Düsseldorf. So spannend war eine Wahl in der Türkei lange nicht mehr. Werden Erdogans Anhänger in NRW im Falle einer Niederlage die Ruhe bewahren?
Je näher der Termin für die Parlaments- und Präsidentschaftswahl in der Türkei rückt, desto nervöser werden die Sicherheitsbehörden im Bund und in NRW. Ihre Befürchtung: Sollte es nach dem Urnengang am 14 Mai zu Unruhen in der Türkei kommen, dann dürften diese Konflikte auch nach NRW getragen werden, wo besonders viele türkeistämmige Menschen leben.
Innenminister: Es geht auch um die Sicherheit in NRW
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU)hatte zuletzt bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes auf Risiken im Zusammenhang mit der Türkei-Wahl hingewiesen: „Es ist damit zu rechnen, dass die türkische Regierung hier bei uns in NRW versucht, unsere türkischen Mitmenschen als Wähler zu mobilisieren. Damit wirken sich türkische Wahlen auch auf die Sicherheitslage in NRW aus.“ NRW werde den Wahlkampf daher „aufmerksam begleiten“. Reul beschrieb auch türkische „Desinformationskampagnen“, die sich gezielt an in Deutschland lebende Türkeistämmige richteten.
SPD-Politiker Yüksel: "Wir müssen auf der Hut sein"
Der Chef des Landtags-Petitionsausschusses, Serdar Yüksel (SPD), sagte dieser Redaktion, NRW müsse „sicherheitspolitisch auf der Hut“ sein und sich gut auf den „Fall der Fälle“ vorbereiten. „Sollte es zu einem sehr engen Wahlausgang kommen, sollte Kemal Kilicdaroglu die Wahl gewinnen, Recep Tayyip Erdogan dies aber nicht akzeptieren, dann könnte das zu Unruhen führen, die sich nicht auf die Türkei beschränken“, so Yüksel.
Man müsse fest davon ausgehen, dass es dann auch hier in NRW Demonstrationen aller Lager geben würde. Gewalt sei nicht auszuschließen, warnt Yüksel, der auch Mitglied der Parlamentariergruppe „NRW-Türkei“ im Landtag ist. Der Essener Politikwissenschaftler Prof. Burak Copur hält eine Übertragung von türkischen Konflikten im Zusammenhang mit der bevorstehenden Wahl ebenfalls für „durchaus möglich“.
Bundesregierung ist alarmiert
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat die Bundesländer sowie seine Kabinettskolleginnen Nancy Faeser (SPD, Innen) und Annalena Baerbock (Grüne, Außen) aufgefordert, mögliche Hassreden türkischer Politiker zu verhindern.
„Es gibt aus unserer Sicht ganz viele Merkmale bei diesen Wahlen und dem Zustand der Türkei, die große Besorgnis hervorrufen“, sagte Frank Schwabe (SPD), Leiter der Wahlbeobachtungsmission des Europarats. Dazu gehöre der Grad der Demokratie, die Medien-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, über die der Europarat bereits zuvor Besorgnis geäußert habe. Dennoch sei die türkische Demokratie erstaunlich resilient, so Schwabe. Am Wahltag könne man darum ein „gewisses Vertrauen“ in die Korrektheit des Wahlergebnisses haben.
Gegen den seit gut 20 Jahren regierenden Recep Tayyip Erdogan tritt unter anderen der Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu an. Umfragen sagen ein knappes Rennen voraus. In Deutschland sind rund 1,4 Millionen Menschen mit türkischer Staatsangehörigkeit stimmberechtigt, in NRW etwa eine halbe Million Menschen.
Am 14. Mai werden in der Türkei das Parlament und der Präsident neu gewählt. Im Gegensatz zu früheren Wahlen müssen Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine islamistisch-konservative Partei AKP diesmal offenbar zittern. Sein Herausforderer Kemal Kilicdaroglu von der sozialdemokratischen CHP scheint Umfragen zufolge Chancen auf einen Sieg zu haben. Damit richtet sich diesmal der Blick noch mehr als sonst auf den Wahlkampf außerhalb der Türkei. Zu den wichtigen Schauplätzen zählen NRW und das Ruhrgebiet.
Stets umstritten: Erdogans Wahlkampf-Auftritte in NRW
Es gab Zeiten, in denen Erdogan in NRW große Hallen füllte. Zum Beispiel lockte sein Auftritt im Mai 2014 rund 15.000 Anhänger in die Kölner Lanxess-Arena. Offiziell war der Anlass nicht die Wahl, sondern ein Jubiläum der Union Europäisch Türkischer Demokraten (UETD) -- eine Lobbyorganisation der AKP. Umstritten war der Auftritt nicht nur wegen des Etikettenschwindel-Vorwurfs, sondern vor allem deshalb, weil Erdogan sagte, Türken in Deutschland dürften sich zwar integrieren, aber nicht völlig anpassen. 2011 forderte er bei einer Rede in Düsseldorf, dass Türken in Deutschland erst ordentlich Türkisch lernen sollten und dann erst Deutsch.
