Essen. Im Ruhrgebiet wachsen die Sorgen um den öffentlichen Nahverkehr. Die Stadt Essen spricht gar von einer „Bestandsgefährdung“ des ÖPNV.
Im Ruhrgebiet wachsen die Sorgen um den öffentlichen Nahverkehr. Im Schatten der Euphorie über das bundesweite Deutschlandticket, das Bund und Länder ab dem kommenden Frühjahr mit Milliardenmitteln ans Laufen bringen wollen, droht aus Sicht von Kommunen und Verkehrsbetrieben die Basis des ÖPNV wegzubrechen: die laufenden Betriebskosten. Alarmiert ist man derzeit besonders im Essener Rathaus.
„Da fährt gar nichts mehr“
Essens Verkehrsdezernentin Simone Raskob spricht mittlerweile von einer „bestandsgefährdenden“ Situation für den Nahverkehr in der zweitgrößten Ruhrgebietsstadt. Auch Ruhrbahn-Chef Michael Feller, zuständig für den ÖPNV in Essen und Mülheim, sieht den „Status quo“ gefährdet. „Entweder Bund und Land sorgen für eine auskömmliche Finanzierung, oder wir müssen das Angebot reduzieren“, sagte Feller der WAZ. Angesichts explodierender Energiepreise, steigender Personalkosten und höherer Kapitalmarktzinsen fehle ihm die Fantasie, wie die Stadt Essen das jährliche Ruhrbahndefizit wie seit Jahren üblich auch zukünftig noch ausgleichen wolle, so Feller. Angesprochen auf mögliche Konsequenzen für Ruhrbahnkunden sagte er: „Da fährt gar nichts mehr.“
150 Millionen nur für den Status quo
Das Problem: Ab 2024 reißt im Essener Haushalt eine Finanzierungslücke für die gemeinsam mit Mülheim betriebene Verkehrsgesellschaft Ruhrbahn von knapp 30 Millionen Euro auf, die bis 2027 auf rund 44 Millionen Euro wächst. Zusammengerechnet fehlen der Stadt in den kommenden vier Jahren 150 Millionen Euro, nur um den Betrieb von Bussen und Bahnen im eigenen Stadtgebiet auf dem Stand von heute zu halten. Von Investitionen in neue Zukunftstechnologien wie E-Busse oder den Ausbau des Angebots ist in diesem Szenario schon gar keine Rede mehr. „Wenn wir den ÖPNV in unserer Stadt auf dem Stand von heute halten wollen, brauchen wir zusätzliche Mittel“, sagte Stadtkämmerer Gerhard Graben dieser Redaktion.
Sorge um die Verkehrswende
Angespannt ist die Stimmung in der Branche ungeachtet der Deutschlandticket-Debatte schon länger. Bereits im Sommer hatten die vier NRW-Verkehrsverbünde in einem dramatischen Appell an Bund und Land vor einer „Kernschmelze“ des ÖPNV in NRW gewarnt. Unabhängig von den Mitteln für das Deutschlandticket fehlten dem Nahverkehr im kommenden Jahr landesweit 500 bis 600 Millionen Euro, hieß es damals.
Land verspricht 200 Millionen Euro
Entsprechend zurückhaltend fielen am Donnerstag Reaktionen auf eine überraschende Ankündigung von NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer aus. Der Grünen-Politiker hatte auf Nachfrage dieser Zeitung eine millionenschwere Finanzhilfe für den ÖPNV aus dem am Mittwoch im Landtag beschlossenen Krisen-Rettungsschirm des Landes kurzfristig bekannt gemacht. Das Land werde rund 200 Millionen Euro als Kompensation für die Energiekostensteigerungen im ÖPNV bereitstellen, verkündete der Minister.
Dortmunder Stadtwerke-Vorstand: Brauchen Finanzmittel in ganz anderen Dimensionen
Es sei bislang unklar, inwieweit der ÖPNV in Essen dadurch unterstützt werde und ob die Maßnahmen überhaupt ausreichend seien, hieß es dazu am Donnerstag aus dem Essener Rathaus. Der neue Dortmunder Stadtwerke-Vorstand, Ulrich Jaeger, begrüßte die ÖPNV-Krisenhilfe des Landes. Zunächst gehe es aber nur darum, den Status quo zu bewahren, schränkte Jaeger auf Nachfrage ein. Er wies auf ein grundsätzliches Problem hin: „Wenn wir vor dem Hintergrund der Verkehrswende über den dringend notwendigen Ausbau des ÖPNV sprechen wollen, müssen Bund und Länder Finanzmittel in ganz anderen Dimensionen bereitstellen.“