Brüssel. Russland hat Finnland den Strom abgestellt. Schweden hält Sabotage-Akte für möglich. Nimmt Putin Rache an den Nato-Beitrittskandidaten?

Finnland und Schweden wollen der Nato beitreten. Die Finnen sprachen sich am Sonntag für eine Mitgliedschaft aus. In Schweden rangen sich die regierenden Sozialdemokraten dazu durch, ebenballs die langjährige militärische Neutralität aufzugeben – für die skandinavischen Nachbarn ist es ein Kurswechsel. Es gibt viele Parallelen:

  • Beide ziehen Konsequenzen aus dem Ukraine-Krieg.
  • Beide können sich auf Gegenreaktionen gefasst machen. Russlands Präsident Wladimir Putin hat seinem finnischen Amtskollegen Sauli Niinstö am Telefon in einem „direkten und aufrichtigen“ Gespräch klargemacht, dass der Schritt ein „Fehler“ sei.
  • In beiden Staaten wächst die Sorge vor russischen Provokationen und Gewaltaktionen.

Putins Rache: Dreht er auch noch den Gashahn zu?

Erstes Signal: Russland stellte seine Stromlieferungen nach Finnland ein. In der Nato wird noch Schlimmeres befürchtet.

Den Stopp der Stromimporte aus Russland teilte der finnische Netzbetreiber Fingrid unter Verweis auf Erklärungen des russischen Energieunternehmens Inter Rao in Helsinki mit.

Energieversorgung in Skandinavien: Konflikt mit Russland wegen Rubel

Zur Begründung erklärte das russische Unternehmen, für die Stromlieferungen im Mai kein Geld erhalten zu haben; dem war ein Konflikt um russische Forderungen nach einer Bezahlung in Rubel vorausgegangen.

Der finnische Netzbetreiber versicherte, durch Importe aus Schweden und Norwegen sei die Versorgungssicherheit gewährleistet. Nur etwa zehn Prozent des Stromverbrauchs würden durch russische Lieferungen abgedeckt.

Schwedische Sorge: Russland kann begrenzte Gewaltakte ausführen

Besonders heikel sind die kommenden Monaten – die Zeit, in der Finnland und Schweden einen Antrag für einen Beitritt schon gestellt haben, aber noch nicht dem Bündnis angehören. Zwei Strategien der Nato sollen Finnland und Schweden helfen.

Zum einen spricht die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) von einem „Fast-Track-Verfahren“. Im Klartext: möglichst schnell sollen die nationalen Parlamente der Mitgliedschaft zustimmen.

Nato-Beitritt: Die Türkei kann zum Störfaktor werden

Zum anderen soll es Sicherheitsgarantien für die Kandidaten geben. Die Allianz bereitet eine erhöhte Präsenz von Truppen im Ostseeraum vor.Zudem haben Finnland und Schweden offizielle Beistandszusagen erster Nato-Mitglieder für den Fall eines Angriffs erhalten, darunter von Großbritannien und Norwegen. Die Streitkräfte Schwedens und Finnlands sind abwehrbereit. Die finnische Armee kann im Kriegsfall 280 000 Soldaten mobilisieren und ist damit eine der stärksten Europas.

Ein Risiko besteht noch: die Türkei. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat seine Vorbehalte gegen die Nato-Aufnahme von Schweden und Finnland damit begründet, dass dort kurdischen Extremisten Zuflucht gewährt werde.

Nato-Beitritt: Finnischer Präsident sucht Gespräch mit Erdogan

Die Türkei kann die Aufnahme der Nord-Länder verhindern, weil ein einstimmiger Beschluss aller Nato-Staaten notwendig ist. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu reist diese Woche zu Beratungen nach Washington. Niinistö erklärte sich bereit, sich mit Erdogan zu treffen.

Gerade in der heiklen Übergangsphase wird Russland vieles zugetraut: Cyberangriffe, Provokationen der russischen Marine in der Ostsee, verstärkte Verletzungen des Luftraums.