Inzwischen – unter dem Eindruck vieler und nicht gerade von der Demokratie inspirierter Wahlkampfauftritte von türkischen Regierungsmitgliedern -- gilt in Deutschland ein Wahlkampfverbot für ausländische Politikerinnen und Politiker, die nicht aus der EU kommen. In den drei Monaten vor einer Wahl werden solche Auftritte nicht mehr erlaubt.
Hass-Rede in Neusser Moschee
In diesem Frühjahr schauen deutsche Behörden besonders intensiv hin, denn im Januar hatte der türkische AKP-Abgeordnete Mustafa Acikgöz in einer Moschee der rechtsextremen Grauen Wölfe in Neuss eine Rede gehalten, die so voller Hass war, dass danach sogar der türkische Botschafter ins Auswärtige Amt einbestellt wurde.
Acikgöz hatte unter anderem gesagt, dass man den „Terroristen“ kein Lebensrecht in der Türkei gewähren werde und das auch für Deutschland gelten solle. Damit meinte er regimekritische Kurden und Anhänger der Gülen-Bewegung. Der Politiker drohte in Neuss offen mit der „Vernichtung“ dieser Menschen.
Gibt es türkische Wahlkampfaktivitäten in NRW?
Ja, versichert der Politikwissenschaftler Prof. Burak Copur aus Essen gegenüber dieser Redaktion. „Es hat einen Strategiewandel der AKP gegeben. Es wird nicht mehr die Werbetrommel in großen Versammlungshallen und auf Plätzen gerührt, sondern der Wahlkampf in NRW läuft unter dem Radar eher im Kleinen und im Verborgenen ab“, erklärt er. Es gebe jetzt zum Beispiel Wahlkampf-Veranstaltungen in Moscheen, im Rahmen von Bürgertreffs oder verstärkt in sozialen Medien. Die Unterstützer Erdogans hätten gute Verbindungen nach NRW. Copur: „Nach außen könnte man den Eindruck gewinnen, dieser Wahlkampf verlaufe ruhiger als frühere, aber der Schein trügt.“
Yunus Ulusoy von der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung in Essen (ZFTI) sagt dazu: „Die Türkei hält sich an die Übereinkunft mit Deutschland, auf große offizielle Wahlkampfauftritte zu verzichten. Aber natürlich sind alle türkischen Parteien organisatorisch in Deutschland vertreten, und sie versuchen auch, Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren.“ Besonders das Erdogan-nahe Lager sei in NRW gut organisiert.
Wen wählen Türkeistämmige in NRW?
Die im Ausland lebenden türkischen Wahlberechtigten machen etwa fünf Prozent aller Wahlberechtigten aus. In NRW leben etwa 500.000 Menschen mit türkischem Pass. An der Präsidenten-Wahl im Jahr 2018 nahmen etwa 53 Prozent von ihnen teil. Damals war Essen und Umgebung die „Hochburg“ des Erdogan-Lagers. 76,3 Prozent der Stimmen, die im dortigen Konsulat abgegeben wurden, gingen in Richtung AKP. In Düsseldorf waren es 70,5, in Münster 66,1 und in Köln 65,9 Prozent.
„An der Struktur und politischen Präferenz der türkeistämmigen Bevölkerung in NRW dürfte sich im Vergleich zur Präsidentschaftswahl 2018 nicht viel geändert haben. Wir können davon ausgehen, dass Präsident Erdogan nach wie vor in NRW und besonders im Ruhrgebiet hohe Zustimmungswerte erreicht“, erklärt Yunus Ulusoy vom ZFTI. Deutschlandweit seien in den vergangenen Jahren durch Studium, Arbeit oder Flucht zwar etwa 100.000 Türkinnen und Türken zugewandert. Viele von ihnen stünden nicht hinter der AKP, „aber das dürfte die Wahlchancen der AKP insgesamt in Deutschland kaum beeinträchtigen“, so Ulusoy.
„Ich rechne nicht mit großen Überraschungen, was den Stimmenanteil der AKP in NRW und im Ruhrgebiet angeht“, bestätigt Prof. Burak Copur, Politikwissenschaftler und Türkei-Experte aus Essen. Essen sei deshalb eine „AKP-Hochburg“, weil im Ruhrgebiet „überproportional viele bildungsferne AKP-Anhänger aus der Schwarzmeerregion und Anatolien“ lebten.
Serdar Yüksel (SPD), Leiter des Petitionsausschusses im Landtag, widerspricht. Die Wechselstimmung in der Türkei bringe auch in der türkischen Gemeinschaft in NRW „etwas ins Rutschen“, sogar in staatsnahen und Erdogan-treuen Organisationen wie der Ditib und der UID gebe es „vorsichtige Absetzbewegungen“. Etwa 20 Prozent der türkischen Wahlberechtigten seien „Hardcore-Erdogan-Unterstützer“. Aber es gebe eben auch viele Jüngere hier, die tendenziell liberaler eingestellt seien.
Wie entscheidend sind die Stimmen in NRW?
„Die Stimmen der Türkeistämmigen in NRW könnten nur dann eine Rolle spielen, wenn der Wahlausgang sehr eng sein sollte. Sonst haben die Auslandsstimmen eher eine symbolische Bedeutung“, erklärt Yunus Ulusoy vom ZFTI. Prof. Burak Copur bestätigt: Je enger die Wahl, desto wichtiger die Auslandsstimmen.