Düsseldorf. Andreas Pinkwart (FDP) tauscht das Abgeordnetenmandat gegen eine Wirtschaftsprofessur an der Uni Siegen. Ein Abschieds-Interview.

Ein „Urgestein“ der NRW-Landespolitik tauscht das Abgeordnetenmandat gegen eine Wirtschaftsprofessur an der Uni Siegen. Mit Matthias Korfmann sprach der 62-Jährige über seinen Abschied aus dem Landtag, Klima-Aktivisten und das Lächeln in der Politik.

Herr Prof. Pinkwart, warum verzichten Sie auf Ihr Landtagsmandat und gehen zurück in die Wissenschaft?

Pinkwart: Es ist schon mein vierter Wechsel von der Politik in die Wissenschaft. Mein Lebensglück ist, dass ich meine großen Interessen – Wissenschaft und Politik – im Wechsel wahrnehmen konnte. Als hauptamtlicher Politiker wollte ich unbedingt unabhängig sein, und mein Beruf als Wissenschaftler hat mir das ermöglicht.

Außerdem wird man nicht jünger, und ich habe festgestellt, dass mir nicht mehr so viel Zeit im Beruf als Hochschullehrer bleibt. Über die reguläre Altersgrenze hinaus kann man als Lehrstuhlinhaber noch maximal drei Jahre arbeiten. Ich könnte jetzt also noch knapp sieben Jahre einen Lehrstuhl leiten.

Und wenn die Politik Sie erneut rufen sollte?

Pinkwart: Eine Rückkehr würde ich nie ausschließen. Die Zukunft ist nach vorne immer offen. Aber die Tür zur Wissenschaft schließt sich irgendwann altersbedingt, daher ist jetzt der beste Zeitpunkt, zur Uni zurückzugehen.

Was für ein Professor sind Sie? Ein fordernder, ein freundlicher oder gar ein zerstreuter?

Pinkwart: Viele meiner früheren Studierenden und Doktoranden sagen mir, dass sie gern bei mir gehört und mit mir gearbeitet haben. In meiner Wahrnehmung kann ich junge Menschen fordern, vor allem aber kann ich sie begeistern und für das Fach Wirtschaft motivieren.

Ihr „Markenzeichen“ ist das Lächeln. Spiegelt das Ihren Charakter oder ist das ein Schutz um Sie herum?

Pinkwart: Wir haben ja nicht so viel Zeit auf Erden, Und wenn ich mir die Miesepeter anschaue, frage ich mich: Wofür leben wir eigentlich? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man, wenn man Lebensfreude ausstrahlt, Lebensfreude zurückbekommt. Das gilt auch für Verhandlungen: Fairer Umgang in menschlich angenehmer Begegnung führt zu besseren Ergebnissen. Selbst gegenüber Trauernden und Kranken wirkt Lebensfreude. Die wollen nicht, dass man tränenreich auf sie zukommt. Sie freuen sich über Grundoptimismus, weil er Zuversicht und Hoffnung vermittelt. Das Lächeln ist für mich keine Maske, es ist echt.

Ist Ihre Familie froh, wenn Sie die Tretmühle Politik verlassen?

Pinkwart: Sie steht hinter meiner Entscheidung, aber meine Familie weiß, dass ich alles mit Leidenschaft und vollem Einsatz mache, natürlich auch die Arbeit an der Universität. Übrigens: Wenn man ein Ministeramt nicht mehr hat, dann fällt auch eine Last von den Schultern. Das merkt die Familie.

Würden Sie Ihren Kindern oder Enkeln empfehlen, Politik zu machen?

Pinkwart: Ganz klar würde ich ihnen die Politik empfehlen, egal, auf welcher Ebene. Menschen sollten sich in ihrem Leben zumindest für eine gewisse Zeit in die Politik einmischen, sich in Vereinen engagieren, vielleicht auch bei Fridays for Future, und dort Verantwortung übernehmen. Man nimmt dadurch keinen Schaden, sondern gewinnt viel, auch fürs Berufsleben. Entscheidend ist aber, dass man beruflich von der Politik unabhängig sein kann.

Sie sind Jahrgang 1960. Wie weit sind Sie weg von Jugendlichen, die bei Fridays for Future mitmachen?

Pinkwart: Unsere beiden Kinder sind noch im Studium, und sie fordern mich natürlich auch heraus, wenn es um Klima-Themen geht. Ich bin immer gern mit jungen Menschen zusammen. Die allermeisten, die bei Fridays for Future mitmachen, sind positiv motiviert. Ich begrüße dies. Eine Grenze ist dann überschritten, wenn der Protest nicht mehr friedlich ist. Mit der Bezeichnung „Letzte Generation“ habe ich noch ein grundsätzliches Problem: Es wird auch eine nächste und eine übernächste Generation geben, denn der Mensch ist mit Anpassungsfähigkeit gesegnet.

