Essen. Demos, Straßenblockaden, beschädigte Bilder und Autos: Der Konfliktforscher Andreas Zick erklärt die Motive hinter den radikalen Klimaprotesten.

Aktivisten kleben sich auf Fahrbahnen, beschädigen berühmte Bilder und lassen die Luft aus den Reifen von Luxus-Karossen – die Klimaproteste werden immer radikaler. Wir fragten den Bielefelder Konflikt- und Gewaltforscher Andreas Zick, ob diese Protestformen noch legitim sind.

Warum werde die Klimaproteste immer radikaler?

Andreas Zick: Die Klimaproteste sind geprägt von Radikalität und müssen das auch sein, um ihre zentrale Botschaft gegen einen weichen Konsens zu verteidigen. Wenn eine Mehrheit in der Gesellschaft einige Positionen der Proteste teilt, auch die Politik in der Breite darin übereinstimmt, dass der Klimawandel eine kaum einzugrenzende Bedrohung ist und die Forschung immer deutlicher die Konsequenzen der Erderwärmung aufzeigt, dann liegt es nahe, dass Gruppen, denen das nicht weit und schnell genug geht, nach radikaleren Protestformen suchen. Auch Greta Thunberg hat freitags die Schule bestreikt, gegen die Regeln und mit hohen Risiken.

Prof. Andreas Zick, Leiter des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld.
Prof. Andreas Zick, Leiter des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld. © Uni Bielefeld

Sehen wir in eine einheitliche Klimabewegung?

Sie ist immer vielfältiger geworden und eher nur noch einheitlich in der Meinung, dass der Klimawandel irgendwie gebremst werden kann. Gruppen wie Extinction Rebellion haben schon ähnliche Aktionen von Straßenblockaden gezeigt. Mehr und mehr haben sich aber Kleingruppen abgesetzt und die Idee der Bildung von lokalen Aktionsgruppen aufgegriffen, die eigene radikale Aktionen planen und sich auf zentrale Grundbotschaften einigen. Die Aktionsform macht eine Radikalisierung einfacher, wenn in den Gruppen die Meinung entsteht, dass die Klimapolitik ein fauler Kompromiss ist.

Warum radikalisiert sich der Protest gerade jetzt?

Die Radikalisierung wird befördert, wenn Gruppen sich immer stärker abschotten und der Überzeugung sind, dass es sich um eine Art Notstand handelt, der jede Aktion legitimiert. Das ist bei der „Letzten Generation“ zu sehen, die ihre Aktionen an der Bevölkerung vorbei auf die Politik richtet und sich nahezu allein auf die Wissenschaft beruft, deren Ergebnisse nach Meinung der Aktivisten ihre Aktionen rechtfertigen. Aus der Überzeugung eines radikalen Notstands entstehen dann eher radikale Aktionen. Anders als „Fridays for Future“-Gruppen, die eher versuchen, durch Demos und Aufklärung Einfluss zu nehmen. In den Zielen sind sie sich aber weitgehend einig.

Haben die Aktionen eine inhaltliche Botschaft oder spiegeln sie lediglich Wut und Verzweiflung?

Es ist eine Mischung. Radikalität wird von Emotionen geprägt und befeuert: Wut, Enttäuschung und Zorn gegenüber einer Politik, die nicht genug unternimmt, Trauer um die Umwelt und das Klima. Diese Gefühle sind Teil der Überzeugung und werden in den Gruppe geteilt. Daher kleben sich die Aktivisten auch nicht an irgendwelche Bilder, sondern an emotional bedeutsame Werke.

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Einige Politiker warnen bereits vor einer neuen Terrorbewegung wie der RAF - ist das zutreffend?

Das halte ich für politisch unklug, weil sich solche Parallelisierungen am Ende immer als falsch erweisen und zu Debatten führen, die niemandem helfen. Die RAF wollte ein anderes politisches System und hat Terror mit Waffen ausgeübt. Dies Aktionsgruppen der Klimabewegung zu unterstellen und von Terrorakten auszugehen, ist wenig zielführend. Wir sollten keinen ideologischen und gewaltorientierten Extremismus vermuten, wo die Hinweise fehlen.

https://www.waz.de/region/rhein-und-ruhr/zerstochene-reifen-klimaaktivisten-szene-radikalisiert-sich-id236876747.html

Wie wird sich der Protest entwickeln, wie weit könnten die Aktivisten noch gehen?

Das hängt davon ab, wie sich die Radikalität in den Gruppen verändert. Gibt es womöglich in den Gruppen Einzelne, die meinen, ein Gewaltakt wäre notwendig und die sich dann abspalten und eigene Aktionen planen? Derzeit gibt es darauf keine Hinweise. Bislang sind es kalkulierte Provokationen und Beschädigungen, die öffentlich sind. Die Täterinnen und Täter werden oft direkt identifiziert und bestraft, etwa bei Straßenblockaden und Kunstangriffen. Das Risiko gehen sie ein. Allein das unterscheidet sich von gewaltorientierten extremistischen Gruppen, die derzeit eine viel größere Gefahr für die Demokratie darstellen.