Bochum. Die Influenza-Saison 2022/23 war in NRW ungewöhnlich mit zwei Grippewellen und 42.320 gemeldeten Erkrankten. Das hing auch mit Corona zusammen.

Wer in diesem Winter nicht durch eine Infektion ‘schachmatt’ gesetzt war, kann sich wohl als abgehärtet bezeichnen. Doch die meisten hatten mit Erkältungssymptomen zu kämpfen, stärker als in den Vorjahren. In auffallend vielen Fällen war’s gar eine Grippe. Die Influenza-Saison 2022/23 war in NRW die stärkste seit Jahren. Aber nicht in allen Aspekten.

„In der laufenden Saison wurden mehr Fälle übermittelt als in allen zurückliegenden Saisons“, bestätigt ein Sprecher vom Landeszentrum Gesundheit (LZG) NRW auf Anfrage. Bis Anfang Mai waren 42.320 Grippefälle beim LZG registriert. Das waren fast 6000 Fälle mehr als in der bis dato stärksten Grippe-Saison 2017/18.

Grippe-Fälle in NRW: Immunsystem wurde durch Corona-Schutz geschwächt

Während der Corona-Pandemie waren die erfassten Grippe-Fälle auf einem bis dato nicht gekannten Tiefstwert: In der Saison 2020/21 gab es NRW-weit nur 98 Grippe-Meldungen. Die Saison darauf war mit 1394 Fällen aber schon auf einem Niveau, das es auch in Vorjahren schon gab.

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Der massive Anstieg jetzt ist wohl auch eine Folge der Schutzmaßnahmen gegen das Corona-Virus, die erst in diesem April durchgehend aufgehoben worden waren. „Es gibt so etwas wie ein trainiertes Immunsystem, welches besser gegen Erreger wirkt als ein untrainiertes Immunsystem. Durch die Schutzmaßnahmen war das Immunsystem vieler Menschen nicht mehr gut trainiert“, sagt Prof. Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie am Uniklinikum Essen.

82 Grippe-Tote in NRW in der Influenza-Saison 2022/23

Bei den Todesfällen, die auf Grippe zurückgeführt werden, zeigt sich erneut ein deutlicher Unterschied zum Corona-Virus: Mehr als 32.300 Menschen starben in NRW seit Pandemie-Beginn an oder mit Corona. Bei der Grippe zählt das LZG bisher 82 Tote im Zeitraum zwischen der Oktober 2022 (40. Kalenderwoche) und April/Mai 2023 (15.-20. Kalenderwoche). Zum Vergleich: In der Grippesaison 2017/18 waren 209 Tote im Zusammenhang Influenza gemeldet worden. „Wie beim Coronavirus auch, trifft es besonders Menschen, die alt sind und/oder vorerkrankt“, heißt es dazu beim LZG.

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Quelle für die Angaben ist der jeweilige Totenschein, wenn Influenza als Todesursache genannt ist, teilt das LZG mit. Allerdings weist man beim LZG darauf hin, dass die Influenza „aus verschiedenen Gründen häufig nicht als Todesursache eingetragen wird, sondern stattdessen zum Beispiel eine bakterielle Lungenentzündung oder eine vorbestehende Grunderkrankung wie Diabetes oder eine Herz-Kreislauferkrankung, die die Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Krankheitsverlaufs erhöht.“ Hinzu komme: „Nicht bei allen Todesfällen wird auf Influenzaviren untersucht, zudem wird der Tod nach einer Influenza-Infektion meist durch eine anschließende bakterielle Lungenentzündung verursacht, so dass die Influenzaviren häufig nicht mehr nachweisbar sind“, teilt das LZG mit.

Virologe: Die jetzt endende Grippesaison war ungewöhnlich

Ungewöhnlich war in der Grippesaison 2022/23 zudem „die Länge der Saison“, sagt Prof. Ulf Dittmer. „Beide Varianten des Grippevirus, Influenza A und B, waren vertreten und zwar nacheinander. Erst gab es schon ungewöhnlich früh viele Influenza B Fälle und dann später ungewöhnlich lang Influenza A Fälle.“

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Dennoch fällt auf, dass offenbar weniger Menschen so stark an Grippe erkrankten, dass sie ins Krankenhaus mussten. Die Hospitalisierungsrate lag bei knapp 30 Prozent - soweit Angaben dazu vorliegen. In der Grippesaison 2017/18 waren es kapp 45 Prozent. Unklar aber ist laut LZG, ob die Daten tatsächlich vergleichbar sind - und inwieweit in der aktuellen Grippe-Saison bei Ärzten möglicherweise mehr auf Influenza getestet wurde, auch bei weniger schwer Erkrankten. Eine detaillierte Analyse durch das Robert-Koch-Institut in Berlin stehe dazu noch aus, teilte das LZG mit.

Deutlich mehr Kinder mit Grippe, aber weniger Ältere

Auffallend ist auch, dass in der jüngsten Influenza-Saison Ältere in der Statistik weniger stark vertreten sind: knapp 20 Prozent jetzt im Vergleich zu fast 36 Prozent in der Grippesaison 2017/18. Dafür war der Anteil bei Kindern bis 10 Jahren fast doppelt so hoch: 22 Prozent in der Saison 2022/23 im Gegensatz zu knapp 12 Prozent vor fünf Jahren. Beim LZG erklärt man dazu, die Altersverteilung der Influenza-Fälle sei stark durch die zirkulierenden Viren beeinflusst: „Einige Stämme verursachen eher hohe Inzidenzen bei Kindern, andere eher bei älteren Menschen.“

Auch zeige sich, dass der Impfstoff das Grippe-Geschehen stark beeinflusse, sagt das LZG: „Die Saison 2022/2023 war in der ersten Welle durch Influenza A (H3N2) dominiert, in der zweiten, deutlich schwächeren Welle durch Influenza B. Die Impfstämme wiesen laut RKI eine gute Passgenauigkeit mit den zirkulierenden Viren auf.“

Der neue Grippe-Impfstoff wird erst noch gemischt

Die Grippe-Saison 2017/2018 war maßgeblich durch einen neuen Virustyp von Influenza B dominiert gewesen, erläutert das LZG: „Bei diesem Stamm zeigte sich tendenziell eine höhere Inzidenz bei älteren Menschen.“ Im damals verbreiteten Impfstoff „war der passende Influenza-B-Impfstamm nicht enthalten.“

Wie gut der Impfstoff im kommenden Winter vor Grippe schützen wird, entscheidet sich unter anderem in Afrika und Südamerika. „Die eigentliche Grippesaison startet auf der Südhalbkugel der Erde in den nächsten Wochen“, erklärt Prof. Ulf Dittmer. Auf die dort herausstechenden Virustypen wird dann der Impfstoff ‘zugeschnitten’, mit dem man sich dann in der nächsten Grippe-Saison bei uns davor schützen kann, schwer an Grippe zu erkranken. „Menschen, die im letzten Winter keine Grippe hatten, könnten im nächsten Winter noch mal sehr gefährdet sein, stark an der Grippe zu erkranken“, meint Dittmer. Er rät: „Eine Impfung könnte dies verhindern.“