Düsseldorf. Die nordrhein-westfälische Gewerkschaftsbund-Chefin Anja Weber sieht Land und Kommunen schlecht auf die Flüchtlinge vorbereitet.
Ukrainische Flüchtlinge in NRW dürfen arbeiten. Aber ohne schnelle Sprachförderung könnten selbst gut Qualifizierte in schlecht bezahlte Jobs rutschen, warnt die NRW-Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Anja Weber, im Gespräch mit Matthias Korfmann
Frau Weber, es heißt, Flüchtlinge aus der Ukraine könnten sofort nach der Registrierung arbeiten. Ist das so einfach?
Anja Weber: Das Hauptproblem ist die Registrierung selbst, denn erst damit haben sie Zugang zu Sozialhilfe, Arbeitsplätzen und Kinderbetreuung. Das ist eine enorme Herausforderung für die Kommunen.
Können die Städte das stemmen?
Weber: Mit der derzeitigen Ausstattung kaum. Wir brauchen dringend mehr Respekt für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die das in dieser neuen Krise wieder zusätzlich leisten müssen. Das Personal in Schulen, in Gesundheitsbehörden, in anderen Verwaltungen arbeitet seit zwei Jahren an der Belastungsgrenze und erfährt zunehmend Anfeindungen. Außerdem dürfte sich die Finanzsituation der Kommunen wieder deutlich verschärfen. Daher fordern wir, die Städte zu entschulden und sie personell besser aufzustellen.
Wie gut sind die Ukraine-Flüchtlinge qualifiziert?
Weber: Es kommen viele gut qualifizierte Frauen mit Hochschulausbildung. Entscheidend ist jetzt vor allem die Sprachvermittlung, denn wir müssen verhindern, dass diese Menschen trotz guter Qualifikationen in den Niedriglohnbereich gedrängt werden und am Ende als Erntehelfer in prekären Verhältnissen jobben. Der leider viel zu schlecht ausgestattete Arbeitsschutz ist jetzt besonders gefordert. Außerdem kommen Lehrerinnen und Erzieherinnen, die wir dringend brauchen. Diese Menschen sollten also nicht lange um die Anerkennung ihrer Berufsqualifikation kämpfen müssen. Man kann auch Improvisation zulassen.
Was meinen Sie mit Improvisation?
Weber: Zum Beispiel einfache Wege in pädagogische Berufe. Der Offene Ganztag würde sich zum Beispiel über Unterstützung durch pädagogisch vorgebildetes Personal aus der Ukraine freuen.
Ist die Zuwanderung eine Chance, den Fachkräftemangel zu bekämpfen?
Weber: So sollten wir nicht denken. Es geht um Hilfe und Schutz für Kriegsopfer. Diese Menschen sind keine Lösung für unsere Arbeitsmarkt-Nöte. Wichtig ist, dass sie schnell Deutsch lernen und dass sie bei der Jobsuche nicht auf hohe Hürden stoßen.
Ausbildende Firmen könnten junge Ukrainer für eine Lehre gewinnen.
Weber: Ja, viele Firmen suchen Azubis. Leider gibt es immer noch das alte Problem, dass die Berufskollegs in NRW nicht alle Schülerinnen und Schüler zwischen 18 und 25 Jahren aufnehmen können. Das war schon während der Flüchtlingskrise 2015/16 ärgerlich. Anders als in Bayern gilt bei uns die Schulpflicht nur bis zum 18. Lebensjahr. Wenn diese jungen Menschen nicht aufs Berufskolleg können, haben sie zwar vielleicht einen Schulabschluss, aber wegen fehlender Deutschkenntnisse keine Chance auf Ausbildung und landen womöglich in Helfer-Berufen. Hier muss die Landesregierung ran.
Wie finden Sie es, dass der Staat jetzt Unsummen in die Rüstung investiert?
Weber: Wir sehen das kritisch. Klar ist aber auch: Wenn am 24. Februar die Weltordnung eine andere geworden ist, dann wissen wir nicht schon am 26. Februar, was richtig oder falsch ist. Bei der Bundeswehr sollte es heißen: Ausrüsten, nicht Aufrüsten. Denn die schlechte Ausrüstung ist ihr größtes Problem. Das zusätzliche Geld für die Bundeswehr als Sondervermögen zu deklarieren ist vernünftig, weil man damit nicht den Kernhaushalt belastet und nicht bei Energiewende, Bildung und Sozialem kürzen muss. In der „neuen Weltordnung“ sollten wir daher auch den Tanz um die Goldenen Kälber Schuldenbremse sowie Steuerentlastung für Reiche beenden.
Der DGB protestiert grade für mehr Investitionen in die Bildung. Worum geht es?
Weber: Gerade angesichts des Ukraine-Konflikts sagen wir: Man darf nicht nur in die Rüstung, sondern muss auch in den Frieden investieren und insbesondere in die Bildung. Das Bildungssystem in NRW ist dramatisch unterfinanziert und im Ungleichgewicht. Für die Gymnasien wird zum Beispiel viel mehr Geld ausgegeben als für die Grundschulen. Das Schulpersonal arbeitet in der Pandemie seit zwei Jahren am Limit, und nun kommt die Aufgabe auf sie zu, Flüchtlingskinder aus der Ukraine zu integrieren. Ohne massive Investitionen in die Bildung ist das nicht zu schaffen.
Wir fordern eine Erhöhung der Bildungsausgaben um 1000 Euro pro Jahr und Bildungsteilnehmer, einen echten Schul-Sozialindex, bei dem nicht die einen Schulen Stellen abgeben müssen, damit andere Schulen Stellen bekommen, sowie eine gerechte Eingangsbesoldung A13 für das Lehrpersonal, und wir halten am Ziel des längeren gemeinsamen Lernens fest.
Wie lange sollten Kinder gemeinsam lernen?
Weber: Bis zur zehnten Klasse und nicht mehr nur bis zur vierten. Das ist das Fernziel. In einem ersten Schritt sollten alle Familien, die einen Gesamtschulplatz für ihr Kind möchten, einen bekommen.