Düsseldorf. Innenminister Reul (CDU) hat am Donnerstag beschrieben, wie sich Extremisten und Demokratiefeinde in NRW austoben. Die Lage ist ernst.

Nazis tarnen sich als Friedensaktivisten, Energieversorger müssen mit Sabotage rechnen, Putins Propaganda läuft auch in NRW auf Hochtouren, und immer mehr Menschen haben Angst. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) und der Chef des Landes-Verfassungsschutzes, Jürgen Kayser, beschrieben am Donnerstag reale Bedrohungen, die sich stimmig einfügen in die viel zitierte Zeitenwende. Im Kern ist die Botschaft an die Bürgerinnen und Bürger: Seid wachsam.

Es gibt Grund zur Sorge. Immerhin steigt die Zahl politisch motivierter Straftaten drastisch, und viele jener finsteren Akteure, deren Ziel es ist, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu erschüttern, scheinen in russischen und chinesischen Behörden zu sitzen, sind also Profis mit staatlichem Auftrag. Um das Bild nicht gar so düster erscheinen zu lassen, bemühte der Minister bei der Vorstellung des jüngsten Verfassungsschutzberichtes sogar Durchhalteparolen: „Wenn von außen die Gefahr immer größer wird, müssen wir innen enger zusammenrücken.“ Und: „Unsere Demokratie ist verwundbar, aber sie ist nicht hilflos.“

Furcht vor „Entgrenzung“

Entgrenzung bedeutet, dass die früher klaren Grenzen zwischen Extremisten und normalen Bürgern verschwimmen. Anders gesagt: Der Extremist gibt vor, ein guter Mensch zu sein. „Rechtsextremisten verstehen viel davon. Sie tarnen sich als Helfer von nebenan“, sagte Reul. Auch beim Salafismus funktioniere Entgrenzung. Ein Beispiel seien salafistische Spendensammlungen im Zusammenhang mit der Erdbebenkatastrophe in der Türkei. Der Anlass sei ein vermeintlich guter, der Antrieb ein schädlicher. Reul beschrieb das Phänomen sportlich: Wer so die Grenzen verschleiere, „hat das demokratische Trikot nur zur Tarnung an.“

Moderne Medien als Propagandainstrumente

Mit „Youtube, Facebook, Tiktok, Telegram“ hätten Extremisten Werkzeuge in der Hand, mit denen sie viele Menschen schnell erreichen könnten, so Reul. Der Messengerdienst Telegram werde besonders von prorussischen Propagandisten für Falschinformationen genutzt. Das Problem ist laut Reul riesig: „Desinformation flutet die Chat-Foren und Handy-Postfächer im Land.“ Die Landesregierung wirbt daher dafür, dem Staat ebenfalls wirksame Instrumente zu geben, um die Hetzer aufspüren zu können: „Das ist der Kern von allem. Wir müssen früher wissen, wer wo unterwegs ist.“ Im Streit um die Vorratsdatenspeicherung sollte „abgerüstet“ werden. Ein Urteil des EU-Gerichtshofes von 2022 gegen die deutsche „anlasslose“ Vorratsdatenspeicherung biete laut Reul eine Arbeitsgrundlage. Die EU hat nämlich nichts gegen eine gut begründete Speicherung im Falle schwerer Kriminalität.

Rechtsextremismus

Er sei die „größte extremistische Bedrohung für unsere Demokratie“, warnte Reul. 2022 zählte der Verfassungsschutz in NRW 3.545 Rechtsextremisten (2021: 3.875). Die Zahl gewaltorientierter Rechtsextremisten liegt bei 1.900 Personen (2021: 2.000). Rechtsextremisten verübten im vergangenen Jahr 3453 politisch motivierte Straftaten -- ein Plus von zehn Prozent. Besonders im Fokus der Verfassungsschützer ist die Reichsbürger-Szene. 3400 Reichsbürger sollen in NRW leben. Die Regierung sieht ein „erhebliches Gefahrenpotenzial“.

Linksextremismus

2022 zählte der Verfassungsschutz 2.810 Linksextremisten, ein Anstieg um 5,2 Prozent. Etwa 1000 Linksextremisten gelten als gewaltbereit. Straftaten im Zusammenhang mit der Räumung von Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier sind im Verfassungsschutzbericht für 2022 nicht berücksichtigt. Reul warf linken Straftätern aber vor, in Lützerath Menschen, die sich berechtigterweise für Klimaschutz einsetzten, instrumentalisiert zu haben. Sein Vorwurf geht noch weiter: "Ein Teil der um das Klima besorgten bürgerliche Mitte hat es bis heute nicht geschafft, sich von gewaltbereiten Linksextremisten zu distanzieren."

Islamismus

4070 den Behörden bekannte Islamisten gab es zuletzt in NRW, fast zwölf Prozent weniger als 2021. Der vereitelte Giftanschlag, den zwei Brüder aus Castrop-Rauxel womöglich an Silvester begehen wollten, zeige, wie präsent islamistischer Terror noch sei, so Reul. Der Verfassungsschutz beobachte zunehmend Versuche, junge Menschen für den Islamismus und Salafismus zu gewinnen. Im Ruhrgebiet und in Ostwestfalen seien immer häufiger Prediger anzutreffen, die in Fußgängerzonen missionierten.

Auslandsbezogener Extremismus/Spionage

Der NRW-Verfassungsschutz registriert Desinformationskampagnen aus der Türkei, die sich an in Deutschland lebende Türkeistämmige richten. Türkische Behörden und Medienhäuser erheben laut Reul „übersteigerte islamophobische Vorwürfe gegen Deutschland“. Ziel dahinter sei es, die türkeistämmige Gemeinschaft in NRW an die Türkei zu binden. Das erschwere die Integration dieser Menschen.

Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hätten auch „systematische Desinformation und Versuche der Destabilisierung unserer Gesellschaft durch staatliche russische Akteure traurige Konjunktur.“ China und der Iran zählten ebenfalls zu den treibenden Kräften, wenn es um Falschinformationen, Spionage, Cyberangriffe und Staatsterrorismus gehe.

Bei den vielen Cyberattacken auf Behörden und Firmen in NRW sei es zwar schwer, Verantwortliche zu finden. „Oft deuten aber starke Indizien auf staatliche Akteure in Russland und China hin“, sagte Reul. Ebenfalls ein Risiko sei die Unterwanderung von Sicherheitsbehörden durch Spione und Saboteure. Mahnende Beispiele: Das jüngste Sicherheitsleck in den USA und der Verdacht gegen einen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, der Geheimnisse an Russland verraten haben soll.