Düsseldorf. Die schwarz-grüne Landesregierung hat es behauptet, aber offenbar liegen doch nicht alle wichtigen Dokumente bei der Autobahn GmbH.

Was wusste Hendrik Wüst (CDU) vom Brückendesaster an der A45? Um diese Frage drehte sich am Montag eine gut dreistündige Sondersitzung des Verkehrsausschusses im Landtag, von der Opposition zuvor schon als „Stunde der Wahrheit“ für den Ministerpräsidenten intoniert.

Wüsts Antwort lautete, er habe in seiner Zeit als Verkehrsminister voll und ganz dem Rat seiner Straßenbau-Experten vertraut. Und die hätten bis kurz vor der Autobahnsperrung im Dezember 2021 nicht wissen können, wie marode die Talbrücke Rahmede tatsächlich war.

Wüst will nicht wie ein Angeklagter wirken

Stehend und mit durchgedrücktem Rücken startet Hendrik Wüst in den Ausschuss. So verharrt er, bis Kameraleute und Fotografen den Saal verlassen haben. Der Ministerpräsident ist ein Mensch, der die Macht und den Fluch der Bilder kennt: Ein sitzender Wüst hätte ausgesehen wie ein Mann auf der Zeugenbank oder gar wie ein Angeklagter. Später dreht sich der sonst so selbstbewusste Wüst ein paarmal Hilfe suchend zu Beratern um. Ein Zeichen, dass seiner Sache während der Befragung doch nicht hundertprozentig sicher ist.

Eigentlich läuft es für Wüst gut im Ausschuss. Die These, er könnte als Verkehrsminister zwischen 2017 und 2021 Einfluss darauf genommen haben, dass der geplante Neubau der Rahmedetalbrücke um Jahre verschoben wurde und dass mit einer politischen Fehlentscheidung das Verkehrschaos rund um Lüdenscheid ausgelöst wurde, wird von einer Top-Expertin für Straßenbau in Deutschland nicht untermauert. Im Gegenteil.

Die Talbrücke Rahmedetal galt "nie als Problemfall"

„Diese Talbrücke ist nie als Problemfall thematisiert worden“, sagt Elfriede Sauerwein-Braksiek. Sie leitet die Niederlassung Westfalen der neuen Autobahn GmbH des Bundes. In Wüsts Ministerzeit war die Ingenieurin Direktorin des Landesbetriebs Straßen.NRW.

Ihre Aussage deckt sich mit dem, was Wüst selbst mehrfach wiederholt: Nie sei ihm damals in Fach-Besprechungen zur A45 signalisiert worden, es gebe bei dieser Brücke „akuten Handlungsbedarf“. Der Plan, die Brücke neu zu bauen, sei schon seit 2016 „nie mit absoluter Priorität“ behandelt worden. Erst im Winter 2021 sei durch ein neues Laser-Messverfahren das wahre Ausmaß der Brückenschäden sichtbar geworden.

Munition für die Opposition

Dennoch lieferte die Sondersitzung der Opposition aus SPD, FDP und AfD Munition für einen möglichen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Brücken-Desaster. Denn Sauerwein-Braksiek brachte die Beteuerung der schwarz-grünen Landesregierung, alle wichtigen Dokumente, die Aufschluss über den verschobenen Neubau der Rahmedetalbrücke geben könnten, lägen jetzt bei der Autobahn GmbH, ins Wanken.

„Mindestens zweimal im Jahr“ hätten sich Fachleute von Straßen.NRW und aus dem Verkehrsministerium getroffen, um über die Probleme an der A45 zu sprechen. Es gebe zu diesen Sitzungen und zu anderen Besprechungen „Projekt-Dossiers“ und „Geschäftsakten“, die immer noch im Ministerium liegen dürften. Womöglich befänden sich sogar noch echte „Projektakten“ zur Rahmedetalbrücke im Ministerium – bei jenen Mitarbeitern, die nicht von Straßen NRW zur Autobahn GmbH wechselten.

Außerdem steht immer noch der vom Portal „T-Online“ gestreute Verdacht im Raum, NRW-Verkehrsministerium und Staatskanzlei könnten im Jahr 2020 brisante Mails zum Brücken-Desaster gelöscht haben. Wüst wies diese Vorwürfe erneut zurück: „Ich habe keinen Anlass zu vermuten, dass hier nicht ordnungsgemäß gearbeitet wurde.“

Untersuchungsausschuss wird immer wahrscheinlicher

„Immer wieder war in der heutigen Sitzung von Akten die Rede, die wir nicht kennen. Noch vor wenigen Wochen hatte die Landesregierung jedoch behauptet, dass sie keine Akten zur Verschiebung des Neubaus der Rahmede-Talbrücke hat“, sagte SPD-Verkehrsexperte Gordan Dudas nach der Sitzung. Es gebe offenbar „doch sehr viel mehr, was Aufschluss über die politische Verantwortung für die Verschiebung des Neubaus der Rahmede-Talbrücke geben könnte“.

Christof Rasche (FDP) kündigte an, „nachdrücklich um Herausgabe der fehlenden Akten und Unterlagen“ zu bitten. Noch immer habe die Landesregierung dem Landtag nicht alle vorliegenden Informationen und Unterlagen zur Rahmedetalbrücke übergeben und wecke damit weiter Misstrauen. Entgegen der Beteuerungen von Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) und der Staatskanzlei gebe es noch eine „große Aktenlage“ zu dieser Brücke bei den Landesbehörden.

Die Opposition erwägt jetzt „weitere Schritte“. Höchstwahrscheinlich wird sie noch in dieser Woche einen Untersuchungsausschuss beantragen.

Im Jahr 2018 fiel eine wichtige Entscheidung

Die Entscheidung, den Neubau der Rahmedetalbrücke bis 2026 zu verschieben, fiel im Jahr 2018, also in der Amtszeit von Verkehrsminister Hendrik Wüst. Laut Elfriede Sauerwein-Braksiek wurde der Baubeginn damals verschoben, weil für den Neubau ein aufwendiges Planfeststellungsverfahren nötig geworden sei. Der Zustand der Brücke hätte ein schnelleres Handeln erforderlich gemacht. Das konnten damals aber die Fachleute nicht ahnen, so die Straßenbau-Managerin.