Ihre umstrittenste Entscheidung war sicher die, Studienbeiträge einzuführen. Heute sind die kein Thema mehr. Sind Sie damals übers Ziel hinausgeschossen?

Pinkwart: Nein. Wir haben den Hochschulen und den Studierenden mit den Studienbeiträgen sehr geholfen. Die Unis in NRW hatten dadurch in jedem Jahr eine Viertelmilliarde Euro mehr, und sie standen gegenüber den Studierenden in der Pflicht, damit die Lehre zu verbessern. Später wurden die Beiträge abgeschafft, aber die Mittel, die den Hochschulen damit zur Verfügung standen, wurden beibehalten. Die positive Wirkung, die Qualitätssteigerung, hält also an. Ich würde die Beiträge aber nicht wieder einführen, denn dafür gibt es keine Bereitschaft in der Gesellschaft.

Als Sie ab 2005 Wissenschaftsminister waren, gab es die Tendenz, Kinder früher einzuschulen, per „Turbo“ zum Abi und schnell in Beruf oder Studium zu führen. War das ein Fehler?

Pinkwart: Wir sind gut beraten, Schule und Hochschule flexibel zu organisieren. Die Menschen sind unterschiedlich. Manche können mit fünf, andere erst mit sieben Jahren eingeschult werden. Aber wir sollten jungen Menschen die Zeit zur Entwicklung lassen. Wenn die persönliche und soziale Entwicklung unter dieser Beschleunigung leidet, dann ist der Preis zu hoch. Ein langes und wechselvolles Berufsleben setzt auch psychische Stabilität voraus.

Wie hat sich die Landespolitik in den vergangenen 20 Jahren verändert?

Pinkwart: Zwischen 2005 und 2010 konnten wir zwar vieles anpacken. Wir mussten aber gegen eine Rekordverschuldung, hohe Arbeitslosigkeit und die Folgen der Finanzkrise ankämpfen. Wir mussten in Behörden sparen, Ämter auflösen. Das waren unangenehme Entscheidungen. Zwischen 2017 und 2019 kamen neue und spannende Themen auf: Digitalisierung, Klimaschutz, Nachhaltigkeit. Das waren gute Jahre. Die Wirtschaft lief, und wir hatten 2018 zum ersten Mal seit 1974 einen ausgeglichenen Haushalt. Dann kam allerdings Corona.

Welche Lehre ziehen Sie aus der Pandemie?

Pinkwart: Eine wichtige Lehre ist, dass es falsch gewesen wäre, auf eine Null-Covid-Strategie zu setzen. Was das anrichtet, sehen wir in China. Null Covid wäre nicht möglich gewesen, weil wir uns ja nicht von unseren Nachbarn abkoppeln können. Wichtig war auch, dass wir in NRW die Balance gefunden haben zwischen Einschränkungen und Lockerungen.

Für den Ruf der FDP nach Lockerungen wurden Sie von den Wählern im Mai aber abgestraft, oder?

Pinkwart: Unser Kurs war dennoch absolut richtig. Walter Scheel hat gesagt: Gute Politik ist nicht die, die populär ist, sondern die, die richtig ist für die Menschen, und die muss man dann populär machen. Letzteres ist uns vielleicht nicht so gut gelungen. Die Stimmung war eine andere.

Heute stellen wir fest, dass aus der Pandemie eine epidemische Lage geworden ist. Andere Länder in Europa haben das ihren Bürgern längst erklärt. Ich wünschte mir, dass die deutsche Politik den Mut hätte, jetzt den Bürgerinnen und Bürgern bei aller Vorsicht zu sagen: Wir konnten die Pandemie unter schweren Opfern besiegen. Maskenpflichten sollten aufgehoben und durch Empfehlungen ersetzt werden. Jetzt sollten wir mehr auf Eigenverantwortung setzen.

Die Pandemie ist übrigens auch ein weiterer Beweis für die Überlegenheit der Demokratie gegenüber der Autokratie. Es gab ja einige, die meinten, Autokratien könnten schneller und besser auf die Pandemie reagieren. Sie haben sich geirrt. Freiheit kann auch unter diesen Bedingungen große Energien freisetzen.

Zur Person:

Andreas Pinkwart (62) stammt aus Seelscheid und ist seit 42 Jahren FDP-Mitglied. Er war Landesvorsitzender der Liberalen, Wissenschaftsminister und Vize-Ministerpräsident (2005 bis 2010) sowie Wirtschaftsminister (2017 bis 2022). Er leitete die private Handelshochschule Leipzig (2011 bis 2017) und kehrt nun an seinen Lehrstuhl an der Uni Siegen zurück.