Düsseldorf. Mobbing, Drohungen, Schläge: Laut einer Umfrage für den Verband VBE leiden in NRW immer mehr Pädagogen unter Gewalt.
„Erschreckend“, bestürzend“, „skandalös“. Die Wortwahl bei der Vorstellung der Schulleitungsumfrage des VBE war drastisch. Seit 2018 lässt der Verband Bildung und Erziehung repräsentativ Schulleitungen befragen, ob sie mit ihrem Job zufrieden sind. So schlimm wie im Jahr 2022 wurden die Zustände an den Schulen zumindest in NRW noch nie beschrieben.
Was sticht aus der Umfrage hervor?
Die Zunahme von Gewalttaten in Schulen. VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann rechnete am Freitag die Ergebnisse der Schulleitungsumfrage auf die Zahl der Schulen in Deutschland hoch. Ergebnis: „In knapp 20.000 Schulen gab es in den vergangenen fünf Jahren Fälle psychischer Gewalt. Lehrkräfte an rund 10.000 Schulen wurden Opfer von Mobbing über das Internet. Ebenfalls an rund 10.000 Schulen wurden in diesen fünf Jahren Lehrkräfte körperlich attackiert.“
Bereits in den Jahren 2016, 2018 und 2020 ließ der VBE Schulleitungen und Lehrkräfte gezielt befragen, welche Erfahrungen sie mit Gewalt machen. „Mit Erschrecken“ stelle man nun fest, dass sich die Zahlen gewalttätiger Übergriffe auf einem besorgniserregend hohen Niveau eingependelt hätten. An fast zwei Dritteln der Schulen kam es demnach in den letzten fünf Jahren zu psychischer Gewalt gegen das pädagogische Personal, also zu Beschimpfungen, Bedrohungen, Beleidigungen oder Mobbing. Ein Grundschulleiter aus Hessen sagte: „Die Hemmschwelle, die Sau rauszulassen, sinkt deutlich.“
In NRW ist das Ergebnis noch schlimmer. Die Gewalt gegen Lehrkräfte soll dort sogar zugenommen haben. „Hier belegt NRW bundesweit den ersten Platz“, sagte VBE-Landeschef Stefan Behlau. In drei Viertel der Schulen dort sei es in den vergangenen fünf Jahren zu psychischer Gewalt und in fast der Hälfte der Schulen zu körperlicher Gewalt gekommen.
Eine Variante des Ergebnisses: An jedem Schultag der letzten fünf Jahre kam laut es laut Udo Beckmann an mindestens zehn Schulen in Deutschland zu Fällen von physischer Gewalt gegen Lehrkräfte und Schüler. An mindestens 20 Schulen wurden an einem Schultag Fälle psychischer Gewalt wie Drohungen und Mobbing beobachtet.
Jede fünfte Schulleitung erklärte, die Schulbehörden hatten kein Interesse daran, dass Vorfälle gemeldet würden. Ein „Skandal“ aus Sicht des VBE.
Wer sind die Täter?
Meist sind es Eltern oder Schülerinnen und Schüler. Drei von vier befragten Schulleitungen in Deutschland wissen von Übergriffen durch Eltern, fast 70 Prozent von Übergriffen durch Schüler in den vergangenen fünf Jahren. Ein Drittel der Pädagogen waren Opfer von Cyber-Mobbing, zumeist durch Schüler, die Lehrer auf diese Weise diffamieren, beleidigen und verletzen. 13 Prozent der Schulleitungen meldeten, dass auch „andere Erwachsene“ digitale Medien nutzen, um gegen Lehrkräfte zu hetzen. Oftmals zählten diese Täter zur Querdenkerszene. Sie nutzten das schulische Umfeld, um gegen Corona-Maßnahmen zu protestieren. Der Lehrerverband beschreibt es so: „Der gesellschaftliche Unmut hat sich am Personal in den Schulen entladen.“
Besonders viel Gewalt soll in Förderschulen zu beobachten sein. Hier berichteten 73 Prozent der Schulleitungen davon, in Gymnasien nur sechs Prozent.
Wie zufrieden sind Schulleitungen?
Sie werden immer unzufriedener. Laut VBE-Landeschef Stefan Behlau ist die Bereitschaft, den Beruf weiterzuempfehlen, erneut gesunken. „Heute empfehlen nur noch 52 Prozent der Befragten ihren Schulleitungsposten. Vor vier Jahren waren es noch mehr als 80 Prozent“, so Behlau.
Das mit Abstand größte Problem ist demnach der Lehrkräftemangel beziehungsweise der Mangel an Fachkräften für Sozialpädagogik und Schulpsychologie. Die Pädagogen leiden laut der Umfrage zunehmend unter Zeitmangel und Aufgabenhäufung. In NRW sprachen 96 Prozent der befragten Schulleitungen von einer „Überbelastung des Kollegiums“.
Stefan Behlau wirft der Landespolitik vor, zu wenig gegen den „dramatischen Fachkräftemangel“ zu unternehmen: „Wir sehen seit Jahren die Spitze eines Eisbergs und steuern dennoch unbeirrt darauf zu.“
Welche Rolle spielt die Pandemie?
In vielerlei Hinsicht hat sie laut VBE die Schulen belastet. Zum Beispiel bescherte sie den Pädagogen Zusatzaufgaben wie das Nachverfolgen von Infektionsketten und das Testen. Regeländerungen erfolgten oftmals „über Nacht“, Distanzunterricht wurde eingeführt, Lehrer und Familien waren verunsichert. Außerdem entlud sich der Ärger über von der Politik beschlossene Hygienemaßnahmen oftmals am pädagogischen Personal. Sie wurden zu Blitzableitern für Aggressionen.
Wie wurde gefragt?
Seit 2018 beauftragt der VBE das Institut Forsa jährlich damit, Schulleitungen nach ihrer Zufriedenheit zu fragen. In diesem Jahr gab es per Telefoninterviews Kontakt zu 1308 Schulleitungen, darunter 252 in NRW.