Essen. Trotz heftiger Kritik aus Rom hält Ruhrbischof Overbeck am Reformweg fest. Mit seiner Weihnachtsbotschaft will er den Gläubigen Zuversicht geben.

In Zeiten des Krieges und der Krisen appelliert Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck an die Hoffnung und die Solidarität der Menschen. Zugleich möchte er den Gläubigen im Bistum auch Zuversicht auf den Weg ins neue Jahr geben und fordert sie auf, sich nicht entmutigen zu lassen. Daher wählte er als diesjährige Weihnachtsbotschaft ein Zitat, das von dem Jesuiten Alfred Delp (1907-1945) stammt. Christopher Onkelbach sprach mit dem Bischof über herausfordernde Zeiten für die Menschen und die katholische Kirche.

„Sie legten ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war“, heißt es in der Weihnachtsgeschichte über die Geburt Jesu. Was sagt uns das heute, wenn wir an die Flüchtlinge denken, die in Deutschland Zuflucht und Unterkunft suchen?

Franz-Josef Overbeck: Das ist ein altes Bildwort, das uns sagt: Damit Gott einen Platz in der Welt finden kann, muss zuweilen lange gesucht werden - und oftmals ist er nicht erwünscht. Und bei manchen Menschen sind auch Flüchtlinge und Migranten nicht erwünscht. Anders als in den Jahren 2015 und 2016 stammen jetzt viele Flüchtlinge aus anderen kulturellen Kontexten. Sie sind mit unserer Lebensweise mehr verbunden, viele sind uns auch religiös nah, weil sie in einer christlichen Tradition leben. Daher ist das Wort von der Herberge differenziert zu betrachten. Aber es bleibt für die Gesellschaft eine große Aufgabe, die Menschen zu integrieren.

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Sind die Menschen angesichts der Krisen, mit denen sie selbst jeden Tag kämpfen, barmherzig mit den Notleidenden aus der Ukraine und anderen Teilen der Welt?

In den Jahren 2015 und 2016, als sehr viele Menschen zu uns kamen, habe ich gerade im Ruhrgebiet erlebt, wie freigiebig die Menschen waren. Sie haben geholfen, wo sie konnten. Gleichzeitig ist die eigene Bedürftigkeit oft groß und sie nimmt in der Folge des Ukraine-Krieges noch zu. Das ist für uns eine neue Erfahrung, denn bisher wurde der Wohlstand immer größer. Nun erleben wir, wie das Leben plötzlich wieder enger und herausfordernder wird. Aber ich sehe auch jetzt eine große Hilfsbereitschaft unter den Menschen, viele sind erschüttert von den erschreckenden Bildern des Krieges.

Seit Ausbruch des Krieges wird die öffentliche Debatte mehr von der Frage nach Kampfpanzern und Luftabwehrsystemen bestimmt als von Diplomatie und humanitärer Hilfe – bekümmert sie das?

Wir erleben das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wieder einen langanhaltenden Krieg zwischen zwei Ländern in Europa, abgesehen von den schrecklichen Ereignissen auf dem Balkan in den 1990er-Jahren. Es ist nicht lediglich ein bewaffneter Konflikt, sondern ein Krieg zwischen Systemen und Ideen. In diesem Krieg will Russland nicht nur seinen Einflussbereich vergrößern, es ist auch ein Angriff auf ein souveränes demokratisches Land, das sich nun gezwungen sieht, sich zu verteidigen.

Das heißt, es bleibt kein anderer Weg als Waffengewalt?

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Für uns ist es ungewohnt, unsere Freiheit mit Waffen verteidigen zu müssen. Aber ich habe an anderer Stelle bereits betont: Hier geht es um die Verteidigung der Stärke des Rechts gegen das Recht und die Macht des Stärkeren. Verhandlungen sind derzeit offensichtlich nicht möglich. Als Militärbischof sage ich auch, als Ultima Ratio, als letztes Mittel also, kann zur Verteidigung auch Gewalt angewendet werden. Aber zugleich ist uns bewusst, wo immer Gewalt angewendet wird, geschieht großes Leid. Ich sage den Soldaten daher stets: Achtet darauf, dass Ihr trotz allem Menschen des Friedens bleibt.

