Essen. Ein Gutachten der Unternehmensberatung Roland Berger zeigt, wie der Nahverkehr die ehrgeizigen Umweltziele bis 2030 stemmen kann.
Im Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen im Verkehrsbereich gilt der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs als eine Art Königsweg. Doch sind die verschärften Klimaziele damit überhaupt noch erreichbar? Was kostet der Ausbau? Und was muss konkret geschehen, damit deutlich mehr Menschen als bisher den Platz hinterm eigenen Auto-Lenkrad zugunsten einer Fahrt mit dem Bus oder der Bahn räumen? Antworten darauf gibt ein internes Gutachten des Bundesverbandes deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), das kürzlich in der Runde der Verkehrsminister von Bund und Ländern diskutiert wurde und das dieser Redaktion vorliegt.
Bundesweiter Ausbau des ÖPNV um rund 24 Prozent
Das von der Unternehmensberatung Roland Berger erarbeitete Papier legt auf knapp 60 Seiten detailliert dar, wie die von der Bundesregierung jüngst nachgeschärften Klimaziele bis 2030 im Verkehrssektor erreicht werden können. Notwendig dafür ist demnach ein bundesweiter Ausbau des ÖPNV um rund 24 Prozent des derzeit bestehenden Angebots. Zusätzlich müssten bis 2030 rund 8,5 Millionen E-Autos auf Deutschlands Straßen unterwegs sein – 7,5 Millionen mehr als jetzt. Nur unter diesen Voraussetzungen könne der gesamte Verkehrssektor es schaffen, die Emissionen im Vergleich zu 1990 bis 2030 um rund die Hälfte zu reduzieren – und damit die Vorgaben erreichen.
Elf Milliarden Euro jährlich mehr
Dazu allerdings müsste die öffentliche Hand bis 2030 gigantische Summen zusätzlich in die Finanzierung des ÖPNV stecken. Laut Gutachten würde der öffentliche Finanzierungsbedarf im Nahverkehr bundesweit von aktuell 120 Euro pro Einwohner in den nächsten neun Jahren auf knapp 300 Euro pro Kopf steigen. Bis zum Jahr 2030 würde sich in der öffentlichen Förderung des ÖPNV dadurch eine Finanzierungslücke in Höhe von elf Milliarden Euro jährlich aufbauen. Gelingen könne das etwa durch eine Aufstockung der Regionalisierungsmittel des Bundes. Aus diesem Topf fließen schon heute Steuergelder in Milliardenhöhe über die Länder an die überwiegend kommunalen ÖPNV-Betreiber.
„Die Klimaziele im Verkehrsbereich sind nicht ohne eine massive Ausweitung des öffentlichen Nahverkehrs erreichbar – und zwar sowohl in der Stadt als auch im ländlichen Raum“, sagte VDV-Vizepräsident Hubert Jung im Gespräch mit dieser Redaktion. Um den CO2-Ausstoß in der angestrebten Größenordnung zu senken, müsse man nicht nur kräftig in Fahrzeuge und Infrastruktur investieren, Busse und Bahnen müssten dann auch häufiger fahren. Jung: „Man braucht also kürzere Takte, ein dichteres Linien-Netz und mehr Fahrer.“
Mehr Kleinbusse im ländlichen Raum
Vor allem im ländlichen Raum müssen laut der Studie Kleinbusse zum Einsatz kommen, um Kunden auch per Anforderung abzuholen zu Tageszeiten, in denen es außerhalb von Ballungszentren und Städten praktisch kein Nahverkehrsangebot gibt.
E-Busse und mehr Fahrer
Dieser sogenannte Linienbedarfsverkehr ist besonders teuer. Jung: „Es sind dann wenige Leute im Fahrzeug, aber es ist immer ein Fahrer notwendig, das kostet viel Geld.“ Auch beim Einsatz von E-Bussen brauche man mehr Fahrzeuge und somit mehr Fahrer, weil die Reichweiten der batteriegetriebenen Fahrzeuge derzeit nur halb so hoch seien wie die der Dieselbusse, betonte Jung.
Ehrgeizige Ausbauziele auch in Dortmund
Der VDV-Vize weiß aus eigner Anschauung, was auf die Städte und ihre Verkehrsbetriebe zukommt. Jung ist im Dortmunder Stadtwerke-Verbund DSW21 Vorstand der Verkehrssparte und damit Chef eines der größten Nahverkehrsbetriebe in NRW. Die Dortmunder haben sich die Nahverkehrsziele ihres Dachverbands schon zu eigen gemacht und in einem Positionspapier ehrgeizige Ausbauziele detailreich formuliert. Es zeigt, dass der klimagerechte Umbau des Nahverkehrs selbst für eine Großstadt wie Dortmund keine Dehnübung ist, sondern einen langen Atem braucht.
Bei Ticketpreisen nicht mehr viel Luft nach oben
Beispiel: In den nächsten zwölf Jahren wollen die Dortmunder ihre knapp 80 Buslinien komplett elektrisieren. Die erste 30 E-Busse werden derzeit ausgeschrieben. „Die Modelle sind inzwischen zuverlässiger, die Reichweite ist aber leider noch nicht größer“, erläutert Jung. Folge: Die täglichen Umlaufzeiten der Busse müssen völlig neu gedacht werden, ein Netz dezentraler Busbetriebshöfe muss her. Derzeit haben die Stadtwerke nur zwei große Betriebshöfe. Weil die technische Entwicklung aber fortschreitet, wird man die Infrastruktur zudem immer wieder anpassen müssen.
Der VDV-Vize glaubt übrigens nicht, dass man beim klimagerechten Ausbau des ÖPNV die Fahrgäste stärker zur Kasse bitten kann. An der Preisschraube für die Tickets dürfe man nicht mehr stark drehen, meint der Verkehrsmanager. Jung: „Die Ticketpreise im ÖPNV sind ziemlich ausgereizt.“