Essen. In Zeiten der Krisen suchen Menschen Sicherheit und Führung, demokratische Werte geraten unter Druck, sagt der Sozialpsychologe Andreas Zick.

Klimakrise, Ukrainekrise, Energiekrise, Zuwanderung, das Erstarken extremistischer Ansichten und Parteien, globale Konflikte – gewohnte Sicherheiten lösen sich auf und das Vertrauen in die Gestaltungsmacht der Politik schwindet. Wie kommt Deutschland aus dem Krisenmodus? Darüber sprachen wir mit Prof. Andreas Zick, Sozialpsychologe und Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld.

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Wenn Sicherheiten zusehends zerbrechen - was macht das mit den Menschen?

Andreas Zick: Einige Menschen ziehen sich zurück, was die Zunahme an Einsamkeit erklärt. Die sozialpsychologische Forschung zeigt, dass Menschen sich bei der Suche nach Sicherheit an anderen orientieren. Dazu kommt ein entscheidender Aspekt: Menschen suchen Sicherheit bei anderen, die sie ähnlich finden in Einstellungen und Handlungen. Wenn andere sich ähnlich unsicher fühlen, senkt das die eigene Unsicherheit. Bieten die Bezugspersonen und -gruppen dann Erklärungen an, auch wenn es vielleicht populistische Wahrheiten oder Verschwörungsmythen sind, verengen sich die Einstellungen und die Gruppen schotten sich ab. Salopp gesagt: Die Sicherheit wird in der Blase gesucht und die Blase geschlossen. Das ist für politische Einstellungen zur Krise wichtig. Populisten und Extremisten versuchen, Gewinne aus der Unsicherheit zu ziehen. Krisenzeiten sind Zeiten der Populisten.

Viele Menschen trauen der Politik die Lösung der Probleme nicht mehr zu - ist das berechtigt?

Dass das Vertrauen schwindet, zeigen viele Studien, auch unsere eigenen. Die zentrale Frage ist, welches Vertrauen abgezogen wird. Bürger sollten misstrauisch sein in Demokratien, aber das Misstrauen muss konstruktiv sein. Pauschale Beurteilungen, Bilder und die Fokussierung auf das Versagen helfen nicht. Vieles, was bislang durch die Krise geführt hat, taucht gar nicht mehr auf. Der Populismus ist darin erfolgreich, Verunsicherungen in Misstrauen umzuwandeln. Er erklärt Regierungs- und Staatsversagen und lässt vergessen, dass wir alle zum Staat gehören. Das funktioniert, weil Deutschland sehr autoritär orientiert ist, wenn es um die Beurteilung von Politik geht. Wir suchen Kontrolle und Führung und wenn die nicht funktionieren, stellen wir alles in Frage.

Gibt eine Sehnsucht nach Ruhe und starker Führung?

In unserer Mitte-Studie 2020/21 zeigt sich, dass 18 Prozent der Aussage zustimmten, Deutschland brauche „eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft verkörpert“. Und sieben Prozent stimmten der Aussage zu, „Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland mit starker Hand regiert“. Diese Menschen neigten auch zu anderen rechtsextremen Meinungen. In Krisen ist sicherlich Führung in der Politik gefordert, aber sie muss nachvollziehbar und klug sein und nicht nur laut. Viele Menschen sehnen sich angesichts der Krisenturbulenzen nach Ruhe und Frieden, was sich in verklärten Bildern der Vergangenheit zeigt. Ich glaube, wir haben in Deutschland den Blick für zentrale Elemente des innergesellschaftlichen Friedens verloren. Die Integration, der Schutz von Minoritäten, der Stolz auf eine solidarische Krisenlösung könnten Punkte sein, an denen sich auch die Krisenfestigkeit bemisst.

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Gerät auch die Demokratie in eine Krise?

