Berlin. Die Meditations-App „7Mind“ verspricht innere Ruhe in sieben Minuten. Kann das funktionieren? Unsere Autorin hat den Selbsttest gewagt.
Deutschland ist ein zunehmend gestresstes Land. Laut der TK-Stressstudie 2021 fühlen sich 64 Prozent der Deutschen mindestens manchmal gestresst, wobei 26 Prozent sogar häufig Stress erleben. Auch ich kenne das: Einfach mal abschalten fällt mir schwer.
Ein Freund verriet mir vor einiger Zeit, dass er mittlerweile regelmäßig meditiere. Das helfe ihm, bei sich anzukommen, im Kopf aufzuräumen. Tatsächlich: Wie Studien des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften zeigten, kann regelmäßiges Meditieren den Cortisolspiegel im Körper, also die Ausschüttung von Stresshormonen, um bis zu 50 Prozent senken.
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Für mich klingt das erstmal vielversprechend. Schnell und von überall soll das mit Meditationsapps gehen. Der Markt scheint zu boomen, zumindest bekomme ich den Eindruck, als ich im App-Stores meines Handys die vielen Angebote durchforste. Ich entscheide mich für die App „7Mind“, nachdem ich herausgefunden habe, dass die Präventionskurse in der App von den meisten Krankenkassen bezuschusst werden.
„7Mind“: App gegen den Stress – reichen sieben Minuten?
Laut „7Mind“ nutzen eine Million Menschen in Deutschland die App regelmäßig. Stiftung Warentest hat die App 2021 neben „Headspace“, einer Meditationsapp einer amerikanischen Firma, mit der Note Gut zum Testsieger gemacht. Expertinnen und Experten hatten insgesamt zehn Meditationsapps unter die Lupe genommen. Demnach konnten beide Apps mit wissenschaftlich fundierten Kursen und Übungen überzeugen.

Der Grundkurs in der App ist für alle Nutzerinnen und Nutzer kostenlos. „7Mind“ ist simpel und übersichtlich aufgebaut. Nachdem ich mir einen Account angelegt habe, kann ich direkt mit dem Grundkurs starten. „Ankommen“ heißt die erste von sieben Lektionen. Es handelt sich um jederzeit abspielbare Tonaufnahmen. Es gibt die Auswahl zwischen unterschiedlichen Sprecherinnen und Sprechern. „Paul“ sagt mir: „Ich werde dir einfache Methoden zeigen, wie du mit nichts als deinem Atem und ein bisschen Übung mehr Gelassenheit und innere Ruhe in dein Leben bringst.“ Alles, was ich dafür brauche, seien sieben Minuten Zeit am Tag.
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Sieben Minuten? Ich bin skeptisch. Reicht das schon? Ich rufe Britta Hölzel an. Sie ist Diplom-Psychologin, Neurowissenschaftlerin und Achtsamkeitstrainerin in München und erklärt mir: „Wir können auch von einer kleinen Mediationsroutine erste positive Veränderungen sehen.“ Studien hätten gezeigt, dass auch kurze Online-Trainings positive Effekte haben können. Hölzel fährt fort: „In einer unserer Studien zeigte sich, dass ein von mir entwickeltes 31-tägiges Online-Training Stress und Ängste reduzieren kann.“ Das Programm in der Studie dauerte 15 Minuten am Tag.
Test von „7Mind“: Lässt sie Achtsamkeit lernen?
Das motiviert mich. Ich versuche, eine Einheit täglich zu machen. Gar nicht so einfach – da ich keinen festen Termin irgendwo vor Ort habe, ist das Ganze weniger verbindlich. Ich verlege die Meditation auf abends in meinem Bett, das passt zeitlich am besten. Zweimal schlafe ich ein, während die geführte Meditation noch läuft. Für mich ein gutes Zeichen: Immerhin scheine ich zur Ruhe zu kommen – sonst brauche ich manchmal Stunden, bis ich endlich eindöse.

