Essen. Im Videotalk erklärt Ruhrbischof Overbeck, warum Frieden zuweilen nur mit Gewalt erreichbar ist und wie die Kirche Vertrauen zurückgewinnen will.

Seit fast genau 13 Jahren ist Franz-Josef Overbeck (58) Bischof von Essen – und die Zeiten dürften selten herausfordernder für den Ruhrbischof gewesen sein als heute. Die katholische Kirche steht im Sturm der Missbrauchsskandale, in Europa herrscht Krieg, Inflation und explodierende Lebenshaltungskosten bringen viele Menschen im Ruhrgebiet um den Schlaf. In diesen schwierigen Zeiten könnte Kirche Halt und Orientierung geben, doch hat sie derzeit auch viel mit sich selbst zu tun.

In der fünften Folge des WAZ-Videotalks mit Chefredakteur Andreas Tyrock unter dem Titel „Ruhrgebiet, wir müssen reden!“ fand der Ruhrbischof klare Worte für das Unrecht des russischen Angriffskriegs, zu den Reformbemühungen der Kirche und zu den Sorgen der Menschen im Ruhrgebiet.

Frieden schaffen ohne Waffen

„Frieden schaffen ohne Waffen“, dieser Slogan aus friedensbewegten Zeiten habe angesichts des Krieges in der Ukraine an Bedeutung verloren, sagte Overbeck, der auch Militärbischof der Bundeswehr und damit oberster Seelsorger aller katholischer Soldatinnen und Soldaten ist. Es gehe nicht lediglich um einen bewaffneten Konflikt, „sondern um einen Krieg zwischen Systemen und Ideen“. Mit der Ukraine verteidige sich ein an demokratischen Prinzipien orientierender Staat gegen ein gewaltbereites und gewalttätiges russisches Regime. „Hier geht es um die Verteidigung des Rechts gegen die Macht des Stärkeren“, betonte Overbeck. „Und hier bin ich ganz entschieden: Das Recht muss siegen.“

Video-Gesprächsreihe mit Chefredakteur Andreas Tyrock.
Video-Gesprächsreihe mit Chefredakteur Andreas Tyrock. © Funke NRW | Funke NRW

Dass diese Auseinandersetzung nur mit Gewalt gewonnen werden könne, die unzählige Tote und unendliches Leid erzeuge, bringe viele Christen in Gewissenskonflikte und sei kaum zu ertragen, räumt Overbeck ein. Aber mit Blick auf die Grundsätzlichkeit der Auseinandersetzung sei der Kampf notwendig. Dennoch könne die Kirche nicht von einem „gerechten Krieg“ reden. Es gehe vielmehr darum, einen „gerechten Frieden“ zu erlangen, was als letztes Mittel bedeuten könne, Gewalt anwenden zu müssen. Daher sei es geboten, dem angegriffenen Land auch mit Waffenlieferungen beizustehen, sagte der Militärbischof mit Blick auf die politische Debatte.

Bei seinen Gesprächen mit Soldatinnen und Soldaten erlebe er angesichts des Krieges eine wachsende psychische Belastung. „Erstmals stehen sie vor der Möglichkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung, von der viele dachten, dass es sie nie geben würde.“ Dies erfülle viele Bundeswehrangehörige aber vor allem auch ihre Familien mit großer Unsicherheit und Furcht. „Es ist eine bittere Ankunft in der Wirklichkeit, die ich mir auch friedvoller wünschte.“

Ängste in der Bevölkerung

Auch in der Bevölkerung im Ruhrgebiet erkenne er zunehmend Ängste, nicht nur wegen des Krieges, sondern auch wegen der wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Unsicherheit. Kirche habe die Aufgabe, in diesen Krisenzeiten mit Vernunft zu argumentieren und ein verlässlicher Partner für die Menschen zu sein und sie mit ihren den karitativen Einrichtungen zu unterstützen. „Es bewegt mich immer wieder zu sehen, wie solidarisch die Menschen hier sind.“

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Gleichwohl ist das Vertrauen der Menschen in die Kirche durch die Missbrauchsskandale tief erschüttert, immer mehr Gläubige haben sich in den vergangenen Jahren von der Kirche abgewendet. Mit 9133 Kirchenaustritten zählte das Bistum im vergangenen Jahr einen neuen Negativrekord. Overbeck weiß, dass dies die Folge großer Enttäuschungen und des wachsenden Vertrauensverlustes ist, den die Kirche wegen ihres Umgangs mit den Missbrauchstaten hinnehmen musste.

Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck ist zugleich Militärbischof.
Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck ist zugleich Militärbischof. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Selbst bei vielen treuen Gläubigen wächst offenbar der Eindruck, dass die Kirche es nicht wirklich ernst meine mit der Aufarbeitung der Verbrechen. Das Bistum habe deshalb eine Studie zum Missbrauch im Bistum in Auftrag gegeben, die zu Beginn des nächsten Jahres vorgestellt werde. Sie soll die strukturellen Ursachen der Taten sowie den Umgang des Bistums mit Tätern und Opfern analysieren und somit eine Basis für Veränderungen sein.

Reformen in der Kirche

Bei der Aufarbeitung der Verbrechen gehe das Bistum Essen weiter voran und strebe im „synodalen Weg“ Reformen an bei Themen wie Macht und Gewaltenteilung in der Kirche, bei der Rolle der Frauen, bei Sexualität, Leben und Partnerschaft sowie der Rolle der Priester, erklärte Overbeck. „Dies sind Probleme, die nicht nur die Kirche, sondern die gesamte Gesellschaft beschäftigen“, sagte der Bischof.

In der Frage homosexueller Partnerschaften, die innerhalb der katholischen Weltkirche hochumstritten sei, werde es Zeit für eine „neue Beziehungsethik“, die verschiedene Formen von Partnerschaften umfasse, die von Treue, Liebe und Verlässlichkeit getragen würden, so Overbeck.

Drei Wünsche für das Ruhrgebiet

Trotz aller existenziellen Fragen ist der Ruhrbischof überzeugt: „Ja, die Kirche hat eine Zukunft, weil der Kern der Kirche gesund ist – und der heißt Jesus.“ Und er erzählte in diesem Zusammenhang lächelnd von einer Begegnung, bei der er kürzlich gefragt worden sei: „Glauben Sie eigentlich an Gott und den ganzen Quatsch?“ Darauf habe er geantwortet: „Ja, ich glaube an Gott. Aber nicht an den ganzen Quatsch.“

Drei Wünsche für die Zukunft gab der Bischof dem Ruhrgebiet zum Abschluss mit auf den Weg: „Eine vernünftige Verkehrsinfrastruktur. Solidarität mit den Armen, den Alten und Einsamen. Und mehr Verantwortung in Worten und Ideen für Dinge, die das Leben lebenswert machen.“

Weitere Folgen von „Ruhrgebiet, wir müssen reden!“

Folge 1: Martina Merz, Thyssenkrupp-Chefin

Folge 2: Christian Stratmann, Theatergründer und -Prinzipal des „Mondpalasts“

Folge 3: Julia Gajewski, Schulleiterin in Essen-Altendorf

Folge 4: Gerald Asamoah, Schalke-Legende