Düsseldorf. Die NRW-Verkehrsverbünde sind alarmiert. Allein für 2023 fehlen im ÖPNV bis 600 Millionen Euro. Drohen massiv verteuerte Tickets?
Wer mit Bussen und Bahnen unterwegs ist, muss ab kommendem Jahr entweder mit deutlich teureren Tickets und Tarifen rechnen oder massive Einschränkungen in Fahrplänen und Streckenangebot hinnehmen. Dieses Schreckensszenario zeichneten am Donnerstag führende Vertreter der Verkehrsbranche und der NRW-Kommunen für den Fall, dass Bund und Land nicht in die finanzielle Bresche springen.
Corona-Folgen, hohe Energiekosten und Inflation
Denn nach Berechnungen der vier großen Verkehrs- und Tarifverbünden in NRW droht dem ÖPNV in den kommenden Jahren ein Finanzierungsnotstand nie gekannten Ausmaßes. Wegen der noch immer wirksamen Corona-Schäden, den hohen Energiekosten und den Folgen der Inflation steht der Nahverkehr in NRW laut den Verbünden finanziell vor der „Kernschmelze“. 2023 könne so zum „Schicksalsjahr“ für den ÖPNV an Rhein und Ruhr werden, hieß es in einem dramatischen Appell, den VRR (Ruhrgebiet), VRS (Rheinland), der WestfalenTarif GmbH und der Aachener Verkehrsverbund gemeinsam mit kommunalen Spitzenvertretern am Donnerstag an Land und Bund richteten.
Finanzierungslücke in Höhe von 500 bis 600 Millionen Euro
Allein für das kommende Jahr bezifferten die Verbünde die Finanzierungslücke auf 500 bis 600 Millionen Euro. Die Lücke müsse kurzfristig durch Berlin und die Landesregierung geschlossen werden. Andernfalls sei das bestehende Angebot im Nahverkehr nicht mehr aufrecht zu erhalten. „Es kann nicht sein, dass man die Kommunen mit dieser Aufgabe allein lässt“, sagte Düsseldorfs Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU).
Die Branche rechnet damit, dass die Corona-Folgen auch im kommenden Jahr nachwirken. Hintergrund: Aus Angst vor Infektionen meiden immer noch viele Menschen öffentliche Verkehrsmittel. Wie die Verbünde jetzt in Düsseldorf mitteilten, liegt die Auslastung von Bussen und Bahnen trotz des Erfolges beim 9-Euro-Ticket landesweit immer noch bei nur 70 bis 80 Prozent des Vor-Pandemie-Niveaus. Dadurch fehlen Einnahmen in Millionenhöhe. Zudem gilt der Betrieb von Bussen, Stadt- und Straßenbahnen als besonders energieintensiv. Nahverkehrsunternehmen wie Ruhrbahn, Bogestra und Duisburger DVG konnten die drastisch steigende Energiekosten und die Folgen der Inflation bislang aber nicht an ihre Kunden weitergeben.
"Finanzbedarf nicht allein durch gesteigerte Ticketverkäufe zu refinanzieren"
„Es zeichnet sich ab, dass die Einnahmen der Verkehrsunternehmen nicht mehr ausreichen, um perspektivisch die steigenden Aufwände zu decken“, sagte José Luis Castrillo, Vorstandsmitglied des Verkehrsverbundes Rhein Ruhr (VRR). Dieser Finanzbedarf könne nicht allein durch gesteigerte Ticketverkäufe refinanziert werden. Castrillo: „Bleibt die Situation so, wie sie ist, wird es perspektivisch nicht möglich sein, ohne staatliche Hilfen den Status quo des derzeitigen Angebots zu halten – geschweige denn, das Angebot zu erweitern.“ Andernfalls müsste die Erhöhung der Fahrpreise deutlich stärker ausfallen als in der Vergangenheit.