Essen. Der Klimaökonom Ottmar Edenhofer wird Mercator-Professor der Uni Duisburg-Essen. Zur Klimakrise sagt er: „Es geht um die Zukunft unserer Kinder.“

Die Energiepreiskrise als Folge des Ukrainekrieges lähmt die Wirtschaft, steigende Preise und Inflation belasten die Menschen. Zugleich drohen die Klimaziele in unerreichbare Ferne zu rücken. Schafft Deutschland noch die Energiewende? Darüber sprach die Redaktion mit dem renommierten Umwelt-Ökonom Prof. Ottmar Edenhofer (61), Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Edenhofer, von 2008 bis 2015 einer der führenden Experten im Weltklimarat IPCC, übernimmt im Herbst die nächste Mercator-Gastprofessur der Uni Duisburg-Essen und wird zu zwei Vorträgen das Ruhrgebiet besuchen.

Was bedeutet diese Gastprofessur für Sie?

Ottmar Edenhofer: Es ist auf jeden Fall eine große Ehre für mich und eine Anerkennung für meine Arbeit. Damit darf ich mich einreihen in eine lange Liste von interessanten und wichtigen Persönlichkeiten, die bereits diese Ehre erhalten haben.

Kennen Sie das Ruhrgebiet?

Prof. Ottmar Edenhofer, Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK)
Prof. Ottmar Edenhofer, Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Ich komme zwar aus Bayern, aber schon seit meiner Kindheit war das Ruhrgebiet ein wichtiger Bezugspunkt für mich. Damals war Bayern arm und Nordrhein-Westfalen und das Ruhrgebiet waren reich, weil es die Kohle gab. Als Achtjähriger war ich das erste Mal in der Region und war überwältigt von der gigantischen Industrielandschaft.

Das Revier ist eine Region, die mit Kohle, Stahl und Ruß groß geworden ist – wie nehmen Sie die Region aus der Perspektive des Umwelt-Ökonomen wahr?

Das Ruhrgebiet ist eine wichtige Modellregion im Transformationsprozess, etwa was die Stahlindustrie und die Erzeugung von CO2-freiem Stahl angeht. Das Ruhrgebiet hat einen unglaublichen Strukturwandel hinter sich gebracht und im Kern sehr gut bewältigt, einen Wandel der industriellen Struktur, und die Wäsche auf der Leine wurde nicht mehr grau von Ruß und Staub. Von den Lungen der Menschen ganz zu schweigen.

Kann der Wandel im Ruhrgebiet ein Vorbild sein?

Für mich ist die Region ein Labor des Strukturwandels, den es bisher bewundernswert gemeistert hat. Und jetzt kommt der nächste Schritt des industriellen Wandels. Die Produktion muss nicht einfach sauberer werden, sondern ohne fossile Brennstoffe funktionieren. Das ist eine enorme Herausforderung.

Ihr Vortragsthema in Duisburg und Essen lautet „Klima, Krieg und Wissenschaft: Praktische Dilemmata und theoretische Herausforderungen“ – worin besteht das Dilemma?

Es besteht darin, dass wir Wohlstand, Klimawandel, Energiesicherheit und soziale Gerechtigkeit unter einen Hut bringen müssen. Wir werden den Wohlstandbegriff neu justieren müssen: Ein stabiles Klima, Schutz vor Wetterextremen, eine intakte Biosphäre und damit ein geringeres Risiko von Pandemien sind die Bedingungen für den Wohlstand im 21. Jahrhundert.

Derzeit sorgen sich die Menschen aber eher, wie sie warm durch den Winter kommen…

Wir dürfen uns bei der Energiesicherheit nicht mehr so abhängig machen von einem Lieferanten. Dabei muss der Gaspreis so gestaltet werden, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt nicht gefährdet wird. Als Ökonom halte ich hier Direktzahlungen des Staates an die Bürgerinnen und Bürger für zielführender als Preisdeckel, das Ganze muss sowohl wirksam sein als auch sozial gerecht. Wir leben in einem Zeitalter der multiplen Krisen, die wir alle zugleich lösen müssen. Das geht nur, wenn Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltiger und resilienter werden.

Klimaforscher warnen seit Jahrzehnten vor den Folgen des Klimawandels. Waren die Forscher zu leise oder denkt die Politik zu kurzfristig?

Es gibt kaum einen Bereich in der Politik, in dem es einen so intensiven Austausch zwischen der Wissenschaft und der Politik gibt wie die Klimapolitik. Im Weltklimarat (IPCC), dem ich acht Jahre angehörte, treffen sich etwa 190 Regierungen mit führenden Forschern. Ohne das IPCC hätte es das Pariser Klimaabkommen von 2015 und die deutschen Klimaziele nie gegeben. Die Zusammenarbeit war also viel erfolgreicher als es die Öffentlichkeit wahrnimmt.

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Aber Fortschritte in der globalen Klimapolitik sind zäh und langsam…

Ich weiß, tatsächlich muss alles viel schneller gehen. Aber die Wissenschaft hat viel bewirkt. Sie hat das Problem des Klimawandels erst sichtbar gemacht, hat die Folgen aufgezeigt und Lösungsstrategien ausgearbeitet. Aber Wissenschaft und Politik funktionieren nach unterschiedlichen Prinzipien. Wissenschaft lebt vom Streit um das bessere Argument, Politik von Konsens und Mehrheiten. Bismarck hat mal gesagt: Politik ist die Kunst des Möglichen. Heute muss der Leitspruch lauten: Das Notwendige muss politisch möglich werden.

