Köln/Unna/Essen. Angeblich werden junge Menschen - gerade Studenten - immer unselbständiger, angefangen beim Wohnen im “Hotel Mama“. Studienberater erkennen andere Trends: Besonders Uni-Anfänger aus Kleinstädten wünschen sich ein eigenes Reich. Dabei sind für diesen Sprung einige Hürden zu nehmen.
Ganz neu ist der angebliche Trend zum "Hotel Mama" nicht. Amerikanische Komödien ranken sich um Nesthocker. Bereits vor drei Jahren stellte eine "Coaching Doku" eines Privatsenders diejenigen in den Mittelpunkt, die mit 25 Jahren noch zu Hause wohnen. Und Statistiken belegen, dass viele junge Menschen auf den Komfort des Elternhauses nicht verzichten wollen. Doch was ist dran am Bild des unselbständigen Mittzwanzigers, der noch nie eine Waschmaschine bedient hat und dessen Eltern sich verzweifelt an die Hoffnung klammern, dass ihn eines Tages die richtige Frau hinauslockt in die große weite Welt?
Cornelia Gerecke vom Kölner Studentenwerk kann keinen Trend zum "Hotel Mama" erkennen. Laut der letzten Sozialerhebung wohnt nur ein Viertel der Kölner Studenten bei den Eltern. Im NRW-Landesdurchschnitt sind es 28 Prozent. Der größte Teil der Kölner Studenten, rund zwei Drittel, lebt in einer Mietwohnung. Gerade Wohngemeinschaften sind in ganz NRW beliebt.
Nur sieben Prozent der Kölner Studenten wollen zu Hause wohnen
Wer zum nächsten Wintersemester sein Studium beginnt, für den hätte es aus Sicht der Studentenwerks-Sprecherin Gerecke aber durchaus Vorteile, weiterhin zu Hause zu wohnen. "Durch den Wegfall des Wehrdienstes suchen jetzt noch mehr Studenten nach Wohnungen als sonst", erklärt sie. "Das macht sich gerade in einer großen Stadt wie Köln bemerkbar."
Auch die Nachfrage nach Apartements in Studentenwohnheimen ist laut Studentenwerk gestiegen - besonders bei jungen Männern, die sich laut Klischee besonders gern im "Hotel Mama" verwöhnen lassen. 2006 wohnte nur jeder zehnte männliche Berufsanfänger in einem Wohnheim, inzwischen sind es zwölf Prozent. Und: "Ginge es nach den Wohnwünschen der Studierenden, würden in Köln deutlich weniger im Elternhaus wohnen, nämlich nur sieben Prozent", erklärt das Studentenwerk.
Wohnen ist Typsache: Sparfuchs oder Weltenbummler?
Für Cornelia Gerecke müssen die Studierenden letztlich selbst entscheiden, welche Vor- und Nachteile der verschiedenen Wohnsituationen sie überzeugen. Pragmatischer Sparfuchs oder Weltenbummler, der auf Wohnheimpartys und Lerngruppen in den eigenen vier Wänden nicht verzichten möchte? Das ist eine Typfrage, sagt auch Walburga Wolters, Leiterin der Kölner Studienberatung.
"Manche springen gern ins kalte Wasser, andere wollen erstmal die Lage sondieren", erklärt sie. Dass jemand aus einer eher ländlichen Gegend in die große Stadt zieht, komme häufig vor. "Wer in einer Kleinstadt oder auf dem Land aufwächst, ist oft schon so gepolt, dass er zum Studium umziehen muss", hat Wolters beobachtet. "Aber die Verhältnisse sind eben unterschiedlich."
"Hotel Mama" ist eher eine Frage der Herkunft als des Alters
Dass die Herkunft eine wichtige Rolle für die Frage "Ausziehen oder nicht?" spielt, beweist zum Beispiel Anna Mayr. Die 18-Jährige hat in diesem Jahr ihr Abitur in Unna gemacht und einen Artikel darüber geschrieben, was sie hinaus aus der kleinen Stadt hinein ins große Köln zieht. Letztlich waren es pragmatische Gründe: "In Unna kann man eindeutig nicht studieren", erklärt die zukünftige Geografie-Studentin. In Köln dagegen gibt es ihre Wunschfächer.
Dabei hat Anna Mayr nichts gegen Unna. "Es ist eine schöne Stadt zum Großwerden. Zum Großsein aber eher nicht", sagt sie. Im Gegensatz zu ihren Freunden, die schon immer in Aachen oder Berlin gelebt haben und dort nun auch studieren, ist sie froh um die Gelegenheit zum Absprung. "Mir ist es wichtig, mein eigenes Reich zu haben. Und ich glaube, das ist eine Erfahrung, die man machen sollte."
Werden die heutigen Endzwanziger nicht erwachsen?
Für die Abiturientin ist der Unistart der ideale Zeitpunkt: "Im Studium hat man noch eine gewisse Struktur um sich, kann sich mit Fragen an bestimmte Leute wenden", sagt sie. "Mit der eigenen Wohnung muss man aber auch im praktischen Leben etwas meistern."
Die Vorgänger-Generation von Anna Mayr hat das Erwachsenwerden verpasst, heißt es immer wieder. Den heutigen Endzwanzigern wird gern nachgesagt, sie könnten und wollten sich nicht entscheiden. Die Journalistin Meredith Haaf hat vor rund einem Jahr mit einerAnalyse ihrer Altergruppe für Aufsehen gesorgt.
Unter anderem heißt es in ihrem Buch "Heult doch" über die Twens von heute: "Sie sind so mobil, dass sie sich mit Mitte Zwanzig wieder nach dem warmen Nest sehnen." Haaf geht mit derartigen "Luxusproblemen" ins Gericht und fordert mehr Eigenverantwortung.
Allein zu wohnen ist nicht das einzige Kriterium für Selbständigkeit
Studienberaterin Walburga Wolters hingegen wirbt um Verständnis, vor allem für die nachwachsende Generation, die jetzt an die Unis strömt. Sie erwartet keine Trendwende - im Gegenteil. Der Zeitpunkt von Abitur und Studienbeginn verschiebt sich nach vorn, die Studenten sind also heute jünger als vor zehn Jahren, wenn sie an die Uni kommen. "Von einem knapp 18-Jährigen kann man nicht erwarten, dass er nur freie Bahn haben will", sagt sie.
Allerdings empfiehlt sie, irgendwann während der Uni-Zeit einmal etwas anderes als das Elternhaus kennen zu lernen. Wer immer bei Mama geblieben sei, müsse sich vielleicht bei der Jobsuche auf Nachfragen einstellen. "Das Ausziehen macht einen meist schon selbstständiger", erklärt Wolters.
Wer sich partout keine eigene Wohnung leisten kann und keinen Platz im Wohnheim findet, könnte diesen soft skill aber auch anders nachweisen, etwa durch ein Auslandssemester. Denn: "Schließlich geht es darum, ob jemand initiativ ist und eine klare Vorstellung davon hat, wohin er will - und weniger darum, wie häufig er selber kocht."