Essen. Die Zahl der Studierenden an staatlichen Hochschulen sinkt, zugleich haben Private trotz teils hoher Gebühren Zulauf. Damit können sie punkten.
„Studiere, wo Du willst! Bildung auf Deine Art! Mach Dein Ding!“ – so direkt und schnörkellos werben private Hochschulen um aufstiegswillige junge Menschen. Und sie haben immer größeren Erfolg damit. Vor dem Start zum Wintersemester im Oktober dürften sich viele Abiturienten noch fragen, welchen Bildungsweg sie einschlagen wollen und welche Hochschule dafür die richtige ist: eine große, forschungsstarke Universität mit traditionellem Fächerkanon oder eine flexible, praxisnahe private Hochschule?
Die jüngsten Zahlen belegen den wachsenden Erfolg der Privaten: Während die Zahl der Studierenden an öffentlichen Hochschulen deutlich sinkt, steigt der Zulauf bei den Privaten immer steiler an. Nach Zahlen des Statistischen Landesamtes IT.NRW haben sich im Studienjahr 2022 insgesamt 103.305 Personen erstmals an einer Hochschule in NRW eingeschrieben – über 19 Prozent weniger als zehn Jahre zuvor und der niedrigste Stand seit 2010. Dass der Trend nicht noch deutlicher ausfällt, liegt am Boom der privaten Hochschulen. Viele gewinnen auch in NRW gegen den Trend weiter Studierende hinzu.
Zahl der Studierenden verdreifacht
Obwohl sich private Hochschulen zu etwa 70 bis 80 Prozent über Studiengebühren finanzieren, hat sich nach einer aktuellen Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) die Zahl der Studierenden an Privaten bundesweit seit 2011 von 125.000 auf 342.000 nahezu verdreifacht. Damit hat sich ihr Anteil an der Gesamtzahl der Studierenden – derzeit knapp drei Millionen - von fünf auf knapp zwölf Prozent mehr als verdoppelt. In NRW haben im Prüfungsjahr 2022 mehr als 12 Prozent aller Hochschulabsolventen (insgesamt 111.151) ihr Studium an einer Privaten abgeschlossen, berichtet IT.NRW – so viele wie noch nie. Noch bis Anfang der 2000er-Jahre lag ihr Anteil bei unter zwei Prozent. Und ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht.
Was machen die Privaten also anders - oder besser?
Laut der IW-Studie punkten die Privaten mit Praxisnähe, besserer Betreuung und mehr zeitlicher Flexibilität als die staatlichen Unis. Wer neben der Arbeit studieren möchte, kann dies oft vom heimischen Laptop aus, am Abend oder auch am Wochenende. Am häufigsten gewählt werden demnach wirtschaftswissenschaftliche Fächer, Psychologie in verschiedenen Kombinationen sowie Sozialwesen. Laut der Studie will sich fast die Hälfte der Befragten (46 %) auf eine spätere Selbstständigkeit vorbereiten, was nur für 29 Prozent der Studierenden an öffentlichen Hochschulen relevant ist.
„Flexibler, mutiger, marktgängiger“
„Hier spiegelt sich ein Merkmal der privaten Hochschulen wider“, so die IW-Studie, „sie vermitteln oftmals schwerpunktmäßig Managementfähigkeiten für das Unternehmertum.“ Aufstieg und Karriere - das sind demnach die Hauptmotive für die Wahl einer Privaten.
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„Mich überraschen die Zahlen nicht“, sagt Hochschulexperte Ulrich Müller. „Die Privaten sind tendenziell flexibler, mutiger, einfallsreicher und marktgängiger“, sagt der „Leiter politische Analysen“ beim Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Die Studieninhalte seien auf Zeitgeist und Geschmack junger Menschen zugeschnitten und an den Arbeitsmarkt angepasst, beobachtete Müller. Gesundheitsmanagement, Wirtschaftspsychologie, Sportpsychologie, ja sogar einen Master in E-Sport-Management oder einen Bachelor in Cybersecurity könne man an privaten Einrichtungen studieren.
Nur etwas für Eliten?
„Man kann sagen, das ist skurril. Aber es kommt an“, sagt Müller. „Private Hochschulen punkten mit einem innovativen, stark spezialisierten Angebot, das ganz speziell auf ein Berufsziel vorbereitet. Ihre große Stärke ist: das Ganze geht häufig in Teilzeit, online oder berufsbegleitend.“ An staatlichen Hochschulen ist das immer noch die Ausnahme.
