Ouarzazate. Der Süden Marokkos zieht Regisseure aus der ganzen Welt an: Hollywood-Streifen wie “Black Hawk Down“ oder der Serienhit “Game Of Thrones“ wurden hier vor traumhaften Orientkulissen gedreht - in einem Land, das sich zu wandeln beginnt.
Jesus Christus braucht mehr Haarspray. Eine Frau im Ringelpullover salbt sein Haupt mit Pflegeöl – und der Messias trinkt geduldig seinen Kaffee. Es ist gerade Drehpause in den Atlas Studios am Stadtrand von Ouarzazate, wo sie eine Bibel-Doku produzieren.
Der Film ist deutsch, aber die meisten Schauspieler kommen hier aus Marokko. So wie Fouad Mansour, der einen Pharisäer gibt und abseits des Sets von seinen Filmabenteuern erzählt. An der Seite von Timothy Dalton habe er schon gespielt, und in „Gladiator“ sei er der Typ gewesen, der in der Arena immer „töte ihn, mach ihn kalt!“ geschrien habe. „Was für ein Spaß“, sagt der weißbärtige Mann mit der wettergegerbten Haut und schaut extra grimmig, bevor er dann doch lachen muss.
Von Ägypten nach Jerusalem in ein paar Minuten
Dutzende Kinostreifen und Serien sind hier entstanden, Martin Scorseses „Kundun“, Ridley Scotts „Black Hawk Down“ oder die US-Serie „Game Of Thrones“. Ausländische Produzenten lieben das gute Licht - nun ja, und die günstigen Arbeitskräfte. Und Marokko gilt im Gegensatz zu manch anderen Staaten Nordafrikas, die Orientkulissen bieten, als ziemlich sicher. „Was du hier siehst, ist alles unecht, es ist fake“, sagt Studio-Guide Essaid, der mich durch die Kulissen führt. Neben uns erhebt sich ein Tempel, der bloß eine Pappmascheewand vor einem Holzgerüst ist.
Wir schlendern durchs persische Isfahan aus „Der Medicus“ bis nach Ägypten, wo die Pyramiden nur drei Meter hoch sind. Von hier sind die hölzernen Triboken gut zu erkennen, die bedrohlich vor den Stadtmauern Jerusalems stehen. „Du kannst hier mehrmals am Tag durch die ganze Welt reisen“, sagt Essaid. Fast jeder in Ouarzazate habe irgendwie mit dem Filmbusiness zu tun – sei es als Schauspieler, Statist, Techniker – oder eben als Studioguide, erzählt er. Als wir am unechten Düsenjet aus „Die Jagd nach dem Juwel vom Nil“ vorbei zum Ausgang kommen, wünscht mir der junge Mann „viel Spaß in der echten Welt“.
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Draußen in der Wirklichkeit wartet Aziz im Geländewagen auf mich. Der großgewachsene Mann, um dessen Mund immer ein ironisches Lächeln zu zucken scheint, arbeitet für einen Fahrdienst und bringt regelmäßig Filmteams von A nach B. Leonardo Di Caprio hat er mal gesehen, als der für einen Thriller vor der Kamera stand, erzählt Aziz.
"50 Cent? Keine Ahnung, wer das sein soll"
Den US-Rapper 50 Cent, der hier mal einen Film gemacht hat, habe er allerdings nicht erkannt. „Ich hatte keine Ahnung, wer das sein soll“, sagt er, setzt seine dunkle Sonnenbrille auf und schmunzelt. Wir fahren vorbei an beigefarbenen Häusern – „die Farbe von Ouarzazate“, erklärt Aziz – und Fünf-Sterne-Hotels, in denen die Stars absteigen, wenn sie hier drehen. Unser Ziel ist die Wüste, die knapp 400 Kilometer entfernt im Osten liegt. Ein kleiner Umweg führt uns nach Ait-Ben-Haddou, der uralten Karawanenfestung. Als wäre sie aus der Erde gewachsen, liegt die Stadt mit ihren Lehmtürmen am Fuß eines Hügels und am Ufer des Asif Mellah.
Der Fluss, der manchmal komplett austrocknet, führt gerade viel Wasser. Über Sandsäcke und Steine kommen wir einigermaßen trockenen Fußes in die Stadt, die mal Kulisse für „Lawrence von Arabien“ war.Man kann sich gut vorstellen, wie wuselig es einst in den engen Gassen gewesen sein muss. Heute wohnen hier nur noch ein paar wenige Familien. „Die Leute wollen näher an die großen Städte“, sagt Aziz und zeigt mir einen Feuerturm. Mit dessen Hilfe haben die Einwohner früher mit den anderen Festungen kommuniziert, die sich entlang des Flusses bis zur Mittelmeerküste ziehen. Wir machen uns in die entgegengesetzte Richtung auf, immer weiter ins Landesinnere.
