Berlin. Toxisch, narzisstisch, triggern: Begriffe aus der Psychologie sind alltäglich geworden. Das hat auch negative Seiten, sagen Experten.
Letztens in einem Telefonat: „Du, kannst du bitte weniger über deine Beziehung sprechen? Da fühle ich mich getriggert“, sagt die Freundin. Sie ist seit fast fünf Jahren Single. So weit, so unsensibel von mir, mag man denken. Oder man stellt sich die Frage, seit wann unsere Sprache so psychologisiert ist, dass auch normale Alltagsthemen triggern oder toxisch sind. Überhaupt: Bei fast allem, was wir tun oder lassen, steckt „ein Glaubenssatz“ dahinter.
Seit wann ist unsere Alltagssprache zur psychologischen Fachsprache geworden? Immer häufiger fallen Begriffe, die in der Psychologie im Zusammenhang mit Traumata oder Persönlichkeitsstörungen verwendet werden. „Trigger“ etwa bezeichnet einen Auslöser für Schmerzen, Erkrankungen und andere Symptome. Im Alltag meinen viele damit eher, dass sie etwas nervt.
Psychologie: Traumata können weitergegeben werden
„Es liegt auf der Hand, dass sich die zunehmende Beschäftigung mit psychologischen Themen auch in unserer Sprache niederschlägt“, sagt Psychologin und Bestseller-Autorin Stefanie Stahl. In ihrem Podcast „So bin ich eben – der Podcast für alle Normalgestörten“, berichtet sie regelmäßig aus ihrem Praxis-Alltag. Den Trend der Psychologisierung hat sie damit selbst mit vorangetrieben.
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„Triggern besagt, dass eine bestimmte Situation Emotionen auslöst, die ihren Ursprung in der Vergangenheit, häufig in der Kindheit, haben“, sagt Stahl. „Wenn ich beispielsweise einen autoritären Vater hatte, kann mich die Kritik meines Chefs triggern. Ich reagiere also heftiger als es der Situation angemessen wäre.“ Unserem Gesprächspartner dies mitzuteilen, könne uns vor Konflikten schützen und negativen Gefühlen bewahren. Vorausgesetzt, wir stoßen bei unserem Gegenüber auf Verständnis.
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Das zunehmende Bewusstwerden über unsere Psyche ist insofern durchaus wünschenswert. „Jeder hat sein Päckchen zu tragen“ – das wusste man schon früher, zur Generation unserer Großeltern. Nur hat damals niemand über dieses Päckchen gesprochen. Die Folgen können familiäre Traumata sein, die laut Erkenntnissen der Epigenetik über Generationen hinweg weitergegeben werden können.
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Psychiater: Kategorisierungen machen die Welt einfacher
Über Probleme zu reden und sich damit zu befassen, hat also positive Seiten. Anders liegt der Fall, wenn man wild mit Diagnosen um sich schlägt, wie beim negativ konnotierten Narzissten. „Narzisst ist so etwas wie ein Sammelbegriff für dominante und schwierige Menschen geworden“, beklagt Psychologin Stahl. „Das Problem, das sich bei solchen 'Diagnosen' ergeben kann, ist, dass man durch die Pathologisierung des Gegenübers den eigenen Beitrag an dem Konflikt verneint.“ Statt sich also mit seinen Themen zu beschäftigen, wird die Verantwortung auf die Mitmenschen abgewälzt. „Der 'Narzisst' wird so zum Täter, man selbst zum Opfer“, sagt Stahl. Manchmal stimme das, manchmal aber eben auch nicht.
Woher aber kommt dieses Bedürfnis von Menschen, die gar keine Psychologen sind, psychologische Ratschläge zu erteilen und andere in eine Diagnose zu pressen? Laut Psychiater und Psychotherapeut Dr. Pablo Hagemeyer ist diese Tendenz gar nicht neu: „Wir Menschen kategorisieren grundsätzlich gern, das macht die Welt für uns einfacher.“
Laut dem Psychiater und Bestsellerautor über Narzissmus wurden Menschen schon zu Zeiten des Begründers der Psychoanalyse, Sigmund Freud (1856 bis 1939), kategorisiert. „Damals hieß es über nervöse Frauen, sie seien hysterisch“, sagt er. „Auch das war nicht immer hilfreich, denn so tat man traumatisierten Frauen Unrecht. Die gute Seite ist, dass man so erstmalig über die damals tabuisierte Sexualisierung von Gewalt in der Gesellschaft sprach.“
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Narzissmus: Jeder hat Anteile, ohne krank sein zu müssen
Kategorisierungen machten das Leben für Menschen einfacher, zudem könne das Gehirn sich gegen unbewusste Assoziationen ohnehin nicht wehren. Auch Urteile wie „Der ist doch ein Narzisst“ sieht Hagemeyer gelassen: „Es hilft, das Thema zunächst zu demokratisieren, dann erst beginnt man differenziert darüber nachzudenken. Und mir persönlich macht das nichts – ich habe meine Bücher mit so polarisierenden Titeln wie 'Gestatten, ich bin ein Arschloch' vor allem deshalb geschrieben, weil ich Therapeut bin und über die Krankheit aufklären will“, so Hagemeyer. Er selbst habe die Krankheit nicht. „Für mich ist mein Narzissmus – die narzisstische Seite, die jeder hat – eine Charaktereigenschaft und nicht als eine Diagnose anzusehen.“
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Dem Psychotherapeuten zufolge wissen nur die wenigsten Menschen, dass „wir alle Veranlagungen für psychische Krankheiten in uns haben: histrionische Anteile, Boderline-Anteile“. Narzissmus sei eine Selbstregulations-Funktion, um ein gutes Selbstwertgefühl zu haben. „Die Störung beginnt, wenn hierdurch ein Leiden entsteht, also jedes Streben dazu dient, das eigene Selbstwertgefühl um jeden Preis hochzuhalten“, sagt Hagemeyer. Davon seien die meisten „Narzissten“, die wir im Alltag als solche bezeichnen, aber weit entfernt.
Und wie soll man mit dieser Diskrepanz aus psychologischem Sprachgebrauch und tatsächlicher Diagnose nun umgehen? Indem wir uns mit den Phänomenen dahinter beschäftigen, findet Stefanie Stahl: „Auch wenn nicht jeder psychologische Fachbegriff immer ganz korrekt benutzt wird, ist die Psychologisierung unserer Gesellschaft zu begrüßen: Wenn die Menschen reflektierter werden, besteht eine große Chance für unsere Gesellschaft, dass immer mehr Menschen sich ihres eigenen Anteils an einem Problem bewusst werden. Und somit weniger geneigt sind, ihre persönlichen Probleme auf andere Menschen zu projizieren.“
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