Es sei ein überholtes Vorurteil, dass private Hochschulen elitär, teuer und selektiv sind. „Sie gewinnen inzwischen sehr viele Studierende aus einem nicht-akademischem Milieu und erschließen so neue Bildungspotenziale“, sagt Müller. Und: Private seien „wahnsinnig gut“ im Marketing. Sie sprechen die Sprache der Jugend und vermeiden jegliches akademische Brimborium.
Für die Qualität der Inhalte bürge die staatliche Anerkennung sowie eine strenge Akkreditierung durch den Wissenschaftsrat. Müller: „Die Gutachten sind alle online. Das steht klipp und klar drin, wo die Hochschule stark ist und wo sie Schwächen hat. Das kann jeder einsehen.“
Mehrere Tausend Euro Studiengebühren
Und die Nachteile? In der Regel bieten die Privaten nur die „preiswerten“ Buchwissenschaften an. Ingenieurwissenschaften oder Medizin haben sie selten im Angebot – mit Ausnahme der privaten Uni Witten/Herdecke. Und mit einem Studium der Angewandten Psychologie an einer Fachhochschule kann man später nicht als Psychotherapeut praktizieren.
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Die Studiengebühren sind je nach Hochschule und Studiengang sehr verschieden und wegen der unterschiedlichen Studienmodelle kaum miteinander vergleichbar. Es beginne bei 300 Euro im Monat, im Schnitt schlage ein Bachelor-Abschluss mit etwa 15.000 Euro zu Buche, „das kann aber leicht auch das Dreifache betragen“, sagt Müller.
So verlangt etwa die IU Internationale Hochschule je nach Studienjahr und -modell zwischen rund 400 bis 900 Euro im Monat. Zum Vergleich: Die renommierte WHU School of Management nimmt im Bachelorstudium rund 8000 Euro im Semester. An der Uni Witten/Herdecke zahlen „Sofortzahler“ je nach Studiengang zwischen 900 bis 1200 Euro im Monat. Man kann die Gebühren aber auch nach dem Studium als festgelegten Prozentsatz vom Einkommen (5-8 %) zehn Jahre lang abstottern.
Studieninhalte oft sehr speziell
„Die Kosten machen den Boom der Privaten noch erstaunlicher“, findet CHE-Experte Müller. Unter dem Strich möchte er aber nicht pauschal dazu raten, sich an einer privaten Hochschule einzuschreiben. Das finanzielle Risiko sei höher, weil man als junger Mensch zunächst in Vorleistung gehen muss. Zudem seien die Inhalte sehr auf einen Bereich zugespitzt. „Man muss also vorher sehr genau wissen, ob man das wirklich will.“ Da sei der Ansatz staatlicher Hochschulen breiter, die auch später noch eine Spezialisierung zulassen.
Dass sich die etablierten staatliche Hochschulen und Universitäten einer erstarkenden Konkurrenz stellen müssen, begrüßt der Hochschulexperte. „Wenn sie sich dem Trend und dem Bedarf verweigern, werden sie auf Dauer abgehängt“, glaubt Müller. Insgesamt sieht er die Entwicklung aber positiv. „Die Hochschullandschaft wird immer bunter.“
>>>> 114 private Hochschulen in Deutschland
2021 gab es laut Statistischem Bundesamt 114 private Hochschulen in Deutschland, in NRW 19. Die älteste private Hochschule in Deutschland ist die Technische Fachhochschule Georg Agricola in Bochum. Sie wurde 1816 als Bergschule zur Ausbildung von Steigern und mittleren Grubenbeamten gegründet und entwickelte sich im 20. Jahrhundert zunächst zur Ingenieurschule und später zur Fachhochschule.
Die IU Internationale Hochschule mit Hauptsitz in Erfurt ist mit rund 100.000 Studierenden die nach Zahlen größte Hochschule in Deutschland. Die staatlich anerkannte private Hochschule bietet rund 200 Studienprogramme und ist bundesweit an fast 40 Standorten vertreten. Im Ruhrgebiet gibt es Studienzentren in Bochum, Essen, Dortmund und Duisburg.
Oft übernimmt Arbeitgeber die Studiengebühren
Viele ihrer Studierenden sind nach Auskunft der IU „Werkstudenten“, das heißt, dass ein Betrieb die Kosten übernimmt. Ein Teil finanziert die Gebühren selbst. Ein „Duales Studium“ wird mit einer Berufsausbildung kombiniert und in Präsenz an einem Standort absolviert, in der Regel finanziert der Arbeitgeber die Studiengebühren. Oft vermittelt die Hochschule den Studienbewerbern einen „Praxispartner“. Einen Numerus Clausus gibt es nicht.
Zwei Studierende erzählen, warum Sie sich für eine private Hochschule entschieden haben: