Berlin. . Ein groß angelegtes Forschungsprojekt sucht nach Mustern und Warnsignalen, um neue Attentate zu verhindern. Dazu werden zwölf Amokläufe an deutschen Schulen analysiert und mit Amoktaten Erwachsener verglichen. Auch Interviews mit überlebenden Tätern sind geplant. Erste Ergebnisse soll es 2014 geben.

Erfurt, Emsdetten, Winnenden – diese Orte sind untrennbar mit schrecklichen Amokläufen an Schulen mit vielen Toten und Verletzten verbunden. Immer wieder stellt sich nach solchen Taten die Frage: Warum wird ein Schüler zum Amokläufer? Wieso will er möglichst viele Mitschüler und Lehrer töten? Und hätte man die Tat nicht verhindern können?

Antworten darauf will jetzt ein deutschlandweites Forschungsprojekt unter Federführung der Freien Universität Berlin liefern. Ziel ist es, wiederkehrende Muster im Vorfeld solcher Taten und Warnsignale zu erkennen, um so genannte „School Shootings“, also Schießereien an Schulen, möglichst weit im voraus zu verhindern.

Deutschland auf Platz zwei nach USA

Dazu analysieren Forscher-Teams alle zwölf Amokläufe an deutschen Schulen seit 1999. Damit liegt Deutschland im weltweiten Vergleich auf Platz zwei hinter den USA. Verglichen werden sie mit hunderten Amokdrohungen, Amoktaten Erwachsener, Terroranschlägen und Tötungsdelikten von Jugendlichen.

Auch interessant

Zudem sollen Interviews mit noch lebenden Tätern, Opfern und Angehörigen geführt werden. Neben Wissenschaftlern aus Psychologie, Kriminologie, Psychiatrie, Soziologie und Pädagogik sind auch Institutionen aus der Praxis einbezogen – etwa Polizei und Medienverbände.

Amoktaten haben ein enormes Nachahmungspotential

„Die Hintergründe sind oft schlecht erarbeitet. Häufig fehlen Quellen und auch Gerichtsakten werden selten erforscht. Wir wollen die Entwicklung hin zu einer Tat nachbilden und streben einen Fortschritt in Hinblick auf Vorhersage, Vorbeugung und Intervention solcher Gewalttaten an“, sagt Prof. Dr. Herbert Scheithauer, Entwicklungs- und Klinischer Psychologe der FU Berlin und Koordinator des Projekts mit dem Namen „Target“ (Tat- und Fallanalysen hochexpressiver zielgerichteter Gewalt).

„Es geht hier um ein sehr seltenes Phänomen. Es ist wahrscheinlicher an einem Bienenstich zu sterben, als bei einem Amoklauf“, sagt Scheithauer. „Aber es handelt sich um sehr traumatische Ereignisse, unter denen das allgemeine Sicherheitsgefühl der Bevölkerung leidet.“

Zudem haben Amoktaten ein enormes Nachahmungspotenzial. Prof. Dr. Andreas Zick vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Uni Bielefeld spricht von einer „weltweiten Heroisierung“, vor allem durch das Internet. Attentäter versuchen frühere Taten zu kopieren und befruchten sich gegenseitig.

Früherkennungsprojekt "Netwass" startet in drei Bundesländern

Dass sich schwerer Schulgewalt vorbeugen lässt, belegt das kürzlich abgeschlossene Früherkennungsprojekt „Netwass“ (Network against School Shootings), dessen Ergebnisse in die neue Untersuchung einfließen. Dabei wurden an rund 100 Schulen in Berlin, Brandenburg und Baden-Württemberg Krisenpräventions-Teams eingerichtet und speziell geschult.

240 Vorfälle wurden gemeldet und in Beratungen erfolgreich behandelt. In zehn Fällen habe es eine Kombination von Risikofaktoren gegeben, darunter aggressives Verhalten, exzessiver Konsum von Gewaltmedien und Drohungen.

„Das Projekt hat gezeigt, dass sich das Sicherheitsgefühl an Schulen, das Schulklima und das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern mit relativ geringem Aufwand verbessern lässt“, sagt Herbert Scheithauer. Dabei gehe es nicht nur darum, mögliche Attentäter zu erkennen, sondern Schülern, die sich in einer Krise befinden, Hilfe anzubieten. Extrem selten gipfele eine Krise in einem Amoklauf, häufig führe sie aber zu Depressionen oder Selbstmordtendenzen, so Scheithauer. Derzeit laufen Gespräche mit den Bundesländern, um „Netwass“ flächendeckend zu etablieren.

Das neue Projekt ist ebenfalls auf drei Jahre angelegt und wird mit mehr als drei Millionen Euro vom Bundesbildungsministerium gefördert. Mit ersten Ergebnissen ist in einem Jahr zu rechnen. Allen möglichen Forschungserfolgen zum Trotz sei aber klar, so Scheithauer: „Es wird wieder School Shootings geben.“