Hannover. PC und Handy sollen angeblich die Sprachkompetenz der Jugend verdorben haben - von LOL bis zum Smiley. Dabei wurde schon lange nicht mehr so viel freiwillig schriftlich gearbeitet wie in den letzten Jahren. Und das allein dank Internet.
Das Internet und mobile Geräte sind der Untergang des Abendlandes für unsere Sprachkultur. So oder so ähnlich lautet zumindest die Klage zahlreicher Vertreter der Offliner-Generation.
Doch das Gegenteil ist der Fall: Vor dem Netz und mobilen Geräten schrieben Jugendliche nur gezwungenermaßen – für den Unterricht, wenn es hoch kam noch ins Tagebuch. Das hat sich komplett gewandelt – es wird gebloggt, gesimst, getwittert, gefacebookt und vieles andere mehr. Gemeinsam ist all dem, dass es stets schriftlich erfolgt.
Es schreiben mehr junge Leute denn je
Die Tatsache, dass das Netz der Sprachkompetenz hilft anstatt ihr zu schaden, lässt sich sogar in Zahlen fassen. Andrea Lunsford, Professorin für Englisch und Rhetorik an der Stanford University, organisierte bereits von 2001 bis 2006 die "Stanford Study on Writing", bei der Textproben von fast 15.000 Studenten, allesamt Vertreter der angeblichen "Die schreiben nicht mehr"-Generation, untersucht wurden. Der Input reichte dabei von Hausarbeiten und anderem universitären Material über Persönliches wie Tagebucheinträge bis hin zur mutmaßlichen Chaoskommunikation aus den Bereichen Chat, Blog-Posting und Mail.
Für Lunsford ergibt sich aus den dabei gewonnenen Daten und der Entwicklung der darauf folgenden Jahre nur ein Schluss: "Ich denke, dass wir uns mitten in einer Revolution der Lese- und Schreibfähigkeit befinden, wie wir sie nicht mehr seit der griechischen Zivilisation gesehen haben", sagte sie dem Magazin "Wired". Technologie zerstöre die Fähigkeit zu Schreiben nicht, ganz im Gegenteil, sie belebe sie und gebe ihr eine ganz neue Richtung. Heute schrieben mehr junge Leute als alle erforschten Generation vor ihnen, so die Professorin.
Online zählen Worte wieder was
Unlogisch ist diese Entwicklung nicht. Das Internet ist trotz aller aufkeimenden Multimedialität von iTunes bis YouTube noch immer ein in der Hauptsache schriftliches Medium, sowohl im Bereich der Information als auch der Kommunikation. Tatsächlich ist das ein erstaunlicher Fortschritt, wenn man bedenkt, wie stark das Fernsehzeitalter den Konsumenten zuvor zum Berieselten gemacht hatte. Online zählen Worte nun wieder etwas. Tatsächlich macht es vielen Nutzern beispielsweise gar keinen Spaß, eine halbe Stunde lang eine Tonaufzeichnung durchzuhören, wenn sie auch eine Transkription durchsuchen können.
Wenn man von der Digitalisierung von Audio- und Videomaterial spricht, heißt das inzwischen längst, dass spezielle Algorithmen es schriftlich durchsuchbar machen. Text ist nicht unmodern, er ist die im Online-Zeitalter schlicht am einfachsten zu nutzende Mediengattung. Und das wird auch so bleiben.
Deppen-Leerzeichen und Blöden-Apostroph feiern fröhliche Urständ
Natürlich verändert sich Sprache in einem neuen Umfeld, wie es das neue digitale Reich darstellt, auch – und das keineswegs nur zum Positiven. So viel im Netz heute geschrieben wird, Fehlentwicklungen gibt es an allen Ecken und Enden. Ein paar Beispiele: Im Deutschen wird lustig neue und alte Rechtschreibung kombiniert, "das(s)"-Fehler gab es gefühlt kaum häufiger als heute, Kommasetzung, Deppen-Leerzeichen und Blöden-Apostroph feiern nicht nur auf Kurznachrichtendiensten wie Twitter oder in Blogs fröhliche Urständ, wo sie niemand mehr zu korrigieren trachtet.
Aber auch der Journalismus darf sich getrost verschämt in die Ecke drehen. In Online-Redaktionen werden haufenweise Schlussredakteure und Korrektoren durch schlecht funktionierende Rechtschreibprüfsysteme ersetzt, wenn es sie überhaupt jemals gab. Immerhin werden einem die dicksten Brummer durch Leserkommentare um die Ohren gehauen, doch eigentlich sollte die Endkontrolle ja vor dem Publizieren stattgefunden haben, eine "Ich kann es ja später schnell verbessern"-Haltung hat unter Sprachprofis eigentlich rein gar nichts verloren.
Was man nicht versteht, schlägt man eben nach
Und was ist mit dem Generationskonflikt, der sich im Netz widerspiegelt? Der lässt sich mit etwas Übung zumindest auf sprachlicher Ebene durchaus aufheben. Es gibt ja durchaus Menschen, die fürchten, dass sie angesichts des dank Internet und SMS eingeführten Abkürzungswirrwarrs nicht mehr mithalten könnten. ROFL und LOL, Smiley und ASCII-Code, all das erscheint ihnen als fremde Welt.
Dazu gibt es eigentlich nur zu sagen, dass es dank Google, Wikipedia und Co. keinerlei Grund mehr gibt, zu den Online-Sprachcode-Analphabeten zu gehören. Was man nicht versteht, schlägt man eben nach, es ist für jeden verständlich im Netz. verzeichnet. Wobei man sich vor dem eigenen Gebrauch besser beim Nachwuchs versichert, ob die Verwendung im jeweiligen Fall auch angemessen ist. Wer will schon die eigene Mutter in E-Mails Abkürzungen wie "WTF" oder "OMFG" nutzen sehen? Das geht dann doch ein bisschen zu weit.
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