Demokratie sind Krisengebilde, weil sie nicht wie in Diktaturen von wenigen entschieden werden, die die Wahrheit verkünden und gegenteilige Positionen unterdrücken. Von einer Demokratiekrise würde ich sprechen, wenn die Grundnormen und -werte nicht mehr Konflikte regulieren und Gewalt begrenzen können. Gemessen an den vielen vorurteilsbasierten Hasstaten, der digitalen und kaum bremsbaren Hassreden und herabwürdigender polarisierter Debatten quer durch die Gesellschaft stecken wir tief in einer Krise. Wenn wir Gewalt sehen, dann ist das ein Hinweis, dass Normen nicht greifen. Ein zweiter Krisenindikator ist der Aufschwung des Rechtsextremismus in Populismus, Propaganda und Organisation. Aber auch objektive Krisen wie Klimawandel, Inflation, soziale Ungleichheit und Armut, die offene Frage der Zukunft der Einwanderungsgesellschaft, Vereinsamung und Verödungen von Räumen führen zu einer Demokratiekrise. Demokratien verlangen, dass die Herausforderungen ausgehandelt werden und daher ziehen krisenhafte Lebensbedingungen die Demokratie in die Krise.

Welche Rolle spielen dabei die Medien?

Medien werden in Krisenzeiten immer bedeutsamer, weil sie Informationen anbieten, die wir bei Verunsicherung suchen. Medien bieten einen Beurteilungsmaßstab und werden immer meinungsstärker, weil sie selbst in Krisen ungewiss sind. Selbstverständlich können Medien Krisen verstärken und tun das auch, weil sich Krisen verkaufen. Aber sie sind nur ein Akteur. Es kommt auch auf die Rezipienten an. Ob Medien die Vierte Gewalt im Staat sind, hängt von uns ab. Dass der Populismus das Bild von der System- und Lügenpresse so leicht verkaufen kann, sollte uns argwöhnisch machen.

Sind die Erwartungen an die Lösungskompetenz der Politik zu hoch?

Politik ist in Krisenzeiten gefordert und muss vorsichtig damit umgehen, welche Erwartungen sie vermittelt. Wer eine Zeitenwende verkündet, muss damit rechnen, dass er danach bemessen wird. Krisenzeiten treiben Politik in das Dilemma, Lösungen zu finden, die gar nicht auffindbar sind, oder so komplex sind, dass sie Verhandlungen über Grenzen hinweg benötigen. Der Krieg Russlands in der Ukraine macht uns allen deutlich, wie sehr diplomatisches Geschick wichtiger sind als Lösungsversprechen.

Wie lässt sich Vertrauen und Stabilität zurückgewinnen?

Erstens: Krisenzeiten sind Zeiten in denen Modelle für das Land, wie es in Zukunft aussehen soll, wichtig sind. Politik kann ein gesellschaftliches Ziel, ein Gesellschaftsmodell, zeichnen, statt eine deutschtümelnde Rückwärtsorientierung zu verkünden. Die zukunftsweisende Frage, welchen Staat welches Politikmodell man möchte, wird selten gestellt. Zweitens hat das Grundgesetz einen Kanon, der Toleranz, Respekt und konstruktive Konfliktregulation vorgibt, also eine Normorientierung. Sie sieht auch vor, dass wir mehr über die Frage reden könnten, welche Gesellschaft wir der nachfolgenden Generation hinterlassen, statt nur über die letzte Generation zu sprechen. Drittens sollte in Krisenzeiten gerade mit dem Blick auf das Grundgesetz und die Norm der Würde die Frage des Schutzes von jenen, die faktisch schlechter durch Krisen kommen, im Vordergrund stehen.

Ist das Krisengefühl womöglich übertrieben und die Zeiten waren schon immer schwierig?

Das Gefühl ist wichtig, daher nehmen wir Emotionen in der Forschung ernst. Gefühle enthalten Bewertungen und die möchten wir verstehen. Die gegenwärtigen Vertrauensverluste, die durch das Krisengefühl zustande kommen, sind stark. Die Distanz zu Konsensentscheidungen, Normen und Werten sind stärker, betrachten wir die Gewalt in der Gesellschaft. Insofern hat sich auch das Krisengefühl verändert und ist stärker von Wut und Zorn geprägt. Natürlich ist die Menschheitsgeschichte eine Geschichte der Krisen und Katastrophen. Aber die Demokratie hat sich als Krisenmodell bewährt, weil sie auf konstruktive Krisenlösungen durch Interessensausgleich aus ist. Populisten hingegen suggerieren immer wieder Bilder von Kontrollverlusten und Instabilität. Untergangsmythen sind gerade populär. Aber sie enthalten keine Lösungen.