Düsseldorf. Gesundheitsminister Jens Spahn und Kinderärzte raten wegen Corona zur verstärkten Grippe-Impfung. Doch die Impfung ist nicht für alle sinnvoll.

Mehrere Wochen vor dem Beginn der Grippe-Zeit im Herbst ordern Arztpraxen in NRW derzeit in großem Stil Grippeimpfstoff nach. Grund ist die Corona-Pandemie. Doch der Impfstoff ist nur noch begrenzt verfügbar. Der Apothekerverband Nordrhein warnt: „Es ist nicht sinnvoll und notwendig, dass sich nun jede und jeder gegen Grippe impfen lässt.“

Jüngst hatten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Kinderärzte zur verstärkten Grippe-Impfung geraten. Ihre Begründung: Da sich die Symptome von Corona und Grippe vielfach ähneln, sei es in diesem Jahr umso notwendiger, sich gegen Grippe zu impfen – etwa auch Kinder - um das Gesundheitssystem in der Grippezeit nicht zusätzlich durch Grippekranke zu belasten.

Robert-Koch-Institut: Nicht jeder braucht eine Grippe-Impfung

Das scheint Wirkung zu zeigen: „Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey zufolge will sich in diesem Jahr offenbar etwa jeder zweite Bundesbürger gegen Grippe impfen lassen“, sagt Nina Grunsky, Sprecherin des Apothekerverbands Westfalen-Lippe. Doch soweit sollte es nicht kommen, warnen Experten.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) beim Robert-Koch-Institut bleibt auch angesichts von Corona dabei: Nach wie vor wird nur bestimmten Menschen eine Grippe-Impfung empfohlen: Älteren ab 60 Jahren, Schwangeren, Risiko-Patienten, chronisch Kranken und Angehörigen von Berufsgruppen mit viel Kontakt zu anderen Menschen und Personen, die eng mit Risikopatienten zu tun haben. Doch: Selbst viele derer, die eine Grippe besonders schädigen würde, sind oder waren bis dato Impf-Muffel.

Trotz Corona: Viele Impf-Muffel in den Risikogruppen

„Die Impfquoten in diesen Gruppen sind bedauerlicherweise in den letzten Jahren nicht ausreichend gewesen und lagen in der Grippesaison 2018/19: bei 35 Prozent bei den über 60-Jährigen, und 20 bis 50 Prozent bei den chronisch Kranken“, sagt ein Sprecher des NRW-Gesundheitsministeriums. „Dagegen steht die Empfehlung, dass sich alle Menschen dieser Gruppen impfen lassen sollten“.

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Die Stiko warnt jedoch vor Massen-Andrang: „Allein für die vollständige Umsetzung der bestehenden Impf-Empfehlungen wären etwa 40 Millionen Dosen Influenza-Impfstoff notwendig“, heißt es in eine Veröffentlichung zur anstehenden Grippe-Zeit. Tatsächlich sind bundesweit insgesamt 25 Millionen Impfdosen in dieser Saison verfügbar, „inklusive der vom Bundesministerium für Gesundheit beschafften nationalen Reserve“, sagt Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein.

Apotheker warnt: Ausweitung der Impf-Empfehlungen wäre kontraproduktiv

Aus Sicht von Preis „wäre es schon ein großer Erfolg, wenn die Impfquote in den relevanten Gruppen auf 50 Prozent steigen würde.“ Ziel müsse es daher jetzt sein, „dass sich aus dem Kreis der Risikogruppen deutlich mehr Menschen gegen Grippe impfen lassen.“

Würden sich jetzt vermehrt auch Menschen eine Grippeschutz-Spritze geben lassen, die nicht zu den einschlägigen Risikogruppen gehören, kann das sogar die Versorgung von Risikopatienten gefährden, warnt die Stiko. Das Fazit der Experten: Eine Ausweitung der Impf-Empfehlung könnte sich „derzeit sogar als kontraproduktiv erweisen.“ Ja, sie sei sogar „unsinnig“: Wegen der allgemeinen Coronaschutz-Regeln wie Abstand, Nies-Etikette oder Mund-Nase-Schutz seien „die Schutzeffekte für die Gemeinschaft durch Impfung von Nicht-Risikogruppen von begrenzter Wirkung“.

