Düsseldorf. Der Staat sollte die Bürgerinnen und Bürger besser auf die neuen Gefahren vorbereiten, meint Feuerwehr-Experte Christoph Schöneborn.

Die Feuerwehren sind laut Bundesinnenministerium das „Rückgrat der Gefahrenabwehr“ und eine wichtige Säule im Katastrophenschutz. Ist NRW gut auf die neuen Krisen und auf Unglücke vorbereitet? Matthias Korfmann sprach darüber mit Christoph Schöneborn, Geschäftsführer des Verbandes der Feuerwehren in NRW.

Herr Schöneborn, es gibt viele neue Bedrohungen: Pandemien, Extremwetter, Krieg, Energiekrise, Sabotage gegen kritische Infrastruktur. Hält der Katastrophenschutz damit Schritt?

Schöneborn: Er versucht es. Katastrophenschützer haben es im Blut, plötzlich auftretende Probleme schnell zu lösen. Was die Feuerwehr und der Katastrophenschutz spontan können, hat man zuletzt zweimal gesehen. Erstens in der Flüchtlingslage 2015. Menschen mussten transportiert, Betten in Turnhallen aufgestellt werden. Da haben wir mitgeholfen. Zweitens: Die heiße Phase der Pandemie. In vielen Städten haben die Feuerwehren zum Beispiel die Koordination der Impfzentren übernommen. Dabei hatte keiner Erfahrungen mit einer Pandemie. Die Situationen, auf die wir uns jetzt vorbereiten müssen, zum Beispiel Energiemangel, sind aber so herausfordernd, dass der Katastrophenschutz viel mehr Personal benötigt.

Sind die Städte gleich gut gerüstet?

Schöneborn: Katastrophenschutzbehörden sind die 54 Kreise und kreisfreien Städte, und dort ist die Lage sehr unterschiedlich. Etwa ein Drittel ist schon gut aufgestellt, ein zweites Drittel muss nachbessern, der Rest massiv nachbessern. Alle kreisfreien Städte haben den Katastrophenschutz bei den Berufsfeuerwehren angesiedelt. Dort sind Feuerwehr und Katstrophenschutz in einer Hand. In den Kreisen ist der Kreis für den Katastrophenschutz zuständig. Der arbeitet mit den dortigen Gemeinden und den Feuerwehren zusammen. Dort müssen sich mehr Beteiligte zusammenraufen als in den Großstädten.

Ist NRW auf Stromausfälle vorbereitet?

Schöneborn: Jedenfalls viel besser als noch vor einem Jahr. Viele wollen sich vorbereiten, können es aber nicht, weil die Nachfrage nach Notstromaggregaten größer ist als das Angebot. Es fehlen auch Pumpen, mit denen bei einem Blackout Kraftstoff in Fahrzeuge gepumpt werden kann. Die Frage ist auch, was man vom Katastrophenschutz erwarten kann. Er kann nicht dafür sorgen, dass das Leben sofort so weitergeht, wie es war. Wohnungen bleiben während des Blackouts stromlos. Derzeit werden „Katastrophenschutz-Leuchttürme“ aufgebaut, bis hinein in die Dörfer. Das sind sichere Orte, an denen sich Menschen aufwärmen können und Informationen bekommen.

Wie gut lässt sich die kritische Infrastruktur – Kliniken, Kraftwerke, Bahnanlagen – schützen?

Schöneborn: Das kann der Katastrophenschutz nicht leisten. Krankenhäuser und Pflegeheime kaufen gerade selbst Notstromaggregate. Wichtige Einrichtungen müssen sich vor allem selbst schützen können, und das wissen sie auch.

Auf welche Notlagen sind wir besser, auf welche schlechter vorbereitet?

Schöneborn: Schwer zu sagen. Auf manche können sie sich gar nicht vorbereiten. Die Herausforderungen während der Pandemie haben 99 Prozent der Einsatzkräfte vorher nicht erahnen können. Es ist unmöglich, sich auf jede denkbare Lage vorzubereiten. Für den besten Schutz in jedem 100-Einwohner-Dorf müsste es eine rund um die Uhr hauptamtlich besetzte Feuerwache geben müsste, was unrealistischer Unsinn wäre.

Innenminister Reul sieht große Fortschritte im Katastrophenschutz. Es gibt mehr Sirenen, eine zentrale Landesstelle Katastrophenschutz wird aufgebaut, der Schutz wird digitaler. Ist das eine große Verbesserung?

