Essen. . Deutschlands Geisteswissenschaftler klagen, dass immer weniger Abiturienten wirklich reif für die Uni seien. Demnach haben Studienanfänger große Lücken in der Rechtschreibung, Grammatik und in der Lesekompetenz. Schuld seien SMS und Internet. Oder ist es vielleicht die Schule?

Die Qualität der Abiturienten in Deutschland ist gesunken. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage unter Hochschulprofessoren. Ein Resultat der bisher unveröffentlichten Befragung ist, dass Studienanfänger große Lücken in der Rechtschreibung, Grammatik und Lesekompetenz aufweisen. „Über die Anzahl der Klagen waren wir bestürzt“, sagte der Initiator der Befragung, Prof. Gerhard Wolf von der Universität Bayreuth, der WAZ Mediengruppe. Die Mängel in der „Studierfähigkeit“ seien die Folge davon, dass an Schulen die Bildungsstandards nicht mehr beachtet würden.

Auch der Bundesverband der Philologen kritisiert die Entwicklung an den Schulen im Fach Deutsch. „Das kommt davon, wenn über Jahre die Lehre von formalen Regeln zu Gunsten des inhaltlichen Verständnisses vernachlässigt wird“, sagte der Bundesvorsitzende Heinz-Peter Meidinger.

Mangelnde Deutschkenntnisse durch SMS und E-Mails

Schon im frühen 19. Jahrhundert beklagten sich Professoren darüber, dass Schüler studieren durften, die von ihrem Gymnasium mit dem Zeugnis der „Untüchtigkeit“ entlassen worden sind. Ein Grund, warum 1834 zunächst in Preußen und dann im gesamten Deutschen Bund ein „Zeugnis der wissenschaftlichen Vorbereitung zum Studium“ verlangt wurde. Das Abitur. Eine Urkunde der Bildungsqualität, die sich mittlerweile immer mehr Schüler einrahmen lassen können. Fast 50 Prozent der Schulabgänger erreichten 2010 die Hochschul- oder Fachhochschulreife. In den 1950er Jahren waren es gerade sechs Prozent.

Auch wenn die Kultusminister der Länder im aktuellen Bildungsbericht zu dem Schluss kommen, dass die wachsende Menge der Abiturienten nicht an Qualität eingebüßt hat, ist der Philosophische Fakultätentag anderer Meinung. Nach der Umfrage des Vorsitzenden, Gerhard Wolf, ist die tatsächliche Studierfähigkeit der künftigen Studenten gesunken. In der nicht repräsentativen Erhebung an 60 Philosophischen Fakultäten (Rücklaufquote 50 Prozent) kam heraus, dass die Kenntnisse in Grammatik, Satzbau und Rechtschreibung eher schlecht seien. Schuld daran sei auch die neue Form der Kommunikation per Kurzmitteilung auf Handy oder Computer.

Wer nicht weiter kommt, schickt eine SMS an Freunde

„Studenten können sich nur noch kurze Zeit auf ein Thema konzentrieren. Vor allem bei Schwierigkeiten suchen sie gleich die Lösung im Internet oder via SMS bei Freunden“, sagte der Bayreuther Hochschulprofessor im Gespräch mit der WAZ Mediengruppe. Ein weiterer Grund für die Kenntnislücken liege in der mangelnden Beachtung von Bildungsstandards an Schulen. Ob Schüler die Regeln der deutschen Sprache beherrschten, werde laut Wolf nur noch bis zur Mittelstufe geprüft. Dies bereite speziell den geisteswissenschaftlichen Fächern Schwierigkeiten.

Auch die Vertretung der Lehrerinnen und Lehrer, die Schüler auf das Abitur vorbereiten, der Bundesverband der Philologen, sieht dieses Problem: „Das Niveau der Abiturienten ist im Pisa-Vergleich von 2000 zu 2009 schlechter geworden“, sagte der Bundesvorsitzende Heinz-Peter Meidinger. Dies sei die Quittung dafür, dass in den letzten 25 Jahren die Kultusminister die Blöcke Rechtschreibung und Grammatik aus den Lehrplänen herausgenommen haben. „Ein Irrweg. Mittlerweile werden an Grundschulen kaum noch Diktate geschrieben“, führte Meidinger aus.

Oje, wie schreibt man einen ganzen Aufsatz?

Inzwischen verstünden es die Schüler zwar längere Präsentationen zu halten, hätten aber Schwierigkeiten, strukturierte Aufsätze zu schreiben. Zudem habe die Lesekompetenz, insbesondere bei Jungen, nachgelassen. Das Resultat sei in den jüngsten Abiturprüfungen zu sehen. Mittlerweile sei die Quote derer, die im Fach Deutsch scheitern, von einem auf vier Prozent gestiegen.

Meidinger fordert, an den Schulen wieder mehr Schreibtraining einzuführen. Doch dazu müssten auch eine Erhöhung der Deutschstunden pro Woche erfolgen. „Wenn in Bayern in der neunten und in NRW in der zehnten Klasse nur drei Stunden pro Woche Deutsch unterrichtet wird, können die notwendigen Kompetenzen gar nicht erlangt werden“, führte Meidinger aus.

Dem Urteil Wolfs, dass die mangelnde Kompetenz der Schüler auch auf die schlechten Kenntnisse der Lehrer zurückzuführen sei, widersprach der Chef-Philologe heftig.