Düsseldorf. Viele Anträge und lange Wartezeiten. NRW-Städte ächzen weiterhin unter neuen Regeln beim Wohngeld. Der Stress geht im Sommer weiter.

Vor knapp einem halben Jahr stürzte die Wohngeldreform viele Stadtverwaltungen in Nordrhein-Westfalen ins Chaos. Von Entwarnung kann bis heute keine Rede sein. Die Ämter ächzen immer noch unter der Antragsflut, und viele Menschen mit niedrigen Einkommen müssen lange auf ihr Geld warten.

Als die Rathauschefs von Bielefeld und Soest, Pit Clausen (SPD) und Eckhard Ruthemeyer (CDU), im Dezember im Landtag über das Wohngeld informierten, ahnten sie Ungemach: Bielefeld hatte damals das Personal in seiner Wohngeldstelle von 15 auf 30 auf eigene Kosten verdoppelt, auch die meisten anderen NRW-Städte suchten händeringend nach Unterstützung. Zum Beispiel lässt sich Gelsenkirchen die Aufstockung des Personals in der Wohngeldstelle und die veränderte Arbeitsweise eine Million Euro kosten.

Scharrenbach: Bund will das eigene "Menü" nicht kochen

In ihrer Not experimentierten die Kommunen wochenlang mit Vorschusszahlungen, und NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) attackierte die Bundesregierung zum Jahreswechsel scharf: „Sie schreibt mit der Wohngeldreform ein Menü auf die Karte, will es aber selbst nicht zubereiten“. Wie so oft denke sich der Bund auch hier etwas Neues aus und lasse dann die Städte und Gemeinden mit den Problemen allein.

Im Mai 2023 hat sich die Lage in den Ämtern zwar etwas entspannt, zufrieden sind die Städte aber noch lange nicht, und die Bürgerinnen und Bürger, die Wohngeld beziehen dürfen, leiden immer noch unter langen Wartezeiten. Zwei bis drei Monate sind es im Moment etwa in Herne. Die Bearbeitung der Anträge wird sich vielerorts noch über mehrere Monate hinziehen. Im Vergleich zum Vorjahr liegen zwei- bis dreimal so viele Anträge auf dem Tisch“, erklärt Helmut Dedy, Geschäftsführer des Städtetages NRW.

Zahl der bewilligten Wohngeldbescheide geht durch die Decke

Ministerin Ina Scharrenbach hat gegenüber dieser Zeitung eine erste Zwischenbilanz zur Wohngeldreform vorgelegt, die es in sich hat: In diesem Jahr wurden demnach bisher landesweit 438.301 Wohngeldbescheide ausgestellt. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 gab es im gesamten Jahr in NRW rund 153.000 wohngeldberechtigte Haushalte. 2020 bietet sich als Vergleichsjahr an, weil auch damals das Wohngeld gründlich reformiert worden war.

Seit Januar 2023 wurden rund 380 Millionen Euro Wohngeld in NRW ausgezahlt worden, rechnet Scharrenbach vor. Das sind satte 109 Prozent mehr als im selben Zeitraum 2022. Die CDU-Politikerin schimpft nach wie vor über eine „Brechstangen“-Reform, mit der die „Ampel“ im Bund eine Überbelastung der Wohngeldstellen billigend in Kauf genommen habe.

Nächster Stresstest schon im Sommer?

Helmut Dedy vom Städtetag NRW befürchtet, dass schon im Sommer „der nächste Schwung“ auf die Wohngeldstellen zukommen könnte, denn dann steige die Zahl der Haushalte, die Wohngeld beantragen dürfen, erneut. Es geht dann um Haushalte, die bisher Leistungen aus der Grundsicherung bezogen haben und dann ins neue Wohngeld wechseln können. „Der Druck steigt dann wieder. Die Wohngeldreform ist also noch lange nicht abgeschlossen“, erklärt Dedy.

Mit der Unterstützung der schwarz-grünen Landesregierung für die Stadtverwaltungen ist der NRW-Städtetag zufrieden. Der Verband fordert aber weitere Vereinfachungen beim Wohngeld, zum Beispiel eine digitale Antragstellung, die überall in Deutschland genutzt werden könne. „Das muss von Bund und Ländern gemeinsam mit den Städten erarbeitet werden“, so Dedy.

Das Wichtigste zur Wohngeld-Reform:

Seit dem 1. Januar 2023 habe in Deutschland dreimal mehr Haushalte mit kleinen Einkommen – zum Beispiel Familien, Rentnerinnen und Rentner, Alleinerziehende -- Anspruch auf Wohngeld. In NRW stieg die Zahl der wohngeldberechtigten Haushalte von rund 160.000 auf 480.000. In Gelsenkirchen sind es zum Beispiel heute rund 20.000 statt, wie zuvor, etwa 6500 Haushalte. Im Schnitt bekommen die Antragsteller etwa doppelt so viel Geld wie vorher – 370 statt 190 Euro im Monat. Die Kosten tragen je zur Hälfte Bund und Länder. Das Wohngeld ist ein staatlicher Zuschuss zu den Wohnkosten für Haushalte, die keine Sozialleistungen wie zum Beispiel Bürgergeld erhalten. Die Kriterien dafür sind seit Januar großzügiger bemessen, daher ist die Zahl der Empfänger jetzt größer. Mit dieser Reform reagierte die Bundesregierung auch auf steigende Energiekosten in der Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine.

Bürgerinnen und Bürger können seit dem 15. Dezember 2022 im Internet über den „Wohngeldrechner NRW“ prüfen, ob sie einen Wohngeldanspruch nach neuem Recht haben und zugleich online einen Antrag stellen. Seitdem haben in NRW rund 48.000 Menschen einen Wohngeldantrag über den digitalen Wohngeldrechner gestellt. Das sind rund 340 Anträge pro Tag. In diesem Jahr wurden in Dortmund laut Landesregierung bis Mitte Mai 13.985 Wohngeldbescheide ausgestellt, in Essen 12.922, in Gelsenkirchen 7.340 und in Köln 21.063