Als Nächstes buche ich mir einen der sechs Präventionskurse bei „7Mind“, die von meiner Krankenkasse bezuschusst werden. Ich entscheide mich für den achtteiligen Kurs „Achtsamkeitsbasiertes Stressmanagement“ (ABSM). Stressmanagement hört sich für mich produktiv an, das mag ich. Aber was ist eigentlich Achtsamkeit? Hölzel erklärt mir: „Achtsamkeit heißt, bewusst im Moment zu leben – aufmerksam, offen und ohne irgendetwas oder sich selbst zu verurteilen.“ Es gehe darum, die Empfindungen im Augenblick so anzunehmen, wie sie sind. Das könne man auf jeden Fall lernen.
Ähnlich wird es mir auch in dem ABSM-Kurs in der App erklärt. Die erste Einheit heißt „Den Autopiloten verlassen“. Ich höre mir die Aufnahme abends im Bett an. Es ist gar nicht so leicht, wach zu bleiben. Es wird mir durch den Sprecher eigentlich empfohlen, währenddessen Notizen zu machen. Am Ende kriege ich ein Handout, eine praktische Übung und ein Quiz zu den Inhalten der Tonaufnahme gesendet. Das stresst mich direkt – ich will nichts falsch machen.
Expertin über Meditationsapps: „Da stoßen die Apps an ihre Grenzen“
Ein ABSM-Modul dauert circa 45 Minuten, jede Woche wird das nächste freigeschaltet. Ich kann gut zuhören, aber ich habe auch Fragen: Während ich regelmäßige Meditationsübung mache, rattert mein Kopf: Ich muss morgen noch diesen einen Anruf machen, ganz dringend. Auch eine Wäsche wäre mal wieder gut. Wieso kann ich mich so schlecht fokussieren? Fragen kann ich leider niemanden, bei dem Kurs handelt es sich ja lediglich um ein Audio.
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Britta Hölzel kennt dieses Problem: „Das passiert häufig, weil viele erwarten, dass Meditation sie sofort entspannt.“ Wer aber mit dem Meditieren beginne, werde merken, dass häufig erstmal das Gegenteil der Fall ist. „Der Geist und die Gedanken fangen an, richtig laut zu werden, wenn sie so viel Platz bekommen“, fährt sie fort. Viele würden dann schnell aufgeben. Die Psychologin findet: „Gerade, wenn Schwierigkeiten beim Meditieren auftauchen, stoßen die Apps meiner Meinung nach an ihre Grenzen.“

Apps würden einen guten Einstieg in Meditation und Achtsamkeit bieten, könnten jedoch keinen Kurs mit erfahrenen Lehrenden ersetzen. In Live-Kursen könnten Fragen gestellt werden und der Austausch mit anderen Teilnehmern helfe dabei, zu erkennen, dass man mit Unruhe oder Selbstzweifeln nicht allein sei. Die Expertin sagt: „Das erleichtert es, dranzubleiben und nicht schnell aufzugeben.“
Gefahren durch Meditation: Wer die Apps nicht nutzen sollte
Ich fühle mich ertappt. Mein Training bei „7Mind“ regelmäßig zu absolvieren, fällt mir schwer. Obwohl ich mir eine tägliche digitale Erinnerung eingestellt habe, vergesse ich es manchmal, habe schlicht keine Lust oder mich reißt eine SMS auf meinem Handy aus der Übung. „Natürlich besteht die Gefahr, dass wir durch die Apps noch mehr Zeit am Handy verbringen“, sagt Hölzel. Man versuche die App aufzumachen und dann sieht man schon wieder eine neue Mail – das könne sicherlich ablenken und Stress auslösen.
Ein weiterer Punkt sei die Sicherheit. Die Achtsamkeitstrainerin erklärt: „Bei bestimmten psychischen Belastungen wie einer posttraumatischen Belastungsstörung oder Schizophrenie kann intensives Meditieren auch Probleme verursachen.“ Die Gefahr bestehe, dass ein Trauma während einer Meditation wieder erlebt werde. Allerdings sei das sehr selten. „In einem betreuten Live-Kurs wird vorab geklärt, ob die Praxis für jemanden geeignet ist“ so Hölzel. Apps könnten das nicht leisten.
Zudem brauche man die Apps nicht unbedingt, um achtsamer zu werden. Achtsamkeit lasse sich auch in den Alltag einbauen. „Beim Abwaschen, Duschen, Spazierengehen – überall, wo man sich auf den Moment konzentriert und die Erfahrung bewusst wahrnimmt, ohne sie zu bewerten“, ergänzt die Expertin. Mein Fazit: Zumindest habe ich mehr über Achtsamkeit gelernt. Und ich musste mein Vorurteil, Achtsamkeit sei nur der Schlachtruf sich selbst optimierender Influencerinnen, beiseitelegen.
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