Berlin. Ein Narzisst als Chef kann Mitarbeitern das Leben schwer machen. Wie man sich wehrt und wann es besser ist, zu gehen, erklärt ein Experte.
- Ihre besonderen Eigenschaften bringen Narzissten in vielen Unternehmen bis in Führungspositionen
- Für Mitarbeiter kann ein narzisstischer Chef jedoch zur großen Belastung werden
- Ein Psychologe gibt Tipps zum Umgang und erklärt, wann man die Reißleine ziehen sollte
Sie können den Arbeitsalltag zur Hölle machen und mit ihren Stimmungsschwankungen sogar die erfahrensten Mitarbeiter verunsichern: narzisstische Führungskräfte. Wie sie ticken und warum sie es in unserer Berufswelt trotz ihrer Eigenheiten oft weit bringen, erklärt der Wirtschaftspsychologe Ramzi Fatfouta. Er forscht zu Narzissmus im Arbeitswesen und weiß, wie Mitarbeiter am besten mit ihren schwierigen Chefs umgehen, welche Verantwortung sie selbst tragen und wann sie die Reißleine ziehen sollten.
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Angenommen, mein Chef tritt sehr selbstbewusst auf – ist er dann schon narzisstisch und tut mir nicht gut?
Ramzi Fatfouta: Auf keinen Fall. Er kann sich seiner Selbst sicher sein und auch eine realistische Selbstwahrnehmung haben. Das ist nämlich ein wesentlicher Unterschied zu Narzissten – sie haben eine unrealistische Selbstwahrnehmung und tragen diese auch nach außen. Sie haben den Eindruck, dass andere Leute ihnen eigentlich nicht das Wasser reichen können und sie ihnen überlegen sind.
Narzisstische Chefs: Deshalb kommen sie oft weit im Beruf
Sie sagen, der Narzissmus verändere unsere Arbeitswelt. Warum?
Fatfouta: Wir leben aktuell in einem Krisenzeitalter. In solchen Zeiten wird oft nach einer starken, harten Hand gerufen. Narzisstische Führungskräfte können diese Orientierung und diesen Halt bieten. Das hat wiederum Einfluss auf unsere Unternehmenskultur: Die ist oft so gestrickt, dass sie narzisstisches Verhalten belohnt und damit aufrechterhält.
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Können Sie das erklären?
Fatfouta: Für ein Unternehmen ist es von Vorteil, wenn sich Leute gerne und bereitwillig in den Ring werfen und sagen: „Hey, ich mache das!“ Narzisstische Personen sind auch kreativ, wagen Neues und haben eine hohe Risikobereitschaft. Sie sind charismatisch und können Leute für sich gewinnen – und dadurch konkret einen unternehmerischen Mehrwert liefern. Allerdings können durch Narzissten auch Kosten für das Unternehmen entstehen, etwa wenn Mitarbeiter durch ihre Führung krank werden.
Was denken Sie als Psychologe über narzisstische Chefs?
Fatfouta: Mich faszinieren sie – ich finde sie weder gut noch schlecht. Es gibt sie aus einem guten Grund. Wir dürfen nicht vergessen, dass Narzissmus kein individuelles Problem ist: Wir sind Teil des Systems, in dem wir diese Führungskräfte teilweise aussuchen. Wir sehnen uns nach Unterstützung und jemandem, der uns sagt, wo es langgeht. Ich finde diese Paradoxie, die sie ausstrahlen, spannend.
Also gibt es guten und schlechten Narzissmus?
Fatfouta: In den Medien sieht man häufig Donald Trump als Beispiel für einen aggressiven Narzissten. Es gibt aber auch noch andere Facetten von Narzissmus: Leute, die Bewunderung und Anerkennung suchen, oder sagen: „Ich bin der hilfsbereiteste Mensch, den es auf der Welt gibt, ich opfere mich für alle auf, ich übernehme mehrere Aufgaben oder Schichten, wenn es sein muss.“ Und die letzte Form bezeichne ich als Gehemmtheit: Leute, die verunsichert und verletzlich sind und ganz viel Rückversicherung suchen. Auf den ersten Blick wirken sie gar nicht narzisstisch.
