Essen/Wuppertal. Die Energiekrise könne ein „Booster“ für den Wandel sein, sagt der Klimaforscher Manfred Fischedick – wenn die Politik jetzt konsequent handelt.

Der Dürresommer führte Deutschland erneut die Folgen des Klimawandels deutlich vor Augen. Doch während der Ausbau der erneuerbaren Energien stockt, werden klimaschädliche Kohlekraftwerke hochgefahren. Bedeuten der Krieg in der Ukraine und die daraus entstehenden Folgen für die Energieversorgung eine Rolle rückwärts beim Klimaschutz? Verpassen wir die Klimaziele? Wir sprachen mit Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie.

Ein grüner Wirtschaftsminister lässt Kohlekraftwerke wieder hochfahren. Was läuft falsch in Deutschland?

Manfred Fischedick: In den letzten Jahrzehnten ist bei der Energieversorgung eine Situation entstanden, die zu erheblichen Risiken geführt hat und die wir nicht richtig eingeschätzt haben, da schließe ich mich mit ein. Dass jetzt die Gasversorgung aus Russland zusammengebrochen ist, konnte man nicht vorhersehen. Parallel dazu schreitet der Klimawandel voran. Wir haben in den letzten Monaten Wetterextreme erlebt - Dürre, Starkregen, Überflutungen - die wir in dieser geballten Form nicht prognostiziert haben. Zumindest noch nicht zu diesem Zeitpunkt. Wir müssen jetzt anerkennen, dass die Gesellschaft in vielen Bereichen verletzlich ist.

Prof. Manfred Fischedick, Klima- und Energieforscher, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts
Prof. Manfred Fischedick, Klima- und Energieforscher, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts © FFS | Michael Kleinrensing

Erleben wir einen Rückschlag für den Klimaschutz?

Wir können bei der Energieversorgung nicht einfach weiter machen wie bisher. Gas wird auch künftig knapp und teuer bleiben. Entsprechend ist auch ein grüner Wirtschaftsminister jetzt gefordert, die Energiesicherheit durch das Hochfahren von Kohlekraftwerken zu gewährleisten. Dadurch müssen wir zunächst mehr Treibhausgasemissionen hinnehmen.

Mit welchen Folgen?

Für den Klimawandel ist die Summe aller über die Jahre ausgestoßenen Emissionen maßgeblich. Wenn wir jetzt für einige Jahre mehr emittieren, bedeutet dies, dass wir in den Folgejahren schneller runter müssen mit den Treibhausgasemissionen. Die aktuelle Energiepreis- und Versorgungskrise und die auch in Europa immer häufiger auftretenden Wetterextreme können für den Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas nur eines bedeuten: Tempo, Tempo, Tempo.

Deutschland will 2045 klimaneutral sein, also praktisch gar keine Treibhausgase mehr ausstoßen. Kann das noch gelingen?

Wir kennen die richtigen Strategien, wir wissen, was zu tun ist: ein schneller Ausbau der erneuerbaren Energien und der Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft. Wir müssen die Energie-Effizienz steigern, vor allem durch eine Sanierung der Gebäude und müssen zentrale Rohstoffe stärker im Kreislauf führen. Dafür benötigen wir kürzere Genehmigungsverfahren, weniger Bürokratie und mehr Pragmatismus. Nur dann können wir das Ziel 2045 noch erreichen. Was wir brauchen ist Beschleunigung.

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Die Menschen sorgen sich aber derzeit mehr darum, wie sie durch den Winter kommen. Wenn Energie ein Armutsrisiko wird und die Wohnung kalt bleibt – rückt da die Klimakrise nicht in den Hintergrund?

Ja, die Preise sind aktuell das bestimmende Thema der Menschen, das ist verständlich. Sie erleben an der Strom- und Gasrechnung, wie sich die Kosten vervielfältigen und faktisch explodieren. Dass dies die Tagespolitik und die Sorgen der Menschen bestimmt, ist doch klar.

Und jetzt sollen sie auch noch ihre Häuser energetisch sanieren und ihre Heizungen umstellen?

Ja, und zwar unbedingt, denn nur das hilft, sich in Zukunft unabhängiger zu machen. Man darf die Gebäudebesitzer dabei aber nicht allein lassen, die Politik muss ihnen durch entsprechende Förderinstrumente helfen, dass sie rauskommen aus Öl und Gas. Wir benötigen eine substanzielle Erhöhung der Sanierungsrate, eine Ausbauoffensive für Wärmepumpen, neue Anschlüsse an Nahwärme etc. Dafür braucht es eine Qualifizierungs- und Anwerbeoffensive aber auch neue Technologien wie das serielle Sanieren mit vorgefertigten Materialien. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen nun gemeinsam handeln. Dabei darf der Wandel nicht zu sozialen Verwerfungen führen.

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Stellt die Politik dafür die richtigen Weichen?

Es ist jetzt die große Kunst, schnell zu reagieren, ohne in eine Sackgasse hineinzulaufen, die uns auf fossile Energien über Jahre festlegt. Wenn wir bis 2045 treibhausgas-neutral werden wollen, geht das nicht mit Erdgas. Das bedeutet, dass wenn wir jetzt Flüssiggasterminals in Norddeutschland bauen, dann müssen diese möglichst einfach auf klimaverträglichen Wasserstoff umgerüstet werden können. Wir brauchen eine integrierte Strategie, die Versorgungssicherheit und Klimaschutz zusammen denkt. Dabei kommt es zugute, dass viele Maßnahmen auch dem Klimaschutz dienen. Wir müssen jetzt viele Dinge zugleich anschieben.

Wir verlängern gerade die fossile und atomare Brücke auf dem Weg zur Nachhaltigkeit – mit welchen Folgen?

Es kommt darauf an, für wie lange die schon stillgelegten Kohle- und Ölkraftwerke wieder in Betrieb gehen. Zwei oder drei Jahren kann man womöglich noch gut kompensieren. Man kann sich die Ursache der Erderwärmung vorstellen wie eine Badewanne, die sich langsam füllt. Die Wanne ist die Atmosphäre, das Wasser die Treibhausgase. Wenn wir jetzt schneller einfüllen, muss man später umso schneller den Hahn zudrehen – um im Bild zu bleiben. Es kommt auf das Tempo an, mit dem wir die richtigen Maßnahmen ergreifen.

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Wie optimistisch sind Sie, dass Deutschland das Klimaziel im Jahr 2045 erreicht?

Wir stehen vor riesigen Herausforderungen. Die Bundes- und Landesregierung sind sich dieser auch bewusst und treffen schnell auch mutige Entscheidungen. Dass dabei auch Fehler gemacht werden, ist doch klar. Große Sorgen macht mir allerdings der Verkehrssektor, wo fast nichts passiert ist, da sind die Emissionen seit 1990 eher noch gestiegen.

Ein Ende des Ukrainekrieges ist derzeit nicht abzusehen. Bremst die daraus folgende Energiekrise die Energiewende aus?

Das glaube ich nicht. Kurzfristig führt dies zu mehr Treibhausgasemissionen. Aber vielleicht bedeutet die Krise mittelfristig sogar einen Booster für den Klimaschutz. Von der Energiekrise geht ein zusätzliches Signal aus, jetzt die richtigen Weichen zu stellen – mit Tempo.