Wie kann die Kirche, wie kann der Glaube in diesen Notzeiten Halt geben?

Die stärkste Kraft ist das Gebet. Es verbindet uns miteinander und ist für mich immer ein Zeichen von Hoffnung. Es zeigt, dass wir uns nicht mit der Situation abfinden wollen und auf Frieden hoffen, ohne zu wissen, wann er eintritt. Das Gebet ist auch bedeutsam für die Ökumene. Es müssen in der Gemeinschaft der Christen alle Türen und Tore geöffnet bleiben, um die Beziehungen untereinander lebendig zu halten, damit mehr Frieden wachsen kann.

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Viele Gläubige haben in der Vergangenheit der Kirche enttäuscht den Rücken gekehrt. Wie lässt sich Vertrauen zurückgewinnen?

Wir sehen hohe Austrittszahlen im Bistum, und jeder Kirchenaustritt ist für mich einer zu viel. Aber es ist der Preis, den wir für die Missbrauchsskandale und die Abgründe, in die wir dabei blicken mussten, zu bezahlen haben. Zugleich bemerken wir eine gesellschaftliche Veränderung: In einer freien und offenen Welt verliert Kirche an Bindekraft. Die Frage, wie Kirche in dieser Welt eine neue Rolle finden kann, beschäftigt mich sehr. Wir wollen zeigen, wie sinnvoll es ist, als Christ zu leben. Das ist ein mühsamer und sehr langer Prozess – ich fürchte, den Rest des Weges werde ich vom Himmel aus beobachten.

Mit dem Synodalen Weg will sich die katholische Kirche erneuern, doch der Vatikan kritisierte die deutschen Bischöfe bei ihrem Besuch in Rom im November erneut deutlich. Bedeutet dies das Ende der Reformen?

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Das kann niemand mehr verbieten. Wir leben in einer Zeit, in der wir Gläubige frei sind. Menschen lassen sich nicht mehr sanktionieren, diese Vorstellung ist zu Ende. Einige in Rom haben versucht, was man früher Basta-Politik genannt hat. Wir sollten den Synodalen Weg beenden. Aber eine große Mehrheit der deutschen Bischöfe hat das nicht mitgemacht. Der Synodale Weg muss und wird weitergehen. Das beinhaltet auch, die Frage der Öffnung des Zugangs zu Weiheämtern weiter zu diskutieren. Über diese Fragen spricht ja nicht nur die Kirche in Deutschland, sie werden auch in der Weltkirche mit 1,3 Milliarden Katholiken gestellt. Eine rein autoritäre Kirche passt nicht mehr in die Welt.

Über das Jahr bleiben die Kirchenbänke sonntags meist leer, nur zu Weihnachten sind sie gut gefüllt. Ist das unaufrichtig?

Wenn manchen Menschen gerade der Kirchgang zu Weihnachten viel bedeutet, ist das nicht unaufrichtig. Das Weihnachtsfest berührt das Herz der Menschen. Die Geburt eines Menschen ist etwas Tröstendes, da sie Neues verheißt. Und es ist eine schöne Kultur mit Gemeinschaft, Frohsinn und Kerzenschein.

Welche Weihnachtsbotschaft möchten Sie den Gläubigen zu den Feiertagen mit auf den Weg ins neue Jahr geben?

„Lasst uns dem Leben trauen, weil wir nicht allein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt.“ Dieser Satz stammt von dem Jesuiten Alfred Delp, der Mitglied des Kreisauer Kreises im Widerstand gegen den Nationalsozialismus war und 1945 von den Nationalsozialisten ermordet worden ist. Trotz aller Widrigkeiten dem Leben trauen zu können, weil Gott niemals von unserer Seite weicht: Diese bemerkenswerte Zuversicht wünsche ich uns allen.