Schulkinder fahren per Anhalter
Die staubigen Landstraßen sind gesäumt von blühenden Mandelbäumen. „Der Mandelbaum ist ein Lügner“, sagt Aziz, „er blüht als erster, obwohl noch Winter ist“. Wir pausieren in einer abgelegenen Herberge nahe der Oase Fint.
Rachid, ein älterer Herr mit weißem Bart und blauem Turban lädt uns spontan zu Pfefferminztee ein. Der Tee ist unfassbar süß und reißt am Zehnschmelz, aber Rachid wirft sicherheitshalber noch ein paar Zuckerwürfel nach. „So schmeckt Marokko“, sagt Aziz und schlürft das heiße Getränk, bevor wir unsere Route fortsetzen. Auf engen Bergstraßen schrauben wir uns den Atlas hoch, am Straßenrand winken Teenager, die per Anhalter von der Schule nach Hause fahren wollen.
Viele tragen kein Kopftuch mehr
Viele der Mädchen tragen kein Kopftuch und kaum ein Junge steckt in einer Djellaba, jenem traditionellen Berbergewand mit Kapuze, das nur noch die Älteren tragen. Hier und da sehen wir junge Paare, die Händchen halten. „Als ich um meine Frau geworben habe, musste ich das noch heimlich machen“, erzählt Aziz, der Anfang 40 ist. In den letzten 15 Jahren habe sich viel verändert in Marokko. Die Menschen lebten heute freier, die meisten hätten jetzt Internet.
In beinahe jedem Café am Straßenrand hängen Porträts vom König. Die meisten hier scheinen zufrieden, weil die Regierung stabil und recht liberal ist. Viele lesen allerdings heimlich französische Zeitungen, verrät mir ein Händler; denn in den einheimischen Blättern gehe es vorrangig sowieso nur um die Königsfamilie.
Die Landschaft um uns wird rauer, 300 Meter hoch ragen rechts und links von uns die Steilwände der Todraschlucht in den Himmel. Vereinzelt hängen Sportkletterer an den Felsen – und die Bergziegen der Nomaden. Ziegenfleisch sei überhaupt das beste, sagt Aziz: „Mein Vater hat nur Ziege gegessen, und ist immer gesund.“ Über Erfoud gelangen wir in die Wüstenstadt Merzouga. Das einstige kleine Dorf ist inzwischen ein Touristenzentrum mitten in der Sahara: Überall gibt es Restaurants und Souvenirläden, und in den Gassen sind mehr Japaner unterwegs als einheimische Berber.
Mit Jimi Hendrix durch die Sahara
Ein paar Stunden später sitze ich auf Jimi Hendrix. So heißt das Dromedar, auf dem ich in die Dünenlandschaft des Erg Chebbi reite. Ob er denn auch Gitarre spielen kann, frage ich Mohammed, der das Dromedar führt. „Manchmal, wenn er denkt, dass keiner ihn hört, spielt er ein, zwei Lieder“, sagt er. Auf einem Sandhügel machen wir halt, um auf den Sonnenuntergang zu warten, und ich steige von Jimi, froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Um uns sind die golden leuchtenden Dünen, deren Kämme scharf wie Rasierklingen aussehen. Es herrscht eine Ruhe, die in den Ohren schmerzt. Wie es so sei, wenn man in einer Stadt wohnt, fragt mich Mohammed. „Laut“, sage ich. Das sei nichts für ihn, er kann sich nur ein Leben in der Wüste vorstellen. „Ich bin müde“, sagt er plötzlich, zieht seinen Turban enger um den Kopf und schläft ein. Also streife ich noch ein wenig allein um unser kleines Lager. Über mir kreist ein tiefschwarzer Rabe. Mich beschleicht das mulmige Gefühl, dass ich mich hier in den Dünen wirklich vollends verirren und verlieren könnte, wenn ich auf mich allein gestellt wäre. Das Nichts aus blauem Himmel und goldenem Sand ist hier alles - das Ich ist gar nichts.
Als ich zurück zu Mohammed und Jimi komme, ist es soweit: Die Sonne wird plötzlich immer größer, ihr Untergang beginnt. Ich bin überrascht, dass er gelb ist und nicht rot. In der Ferne sind ein paar Nomaden unterwegs, die als Schatten vor dem überwältigenden Leuchten im Sand wandern. Es ist wie im Film -- nur, dass es echt ist.