Kairo.. Die ägyptische Bloggerin Dalia Ziada sagt: „Demokratie ist nicht westlich oder östlich. Sie ist eine Regierungsform, die die Rechte der Menschen schützt.“ Im Interview warnt sie davor, dass die Moslem-Bruderschaft einen „religiösen Staat errichten“ wolle.
Dalia Ziada (29) betreibt einen in Ägypten bekannten Internet-Blogg. Sie hat mehrere internationale Preise erhalten, veröffentlicht unter anderen in der Washington Post und arbeitet bei der Bürgerrechtsorganisation American Islamic Congress in Kairo. Hannes Koch sprach mit ihr über die Zukunft des Landes.
Sie sind eine der bekanntesten Bloggerinnen Ägyptens und haben am Aufstand auf dem Tahrir-Platz teilgenommen. Wie stellen Sie sich das politische System ihres Landes in der Zukunft vor?
Ziada: Wir wollen ohne Angst leben. Wir wollen frei sprechen, öffentlich diskutieren und schreiben, was uns am Herzen liegt. Vor einem Jahr habe ich eine regimekritische Untersuchung veröffentlicht. Am nächsten Morgen standen Polizisten vor meinem Büro. Als ich morgens ankam, sah ich sie rechtzeitig und bin ihnen gerade noch entgangen. Sie behandeln uns wie Kriminelle. Das soll ein Ende haben. Ägypten muss eine liberale Demokratie werden.
Eine Demokratie westlicher Prägung?
Demokratie ist nicht westlich oder östlich. Sie ist eine Regierungsform, die die Rechte der Menschen schützt. Zum Beispiel die Gleichberechtigung der Frauen.
Was würde sich dann ändern?
Frauen in Ägypten haben heute grundsätzlich das Recht zu arbeiten und Geld zu verdienen. Aber die meisten bleiben doch zu Hause, obwohl viele ein anderes Leben führen möchten. Das hat mit dem Artikel 11 unserer Verfassung zu tun. Darin ist von den „Pflichten der Frauen gegenüber ihren Familien“ die Rede. Nicht nur diesen Artikel wollen wir ändern. Frauen müssen mehr Zugang zu Bildung und zur Politik bekommen.
Sie sind gläubige Muslimin. Soll das neue Ägypten religiöser werden als das alte?
Keinesfalls, unser Land ist kein zweiter Iran. Der Glaube an Gott gehört zur Privatsphäre und hat in der Politik nichts zu suchen. Religion darf nicht dazu dienen, die Menschen zu kontrollieren. Ich bin dagegen, aus Ägypten einen islamistischen Staat zu machen.
Haben Sie Angst, dass die einflussreiche Moslem-Bruderschaft genau das plant?
Ja, die Moslem-Bruderschaft will einen religösen Staat errichten. In ihrem Programm von 2008 steht, dass Frauen und Christen keine führende Rolle in der Politik spielen sollten. Derartige Absichten bestreitet die Moslem-Bruderschaft zwar, aber ich glaube ihr nicht. Zum Glück wird sie nicht viel Unterstützung erhalten bei ihrem Versuch, das islamische Recht der Scharia einzuführen.
Was macht Sie so sicher?
Mehr als 50 Prozent der Menschen in unserem Land sind jünger als 25 Jahre. Die meisten von ihnen sind gegen die Moslem-Bruderschaft und gegen einen religiösen Staat. Hinzu kommen Christen und Juden, die 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die Moslem-Bruderschaft kann höchstens ein Drittel der Wähler hinter sich versammeln. Und das reicht nicht, um ihre Ziele durchzusetzen.
Welche nächsten Schritt müssten die Aktivisten unternehmen, damit die Revolution nicht verloren geht?
Am wichtigsten ist es, das zu sichern, was wir bisher erreicht haben. Die Regierung muss uns Garantien geben, dass sie nicht wieder alles zurückdreht, wenn die Menschen nicht mehr auf der Straße sind. Ein Punkt dabei ist die Garantie der Straffreiheit für alle, die die Regierung kritisieren.
Wie wollen Sie das erreichen?
Wir müssen schnell eine Führung benennen, die unsere Interessen offiziell vertreten kann. Einer, der auf jeden Fall dazu gehören sollte, ist Wael Ghoniem von der Gruppe „Khaled Saed“, die auf facebook hunderttausende Anhänger hat. Wael Ghoniem sollte an den Verhandlungen mit der Regierung teilnehmen.
Und Sie – würden Sie auch eine Rolle übernehmen?
Wenn man mich fragte, würde ich mitmachen. Im Augenblick ist allerdings alles sehr unübersichtlich. Es ist schwierig, an die richtigen Leute heranzukommen.