Schöneborn: Die Landesregierung hat schon viel getan, aber es reicht noch nicht. Künftig werden die rund 6.000 Sirenen im Land ausschließlich als Warnmedium für die Bevölkerung dienen und nicht mehr zur Alarmierung der Einsatzkräfte genutzt. Das ist gut. Das Innenministerium hat sich auch Top-Experten aus den kommunalen Katastrophenschutzbehörden geholt, aber noch zu wenige. Es gibt einen Aufbaustab für die Landesstelle Katastrophenschutz. Der reicht aber nicht, um diese Landesstelle rund um die Uhr im Regelbetrieb zu besetzen, und das muss das Ziel sein.

Ist NRW jetzt besser auf eine Hochwasserkatastrophe vorbereitet?

Schöneborn. Auf jeden Fall. Aber es fehlt noch ein wichtiges Element: Schon Tage vor der Katastrophe 2021 wurden örtlich bis zu 200 Liter Regen je Quadratmeter vorhergesagt. Aber niemand in den Katastrophenschutzbehörden wusste, was 200 Liter bedeuten. Diese „Übersetzungshilfe“ gibt es leider immer noch nicht. Das soll einmal die zentrale Landestelle leisten. Übrigens auch zu atomaren Gefahren, Erdbeben-Risiken und anderen Lagen.

Ein sehr gefährliches Phänomen ist die Katastrophen-Demenz. Wenn 20 Jahre lang nichts passiert, verlieren die Menschen das Gespür für die Risiken. Zu loben sind die Katastrophenschutz-Bedarfspläne in Essen und Krefeld, denn die sichern langfristig den Blick auf solche Probleme.

Sind wir auf atomare Gefahren vorbereitet?

Schöneborn: Niemand kann seriös die Frage beantworten, ob wir dafür gerüstet sind, denn es gibt keine Erfahrungswerte dafür.

Wie gut ist der Zivilschutz für den Kriegsfall aufgestellt?

Schöneborn: Zivilschutz ist die Kernaufgabe des Technischen Hilfswerkes (THW). Die Akteure des Katastrophenschutzes können das, was sie in Friedenszeiten leisten, auch im Zivilschutzfall leisten. Aber nur, wenn sie nicht selbst stark geschädigt sind.

Die Feuerwehren fordern mehr Selbsthilfe der Bevölkerung. Sind die Menschen ausreichend sensibilisiert für Katastrophen?

Schöneborn: Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat dafür geworben, dass man sich einen Notvorrat zulegen sollte. Manche Menschen spotten darüber. Es gibt aber keinen Grund, sich darüber lustig zu machen. Leider sind Teile der Bevölkerung nicht sensibilisiert für Gefahren. Der Katstrophenschutz wird aber nicht dafür sorgen können, dass alles gleich wieder gut wird. Die Bevölkerung muss in der Lage sein, sich ein Stück weit selbst zu schützen und den Katastrophenschutz nur dann in Anspruch zu nehmen, wenn es nötig ist. Die Menschen sollten einen oder zwei Tage ohne fremde Hilfe zu Hause zurechtkommen können. Wenn die Gefriertruhe keinen Strom mehr hat, ist das zwar schade, aber kein Einsatzgrund.

Erwarten die Menschen zu viel vom Staat?

Schöneborn: Die Erwartungshaltung in diesem reichen Land ist massiv gestiegen. Viele meinen, wenn ihr Leben heute nicht mehr so ist wie gestern, müsse der Staat das gleich korrigieren. Das kann der Katastrophenschutz nicht leisten, und darüber müssen wir die Bevölkerung aufklären.

Wie kann das gelingen?

Schöneborn: Schon die Kinder sollten in den Schulen informiert werden. Der Bund bereitet das gerade vor. Natürlich können auch die für Schule zuständigen Länder das Thema aufgreifen. Über den Rundfunk könnten und sollten die Menschen für das Verhalten in Katastrophen sensibilisiert werden. Da müssen möglichst über Jahre deutliche Botschaften gestreut werden.

Sind Sie für ein Soziales Dienst-Pflichtjahr?

Schöneborn: Der Wegfall der Wehrpflicht hat anderen Akteuren im Katastrophenschutz mehr geschadet als den Feuerwehren. Wir haben den Vorteil der Jugendfeuerwehren. Ob eine Dienstpflicht die Einstellungen junger Menschen verändern würde, können andere besser beurteilen als ich. Ich finde aber, wir sollten über solche Zukunftsfragen tabufrei nachdenken.

Sie schlagen vor, es müsse in jeder NRW-Kommune Stäbe für außergewöhnliche Ereignisse (SAE) geben. Ist diese Botschaft angekommen?

Schöneborn: Die kreisfreien Städte haben ihre Krisenstäbe. Nicht in allen kreisangehörigen Städten und Gemeinden gibt es SAE. Leider sind diese Stäbe noch nicht verpflichtend. Die Kommunalen Spitzenverbände wissen aber, dass dieses Problem gelöst werden muss.