präparate mit Xylometazolin sollen nicht länger als eine Woche verwendet werden, das empfiehlt auch die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. „Nimmt jemand die Mittel länger, gewöhnen sich die Schleimhäute an den Wirkstoff und können ohne nicht mehr richtig abschwellen. Es entsteht ein Teufelskreis, bei dem angenommen wird, dass alleine das Spray zu einer freien Nase verhilft“, erläutert Dr. Parwis Mir-Salim.

Die Nasenspray-Abhängigkeit kann dabei zu ernstzunehmenden Gesundheits-Folgen führen. „Ein Langzeitgebrauch kann die Nasenschleimhaut austrocknen und schädigen. Die Nase wird dadurch anfälliger für Bakterien und Viren, es kann also öfter zu Erkältungen kommen“, erläutert der Experte. Im schlimmsten Fall könnten sogar Löcher in der Nasenscheidewand und in der Nasenschleimhaut entstehen – ähnlich wie beim Kokain-Gebrauch . „Aber das passiert zum Glück nur in extremen Fällen“, sagt Dr. Parwis Mir-Salim.

Atemwegserkrankungen in Deutschland
Bei einer Erkältung hilft Nasenspray beim Atmen. Aber wer es danach nicht rechtzeitig wieder absetzt, kann süchtig werden. © DPA Images | Philip Dulian

Eine Nasenspray-Abhängigkeit kann aber auch psychische Folgen haben. Betroffene würden oft das Gefühl haben, ohne das Medikament nicht mehr frei atmen zu können und spüren so vermehrt Einschränkungen im Alltag. Auch Nathalie kennt dieses Gefühl. „Ich werde richtig panisch, wenn ich kein Nasenspray in der Nähe habe. Einmal habe ich das Fläschchen in der S-Bahn liegen gelassen und alle Apotheken hatten schon zu. Ich bin quer durch die Stadt zu einer Notdienst-Apotheke gefahren, weil ich ohne Nasenspray nicht einschlafen konnte“, berichtet die 31-Jährige.

Sucht: Dieses Nasenspray hilft bei der Entwöhnung

Um vom Nasenspray wieder loszukommen, empfiehlt Dr. Parwis Mir-Salim den Betroffenen, einen Termin in einer HNO-Praxis auszumachen: „Es gibt heutzutage gute Therapiemöglichkeiten bei einer Nasenspray-Abhängigkeit und eine individuelle Behandlung sollte am besten in Absprache mit einem Arzt erfolgen.“ Eine bewährte Entwöhnungsmethode sei heute die Therapie mit einem ausschließlich örtlich wirksamen Kortison-Spray, das die Schleimhaut abschwellen lässt. „Der Wirkstoff wird nicht ins Blut aufgenommen und macht weder abhängig noch verursacht er Nebenwirkungen“, sagt der Mediziner.

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In den ersten Tagen der Entwöhnungstherapie müssten beide Sprays angewendet werden. „Nach vier bis fünf Tagen entfaltet das Kortisonspray seine Wirkung und man kann das abschwellende Spray langsam weggelassen“, erklärt der HNO-Arzt. Die örtliche Kortison-Behandlung könne dann nach etwa zwei bis drei Wochen beendet werden. „Es hilft leider nicht in allen Fällen, man sollte es aber unbedingt versuchen“, sagt Dr. Parwis Mir-Salim. Begleitend können Nasenduschen und Meersalz-Nasensprays helfen, um die Nasenschleimhaut zu befeuchten.

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Ebenfalls hilfreich bei der Entwöhnung ist die sogenannte Ein-Loch-Methode. Dabei wird nur in ein Nasenloch gesprüht. So bleibt eine Seite frei, während das andere Nasenloch langsam entwöhnt wird. Manche Betroffene steigen auch auf Kindernasenspray um, in der Hoffnung, so die Dosierung herabzusetzen. Davon rät der HNO-Mediziner jedoch ab: „Die Kinderpräparate sind deutlich weniger dosiert. Das hat zur Folge, dass Menschen, die schon abhängig vom Nasenspray sind, öfter und mehr vom Kindernasenspray sprühen, bis sie eine Wirkung spüren. So nehmen sie zum Schluss sogar mehr Wirkstoff auf als mit einem Spray für Erwachsene. Das ist also ziemlich kontraproduktiv.“

Abhängig von Nasenspray: Das ist der letzte Ausweg

Als letzte Option kann auch eine Nasen-OP helfen, um wieder ohne Nasenspray leicht atmen zu können. „In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, eine schief geratene, verbogene Nasenscheidewand geradezurichten und in anderen die geschwollene Nasenschleimhaut abzutragen“, erläutert der HNO-Mediziner. Eine OP würde er jedoch immer als letzten Ausweg sehen: „Zuvor würde ich raten, alle anderen Therapiemöglichen auszuschöpfen.“

Dass sie schon bald ohne Nasenspray auskommen kann, das wünscht sich auch Nathalie dringend. Für April hat sie einen Termin bei einem HNO-Arzt ausgemacht. „Eigentlich hätte ich schon viel früher damit zum Arzt gehen sollen, aber ehrlich gesagt habe ich mich geschämt, meine Sucht zuzugeben“, gestern die 31-Jährige.