Die Karte zeigt die bisherigen Nato-Mitglieder in Europa in blau, die wahrscheinlichen Neu-Mitglieder Schweden und Finnland in Gelb.
Die Karte zeigt die bisherigen Nato-Mitglieder in Europa in blau, die wahrscheinlichen Neu-Mitglieder Schweden und Finnland in Gelb. © dpa | dpa-infografik GmbH

Eine neue, offizielle Sicherheitsanalyse der Regierung in Stockholm zum Nato-Beitritt Schwedens hält aber noch viel massivere Attacken für möglich: Russland habe die Fähigkeit, „begrenzte Gewaltakte auch gegen Schweden durchzuführen, zum Beispiel Sabotage mit russischen Spezialeinheiten oder Operationen mit Langstreckenwaffen.“

Mit einem konventionellen militärischen Angriff rechnet die Analyse der Regierung, an der auch das Parlament beteiligt war, zwar nicht – Russlands sei durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine militärisch geschwächt. Aber: „Russland könnte Cyberangriffe, andere Formen hybrider Angriffe, Verletzungen des schwedischen Luftraums oder Küstenmeeres durchführen oder sich in Schwedens Umgebung auf andere Weise aggressiver verhalten“.

Putins Rache: Drohung mit Atomwaffen

Das schließe den drohenden Hinweis auf Atomwaffen ebenso ein wie die Verlegung militärischer Einheiten oder Waffensysteme in die unmittelbare Umgebung Schwedens. Am wahrscheinlichsten seien verschiedene Arten von Einflussnahmen auf die Öffentlichkeit oder Politiker.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Skandinavier befürchten Verletzungen des Luftraums

In Finnland äußern Politiker auch die Erwartung, dass Russland seine Gaslieferungen einstellen könnte. Auch dies gilt aber als verkraftbar. Zwar bezieht Finnland sein Erdgas zu 94 Prozent aus Russland – doch der Anteil von Gas am finnischen Energieverbrauch beträgt nur drei Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 27 Prozent.

Das russische Außenministerium hatte auf die finnische Positionierung zur Nato umgehend Reaktionen angekündigt, die auch „militärisch-technischer“ Art sein sollen. Der Vizechef des nationalen Sicherheitsrats, der Putin-Vertraute Dmitri Medwedew, hat Schweden und Finnland auch schon die Stationierung von Atomwaffen im Ostseeraum angedroht. Lesen Sie auch: Kommentar: Putin verdreht die Fakten

Schweden demonstriert seine Verteidigungsbereitschaft

Die Verschärfung der Lage kommt nicht unerwartet. Vor allem Schweden war in den vergangenen Monaten Zielscheibe verstärkter russischer Provokationen. Immer wieder kam es zu Verletzungen des Luftraums durch Militärjets.

Nachdem russische Militärs kurz vor dem Krieg eine Besetzung der strategisch wichtigen, schwedischen Ostsee-Insel Gotland ins Gespräch brachten, ließ die Regierung in Stockholm auf der Insel Panzer auffahren. So demonstrierte sie ihre Verteidigungsbereitschaft. Auch die Nato hat sich auf derartige Szenarien vorbereitet.

Kurze Unterbrechung eines Marine-Einsatzes in der Ostsee, mit dem die Nato nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Verteidigungsbereitschaft gegenüber Russland demonstriert: Die deutsche Korvette
Kurze Unterbrechung eines Marine-Einsatzes in der Ostsee, mit dem die Nato nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Verteidigungsbereitschaft gegenüber Russland demonstriert: Die deutsche Korvette "Erfurt" (vorne links), die kanadische Fregatte "Halifax" (hinten links, verdeckt) und die niederländische Fregatte "De Zeven Provincien" (hinten rechts) liegen an der Überseebrücke im Hamburger Hafen, um Vorräte aufzustocken. © dpa | Jonas Walzberg

Schweden: Nato-Mitgliedschaft kann Konflikte verhindern

Die schwedische Sicherheitsanalyse schlägt als Schutz gegen russische Aktionen internationale Militärübungen und verstärkte Präsenz von Nato-Truppen direkt in Schweden vor. Doch sei es nicht möglich, alle Risiken möglicher russischer Gegenmaßnahmen mit Sicherheit auszuschließen. Die Analyse betont aber die Vorteile einer schwedischen Nato-Mitgliedschaft: „Sie würde die Schwelle für militärische Konflikte erhöhen und damit einen konfliktpräventiven Effekt in Nordeuropa haben.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de