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Wie wirkt es sich auf das Team aus, wenn der Chef narzisstisch ist?
Fatfouta: Narzisstische Führungskräfte tragen dazu bei, dass der Austausch in Teams erschwert wird, weil sie beispielsweise meinen: „Ihr müsst nicht alles wissen, was ich weiß.“ Sie halten Informationen zurück, behindern die Zusammenarbeit. Zweitens hören sie oft nicht auf die Empfehlungen und Meinungen des Teams, weil sie glauben, alles besser zu wissen. Dadurch entgehen ihnen wertvolle Ideen und sie demotivieren ihre Angestellten.
Umgang mit narzisstischen Führungskräften – diese Taktiken helfen
Wie kann ich mit dem Narzissmus meines Vorgesetzten umgehen? Sollte ich den Verdacht im Team ansprechen?
Fatfouta: Durch indirekte Techniken, wie Vermeidung, löse ich das Problem nicht nachhaltig und entwickle mich nicht weiter. Wenn möglich die direkte Kommunikation mit der Führungskraft suchen – auch wenn das leichter gesagt ist als getan. Ich kann auch versuchen, den Narzissmus für mich nutzbar zu machen. Wenn die Beziehung noch halbwegs funktional ist, kann ich mir überlegen: Was bringt das Projekt der anderen Person, nicht nur mir selber? Das ist sozusagen die Technik des Einschmeichelns.
Die Kollegen können mir als Verbündete dienen. Es hilft, wenn man sich austauschen kann und merkt: Ich bin nicht allein mit meiner Wahrnehmung. Ich empfehle: Suche dir Verbündete im Team, mit denen du bestimmte Strategien besprechen kannst. Man könnte sich zum Beispiel mit gewaltfreier Kommunikation auseinandersetzen, oder mit der „Grey Rock Methode“, bei der man sich bei verletzenden Aussagen vorstellt, man sei ein Stein, an dem das Gesagte abprallt.
Zusammenhalt im Team schön und gut, aber reicht das? Gibt es auch Gefahren für mich, wenn mein Chef narzisstisch ist?
Fatfouta: Es kann sein, dass ich nicht in meiner Karriere weiterkomme. Vor allem, wenn ich mit der unterbutternden Art meines Vorgesetzten nicht zurechtkomme. Vielleicht bekomme ich Selbstzweifel und frage mich: „Bin ich wirklich so bescheuert? Kann ich nichts?“ Wenn ich so gestrickt bin, dass ich eher unsicher bin oder einen geringen Selbstwert habe, dann kann es sein, dass meine Idee nicht gehört wird und ich von meinem Chef zur Seite gedrängt werde: Ich kann in meiner Arbeit nicht wirksam werden. Im schlimmsten Fall leidet meine Leistungsfähigkeit und ich falle aus.
Psychologe: „Die Leute tendieren dazu, die Schuld auf die Führungskraft abzuwälzen“
Welche Verantwortung trage ich für die Beziehung zu meinem Chef?
Fatfouta: Die Leute tendieren dazu, die Schuld auf die Führungskraft abzuwälzen: „Du bist doof, du musst weg.“ Das ist auch eine natürliche Reaktion, aber ich muss mich auch selbst hinterfragen: Warum triggern mich bestimmte Sachen? Vielfach haben die Dinge auch mit der eigenen Biografie zu tun. Es gibt Leute, bei denen wirkt sich das Verhalten des Chefs nicht so stark aus.
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Wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind: Durchhalten oder Gehen?
Fatfouta: Gehen. Wenn der Narzissmus bei dem Chef tatsächlich stark ausgeprägt ist, kann es je nach Persönlichkeit zu schlimmen Selbstzweifeln kommen. Und deswegen wäre auch der erste Schritt zu überlegen: Kann ich intern wechseln, habe ich Lust darauf? Wenn das nicht geht: Verlasse das Unternehmen, aber befasse dich mit dem Thema Narzissmus und deinen Triggern. Denn man nimmt diese Wunden mit, und es kann passieren, dass man in einem anderen Unternehmen wieder genau das Gleiche trifft.
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