Düsseldorf. NRW startet Dunkelfeldstudie zu Antisemitismus. Forscher beleuchten, wie sehr Judenfeindlichkeit in der Bevölkerung verbreitet ist.
146 antisemitische Straftaten zählten die Sicherheitsbehörden in der ersten Jahreshälfte 2022 in NRW. „Ungefähr eine am Tag. Das ist unerträglich“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Dienstag. Doch hinter der Kriminalitätsstatistik verbirgt sich ein möglicherweise riesiges Dunkelfeld aus Vorurteilen und Anfeindungen. Wie sehr Judenfeindlichkeit tatsächlich in der Bevölkerung in NRW verbreitet ist, soll in den kommenden 18 Monaten eine Studie erhellen, die Wissenschaftler aus Düsseldorf und Passau zusammen mit der Kriminologischen Forschungsstelle des Landeskriminalamtes jetzt vorbereiten.
Krisen befeuern den Antisemitismus
„Antisemitismus ist alltäglich“, sagte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), seit 2018 die erste Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW, bei der Ankündigung der Dunkelfeldstudie. In den sozialen Medien, in Schulen, in Büros, in Familien und in vielen anderen Umgebungen sei Judenfeindlichkeit verbreitet. Gerade in Krisenzeiten wie diesen fänden antisemitische Verschwörungsmythen großen Zulauf, so die frühere Bundesjustizministerin.
Studien, die systematisch Judenfeindlichkeit in der Bevölkerung untersuchen, seien in Deutschland rar. NRW suche hier eine Vorreiter-Rolle, erklärte der Passauer Politologe Prof. Lars Rensmann. Die Untersuchung solle belastbare Daten liefern, die es erlaubten, die Vorbeugung zu stärken und besser gegen Antisemitismus vorzugehen, sagte Leutheusser-Schnarrenberger.
Ziel: Die "wahre Meinung" aus den Leuten herauskitzeln
Meinungsforscher sollen ab Frühjahr 2023 Bürgerinnen und Bürger in ihrer häuslichen Umgebung befragen und den Forschern anschließend 1200 ausgefüllte Fragebögen geben. Mit bestimmten Fragetechniken werde dabei „die wahre Meinung herausgekitzelt“, erklärte der Düsseldorfer Sozialwissenschaftler Prof. Heiko Beyer. Die Materie sei kompliziert. Einige der bisherigen Vorstellungen über Antisemitismus seien nach Beyers Einschätzung inzwischen widerlegt. Zum Beispiel die, dass gebildete Menschen weniger empfänglich für Antisemitismus seien als Ungebildete. Hochgebildete könnten Antisemitismus nur besser verbergen, sagte Heiko Beyer.
NRW-Innenminister Herbert Reul bezeichnete Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus als die möglicherweise „größte Gefahr für die Freiheitliche demokratische Grundordnung“. Die Forschungsstelle des LKA werde ihre Expertise in die Studie einbringen. Der Kampf gegen den Antisemitismus werde zwar nie ein Ende finden. „Aber wir kommen immer ein Stückchen weiter“, so Reul.
Wieder ein Projekt
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Projekte mit angestoßen. Dazu zählen eine Studie von Forschern der Ruhr-Uni Bochum zu Antisemitismus in Schulen, die Meldestelle Antisemitismus, die Antisemitismus unterhalb der Strafbarkeitsgrenze dokumentiert und Antisemitismusbeauftragte bei den Staatsanwaltschaften in NRW.