Hurghada.. Nach der ägyptischen Revolution fehlen in den Touristenorten die Gäste. Doch im Ferienort Hurghada am Roten Meer ist auch von einem „new spirit“ die Rede, der sich seit dem Sturz von Ex-Präsident Mubarak breit macht.
Bunte Kleider für die Dame, lange Galabija-Gewänder für den Herrn, dazwischen Papyrus und Skarabäus-Käfer - das Sortiment von Mohammed Essam in Hurghadas Basarstraße lässt Touristenherzen höher schlagen. Doch statt zu verkaufen sitzt Essam wie die meisten Ladenbesitzer in diesen Tagen gelangweilt vor seinem Schaufenster. Denn wo sonst Touristenmassen in Ägypten für quirliges Gedränge sorgen, sind die Ausländer heute an einer Hand abzählbar. „Warum kommen die Deutschen nicht?“ ruft Essam dem Reporter zu, den er zielsicher als Deutschen erkennt. „Hier ist doch alles friedlich und ruhig!“
Ruhig ist es in Hurghada in der Tat, viel zu ruhig für die Stadt in Ägypten, deren 80 000 Einwohner praktisch alle direkt oder indirekt vom Fremdenverkehr leben. Gerade jetzt bevölkern normalerweise ähnlich viele Gäste die Straßen und Strände. Doch nachdem Ende Januar im fernen Kairo die Revolution ausbrach, ebbte der Touristenstrom ab. Statt täglich 110 Flieger landeten zuletzt kaum zehn Maschinen an Hurghadas Flughafen.
Nichts verkauft
Seit vier Wochen habe er praktisch nichts verkauft, klagt Essam in bestem Deutsch, „und vom Staat gibt es auch keine Hilfe“. Da geht es dem Händler kaum anders als Heerscharen von Kellnern, Putzkräften oder Tauchlehrern, die in den vergangenen Wochen mangels Touristen erst ihren Jahresurlaub und dann unbezahlt frei nehmen mussten. „Wir zahlen einen hohen Preis für die Revolution“, ist in Hurghada oft zu hören. Und wenn das Geld fürs tägliche Brot ausbleibt, schmeckt der Sieg der Freiheit nicht mehr ganz so süß. Was Essam von dem Umsturz hält? „Ich weiß nicht“, sagt er und wiegt skeptisch den Kopf.
Wer in Hurghada nach Spuren des neuen, freien Ägyptens sucht, muss genau hinschauen. Umgestürzte Präsidentenstatuen sucht man vergebens. Und die ausnahmslos nach dem ungeliebten Ex-Regierungschef benannten Wohnviertel (Mubarak 1, Mubarak 2, Mubarak 3. . .) hat auch noch niemand umbenannt. In der Provinz am Roten Meer breite sich vor allem ein „new spirit“, ein „neuer Geist“ aus, sagen viele in der Urlaubsregion.
Enormer Motivationsschub
Die Angst – etwa vor unkalkulierbaren Demütigungen der Polizei – sei Würde und Selbstbewusstsein gewichen. Und ähnlich wie in Kairo, wo nach den Demonstrationen Bürger den Tahir-Platz fegten, sei auch in Hurghada mit einem Schlag das Bewusstsein für die eigene Heimat gewachsen, sagt Amr Ali von der Umweltorganisation Hepca. „Seit 20 Jahren streiten wir über die Überfischung des Meeres“, erzählt er. „Und zum ersten Mal gibt es jetzt bei den Fischern ein Bewusstsein dafür, dass sie es selbst in der Hand haben, wie lange sie hier noch fischen können.“
Auch Hoteldirektor Erwin Popov freut sich über den neuen Geist in seinem Haus. „Die wissen jetzt, dass sie Rechte haben“, sagt der Chef des „Grand Ressort“ über sein Personal. Eigentlich ungewöhnlich, dass sich ein Chef über derartige Einsichten freut. Doch anstatt sich vor Protesten zu fürchten, registriert der gebürtige Schweizer einen enormen Motivationsschub. Das neue Freiheitsgefühl „ist unglaublich mitreißend, fast wie eine Droge“, sagt Popov, dessen Haus mit rund 20 Prozent Auslastung derzeit noch zu den besser gefüllten in Hurghada zählt.
Wie nah nach der Revolution indes unbändige Freude und Trauer beieinander liegen wird ebenfalls im „Grand Ressort“ deutlich. Bevor dort Ägyptens Vize-Tourismusminister Hisham Zazou den eingeladenen Journalisten vom neuen, friedlichen Ägypten erzählt, beginnt eine lange Schweigeminute für die mehr als 300 Todesopfer der Demonstrationen in Kairo.
Unklare Lage
So dramatisch war der Umsturz in Hurghada längst nicht. Trotzdem hatte Birgit Baumann „große Angst, dass es in Gewalt umschlägt“, sagt die Kunstlehrerin an der Deutschen Schule. „Plötzlich gab es kein Internet mehr, die Banken waren zu, der Strom ist ausgefallen – und dann war auch noch die Polizei weg“, blickt sie auf die unklare Lage Anfang Februar zurück. Wie viele der rund 6000 deutschen Einwohner Hurghadas hat die 39-Jährige, die vor ihrer Auswanderung Regieassistentin am Bochumer Schauspielhaus war, zu Beginn der Unruhen Ägypten den Rücken gekehrt – und ist jetzt umso lieber wieder dort. „Das ist hier jetzt ein anderer Bewusstseinszustand“, sagt sie – und macht sich doch keine Illusionen: Bis zu einem stabilen Staatssystem wird es noch lange dauern. Aber anders als vor der Revolution „sehe ich für mein viereinhalbjähriges Kind jetzt eine gute Zukunft – hier in Ägypten“.
Für den Tourismus dürfte diese wohl schon bald wieder anbrechen. Die Fluglinien fahren seit dieser Woche ihre Kapazitäten wieder hoch – auch um Last-Minute-Reisende zu transportieren, die derzeit ab 300 Euro pro All-Inclusive-Woche ans Rote Meer fliegen. Bis es wieder richtig voll wird, wollen Frank und Anja aus Münster Sonne und Strand noch in Ruhe genießen. „Wir dachten, dass es hier Einschränkungen gibt, aber es ist alles bestens“, sagt die Urlauberin, die seit vergangenem Wochenende in Hurghada ist. Ferien am Rande der Revolution können eben auch einfach nur Spaß machen.