Aber die Politik lässt Kohlekraftwerke hochfahren – was läuft falsch?

Nichts! Ich habe schon im März gesagt, wir müssen uns auf ein Gasembargo vorbereiten und Kohlekraftwerke hochfahren. Das Embargo kam dann im Sommer. Es war klar, was dann passieren musste. Wir können nur Gas einsparen, wenn wir die Kohlekraftwerke anwerfen. Die längeren Laufzeiten der Atomkraftwerke sparen hingegen kaum Gas ein. Wenn wir Glück haben, dann werden die Emissionen von Treibhausgasen in dieser Dekade trotzdem wieder sinken.

Wie kann das gelingen?

Wir müssen in Europa den Emissionshandel aufrechterhalten, der den Ausstoß verteuert und die Emissionen deckelt. Nur das setzt die nötigen Anreize für Investitionen in technologische Innovationen. Der CO2-Preis muss weiter steigen, dann werden eines Tages die Kohlekraftwerke aus dem System gedrängt.

Hat die Politik zu lange auf billiges Gas aus Russland gesetzt?

Es war klar, dass wir Gas als Brückentechnologie auf dem Weg zu einer CO2-freien Energieerzeugung benötigen. Aber es stimmt, wir haben uns zu sehr auf Russland verlassen und es versäumt, mehr unterschiedliche Quellen zu erschließen. Aber: Was hätte es für einen Aufschrei gegeben, wenn wir vor zwei Jahren angefangen hätten, Flüssiggas-Terminals an den Küsten aufzubauen und dieses teure Gas zu importieren? Auch Energiesicherheit hat ihren Preis, das müssen wir gerade schmerzhaft lernen.

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Ein Ende des Ukrainekriegs ist nicht abzusehen – bremst die daraus folgende Energiekrise die Energiewende aus?

Ja, diese Befürchtung besteht zurecht. Die Ukrainekrise verschärft das Problem, weil der Gaspreis schneller steigt als der Kohlepreis, dadurch ist die Kohle voll zurück. Kurzfristige Versorgungssicherheit ist aber jetzt ebenso wichtig wie langfristiger Klimaschutz. Jetzt muss die Politik alles dafür tun, die Gasversorgung zu sichern, Sparanreize zu schaffen und die Menschen bei den Energiekosten zu unterstützen. Das ist das Gebot der Stunde. Mittelfristig wird der Gaspreis ab 2024 wieder sinken. Das darf aber nicht dazu führen, dass die nötigen Investitionen etwa in Wärmepumpen unrentabel werden. Deshalb darf Gas nicht billig werden – das würden wir nämlich auf Dauer teuer bezahlen.

Schaffen wir es, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen?

Das ist die Königsfrage! Können wir es schaffen? Ja. Werden wir es schaffen? Sehr wahrscheinlich nicht. Wir haben viel Zeit verloren und die Ukrainekrise wirft uns zurück. Aber wir dürfen nicht die eine Krise lösen und dabei die andere vergessen. Die Klimakrise wird zuschlagen. Die Flutkatastrophe im Ahrtal war furchtbar. Aber sie war nur ein laues Lüftchen verglichen mit dem Sturm, der uns erwartet, wenn die globale Temperatur um drei oder vier Grad steigt. Und genau das wird noch in diesem Jahrhundert passieren, wenn wir den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 nicht auf netto Null bringen. Das sind nicht irgendwelche Zahlen, das ist die Zukunft unserer Kinder. Der Klimawandel hat das Potenzial, unsere Lebensgrundlagen auf der Erde zu zerstören.

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Wie optimistisch sind Sie, dass wir die Erderwärmung begrenzen können?

Wenn man den Klimavertrag von Paris ernst nimmt, dann ist eine Erwärmung unter zwei Grad machbar. Aber mehr als die Ziele beschäftigt mich die Umsetzung. Die Menschen verstehen, dass sie jetzt Energie einsparen, Emissionen begrenzen und erneuerbare Energien ausbauen müssen. Das wird uns durch die Ukrainekrise jetzt aufgezwungen und ist im Kampf gegen die Klimakrise sinnvoll. Man kann vom Ruhrgebiet lernen, dass man große Transformationen steuern und meistern kann, ohne dass es zu dramatischen Verwerfungen kommt. Darum geht es.

>>>> Vorträge in Duisburg und Essen

Prof. Ottmar Edenhofer hält am 3. November, 18 Uhr, im Audimax am Campus Duisburg, Lotharstraße 65, 47057 Duisburg, einen Vortrag. Am 24.11. spricht er im Audimax am Campus Essen, Meyer-Schwickerath-Straße 1, 45141. Thema: „Klima, Krieg und Wissenschaft: Praktische Dilemmata und theoretische Herausforderungen“. Anmeldungen erforderlich unter http://www.uni-due.de/de/mercatorprofessur

Die Mercator-Professur wird seit 1997 an herausragende Persönlichkeiten aus Kultur, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft vergeben und soll an das wissenschaftliche Vermächtnis des berühmten Duisburger Kartographen und Universalgelehrten aus dem 16. Jahrhunderts erinnern. Die erste Gastprofessur erhielt der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Zuletzt war die Tiefseeforscherin Antje Boetius Mercator-Professorin.