Düsseldorf. Der Bund will Abschiebungen angesichts steigender Flüchtlingszahlen erleichtern. Könnte ein neues Gesetz die Probleme in NRW lösen?
- Die Bundesregierung reagiert auf die Rekord-Flüchtlingszahlen und plant ein „Rückführungsverbesserungsgesetz“.
- Das neue Gesetz soll Abschiebungen erleichtern.
- Aber funktioniert das wirklich? Was sagen Experten in NRW dazu?
Abschiebungen: Warum viele Menschen bisher nicht abgeschoben werden konnten
Thomas Kufen (CDU), Vorsitzender des Städtetages NRW, hält die Idee, Abschiebungen zu beschleunigen, für richtig. Das funktioniere aber nur, wenn es dem Bund gelingen sollte, mehr Rücknahmeabkommen mit den Herkunftsländern zu schließen, sagte der Essener Oberbürgermeister dieser Redaktion.
Nur wenige Menschen könnten tatsächlich schnell abgeschoben werden, erklärt Andreas Roßkopf, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bereich Bundespolizei. „Zwar haben wir etwa 280.000 Ausreisepflichtige in Deutschland. Aber circa 80 Prozent davon haben eine Duldung“, so Roßkopf.
Zu den häufigsten „Abschiebehinderungsgründen“ zählten fehlende Pässe, Erkrankungen, minderjährige Kinder und eine Berufstätigkeit. Hinzukommt, dass manche Länder, zum Beispiel Marokko, aus Deutschland abgeschobene Landsleute nicht wieder aufnehmen.
Flüchtlingskrise: Von 60.000 Ausreisepflichten werden 50.000 nicht abgeschoben
Laut dem NRW-Flüchtlingsministerium sind von den derzeit rund 62.000 Ausreisepflichtigen in NRW mehr als 50.000 im Besitz einer „Duldung“. Etwa jeder Zehnte dieser „Geduldeten“ habe eine richtige Arbeit, weitere rund 500 hätten kleinere Jobs.
Abschiebungen in jene Länder, aus denen besonders viele Geflüchtete nach NRW kommen – Syrien und Afghanistan – sind wegen der Sicherheitslage weitgehend ausgeschlossen. Die „Schutzquote“ für Syrer in NRW liege bei 85, die für Afghanen bei rund 77 Prozent, so die Landesregierung. Zwischen Januar und September 2023 wurden nach Angaben der Bundespolizei 2637 Menschen aus NRW abgeschoben, im gesamten Vorjahr waren es 3118.
NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul: „Berlin macht seine Hausaufgaben nicht“
NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) rät dem Bund, sich nicht nur auf die Abschiebungen zu konzentrieren, sondern seine „Hausaufgaben“ auch an anderer Stelle zu machen: „Dem Bundesinnenministerium gelingt es bei einem großen Teil der Menschen, die in unseren Landeseinrichtungen sind, nicht, das Asylverfahren zügig auf den Weg zu bringen.“ Außerdem müssten gut Integrierte, die zum Beispiel im Handwerk oder in der Pflege dringend benötigt würden, „nicht unter dem Damoklesschwert drohender Abschiebung“ leben müssen.
Abschiebungen sind politisch schnell gefordert, verlangen in der Praxis aber den direkt Betroffenen, der Polizei, den Ausländerbehörden und möglichen Augenzeugen einiges ab. Da müssen Kinder ansehen, wie Eltern, die Widerstand leisten, „überwältigt“ werden. Da wird einer Schwangeren die Trennung von ihrer Familie angedroht, weil sie wegen einer akuten Erkrankung nicht per Flugzeug abgeschoben werden kann. Solche Fälle enthält der Jahresbericht 2022 der von der Diakonie Rheinland Westfalen Lippe organisierten „Unabhängigen Abschiebungsbeobachtung NRW“. Laut dieser Beobachtung waren unter den im vergangenen Jahr Abgeschobenen 396 Minderjährige, 335 von ihnen waren jünger als 14 Jahre.
Flüchtlingsrat NRW kritisiert geplantes Gesetz: „Macht Menschen noch mehr Angst“
Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW, ist wegen der menschlichen Dramen, die Abschiebungen auslösen, „entsetzt“ über den Gesetzentwurf. Sie kritisiert vor allem, dass in Grundrechte eingegriffen werde, wenn zum Beispiel Handydaten ausgelesen oder weitere Räume in Flüchtlingsunterkünften durchsucht werden dürfen, in denen Menschen leben, die mit der Abschiebung nichts zu tun haben. (siehe Info-Kasten).
Sie erinnert sich an Fälle, in denen Mitbewohner gesehen haben, wie jemand zur Abschiebung abgeholt wurde. „Das war schon schlimm genug. Jetzt aber fühlen sich diese Menschen gar nicht mehr sicher“, sagt Naujoks. Sie befürchtet, dass es bald zu mehr Abschiebungen in der Nacht kommt und warnt: „Diese Menschen kommen sowieso schon psychisch belastet hierher. Mit solchen Maßnahmen werden sie gar nicht mehr zur Ruhe finden. Wenn sie vor dem Schlafengehen nie wissen, ob mitten in der Nacht ein Abschiebe-Kommando kommt, werden sie noch ängstlicher – und Angst zerstört Menschen.“
Flüchtlingskrise in NRW: Was die Kommunen brauchen
Städtetag-NRW-Chef Kufen hofft, dass sich der Bund nicht nur mit Abschiebungen beschäftigt, sondern den Städten genug Geld für die Versorgung von Geflüchteten gibt.
Dafür müsse bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Kanzler am 6. November eine Lösung gefunden werden.
Die Polizeigewerkschaft GdP begrüßt die Vorschläge des Bundes für schnellere Abschiebungen. Die Bundespolizei benötige dafür aber mehr Personal, mehr Räume und eine bessere IT-Ausstattung, gibt Gewerkschafter Roßkopf zu bedenken. Die Beamten arbeiteten schon längst „im roten Bereich“.
Abschiebungen: So soll das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ aussehen
Die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams – das ist eine „Haft“ im Flughafen oder in einer Unterkunft – soll von zehn auf 28 Tage verlängert werden, um Behörden mehr Zeit zur Vorbereitung zu geben.
Auf der Suche nach Abzuschiebenden sollen Behördenmitarbeiter auch die Räume von Unbeteiligten betreten dürfen, wenn die Gesuchten dort vermutet werden.
Ausreisepflichtige in Haft sollen ohne Ankündigung abgeschoben werden.
Kriminelle sollen künftig leichter ausgewiesen werden können. Wohnungen sollen durchsucht werden dürfen, um die Identität der Betroffenen zu klären.
Um die Behörden zu entlasten, soll der Aufenthalt während des Asylverfahrens für sechs statt bisher nur drei Monate genehmigt werden.
Hier finden Sie weitere Informationen zum Thema „Abschiebungen“.
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