Corona und Grippewelle verunsichern viele Menschen

Manche Arztpraxen scheinen die jüngsten Impf-Empfehlungen allerdings zu verunsichern, sagt Thomas Preis: „Dass Arztpraxen jetzt so früh Grippeimpfstoff nachordern, noch bevor die Grippewelle überhaupt begonnen hat, hatten wir bisher noch nicht.“

Auch Krankenkassen registrieren Sorgen bei Versicherten: „Aufgrund der Corona-Pandemie sind viele Menschen verunsichert, ob sie sich gegen Grippe impfen lassen sollen“, sagt Barmer-Sprecher Andreas Reinwand. „Wir erwarten einen erhöhten Beratungsbedarf und helfen unseren Versicherten über verschiedene Informationskanäle wie Internet, Telefon oder persönliche Beratung weiter. Die Kosten einer Impfung würden bis dato jedenfalls nur für Angehörige der einschlägigen Risikogruppen von der Krankenkasse übernommen.

Grippe-Impfstoff ist nicht unbegrenzt verfügbar

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Unbegrenzt verfügbar ist Grippeimpfstoff zudem nicht, im Gegenteil: „Grippeimpfstoff wird bereits im Februar und März vor der neuen Grippesaison geordert“, erklärt Preis, der selbst Apotheker ist und zwei Apotheken in Köln betreibt. „Erst auf Basis dieser Bestellungen beginnen die Hersteller mit der Produktion. Die Produktionskapazitäten sind jedoch begrenzt, es kann nicht beliebig nachgeordert werden.“ Zudem muss für jede Grippesaison ein Impfstoff neu entwickelt werden. Vorhandene Dosen sind nicht mehr verwendbar, weil sich die Virenstämme verändern und der alte Impfstoff aus der Vorsaison nicht mehr wirkt.

Als die Corona-Pandemie im März dann auch in Deutschland um sich griff, sei aus Sicht der Apothekerverbände abzusehen gewesen, dass man damit im nächsten Herbst aus der bisherigen Grippeimpf-Routine gerissen würde: Das Bundesgesundheitsministerium habe im Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei eine Epidemie-Lage deshalb geregelt, dass Arztpraxen schon im April mehr Grippeimpfstoff bestellten durften, als sonst, erklärt Nina Grunsky: „Somit müssen sie keine Regressforderungen von Krankenkassen fürchten, wegen unwirtschaftlicher Verordnung“.

Apothekerverband erwartet keinen Engpass beim Grippe-Impfstoff

Beim Apothekerverband Nordrhein glaubt Thomas Preis unterdessen nicht, dass es in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie zu Engpässen beim Grippeimpfstoff kommt: „Wenn sich alle an die Impfstrategie der Stiko halten, wird genug Impfstoff da sein.“

Auf den Preis von Impfstoff habe die aktuelle Lage keine Auswirkungen, heißt es bei den beiden Apothekerverbänden in NRW: „Ohnehin ist der Preis für Impfstoffe in Deutschland reguliert“, sagt Nina Grunsky. Die Apotheken sind zudem an die Arzneimittelpreisordnung gebunden und dürfen den Preis nicht einfach nach Angebot und Nachfrage anpassen und erhöhen.

Laut Grunsky machten die Apotheken mit dem Grippe-Impfstoff nicht das ‚große Geschäft‘: „Die Vergütung der Apotheken für die Abgabe von Grippeimpfstoffen an Ärzte beträgt 1 Euro pro Impfdosis zuzüglich Mehrwertsteuer“. Wer als Kunde Grippeimpfstoff in der Apotheke kauft muss nach Auskunft der Krankenkasse Barmer ungefähr 23 Euro je Charge bezahlen.