Essen. Deutschland erlebt die schlimmste Trockenheit seit 250 Jahren, sagt der Gewässer-Ökologe Daniel Hering. Doch die Lage sei nicht hoffnungslos.
Der Rhein wird zum Rinnsal. Die Binnenschiffer kämpfen mit historisch niedrigen Pegelständen. Doch nicht nur die Wirtschaft spürt die Folgen der Dürre, auch die Natur leidet unter der Trockenheit. Mit Folgen für Pflanzen, Tiere, Menschen und Gewässer. Erleben wir gerade den Beginn dessen, worauf wir uns in Zukunft einstellen müssen? Christopher Onkelbach fragte Prof. Daniel Hering, Professor für Angewandte Hydrobiologie an der Universität Duisburg-Essen. Der Gewässer-Ökologe ist zudem Leiter des europäischen Forschungsprojekts „Merlin“ zur Renaturierung von Gewässern.
Die Rheinpegel fallen auf Tiefststände, wie bedrohlich ist die Lage?
Daniel Hering: Wir erleben die schwerste Dürre seit 250 Jahren. Eine solche Lage hat der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung seit Beginn der Aufzeichnungen noch nicht registriert. Wälder, Landwirtschaft und Gewässer sind davon betroffen.
Ist dieses Jahr ein extremer Ausreißer?
Das wird es in Zukunft immer wieder geben. Solche Dürresituationen sind die neue Normalität. Seit 2018 haben wir mit heißen Sommern zu kämpfen. Die Böden sind ausgetrocknet, Bodenfeuchte, Gewässer und Grundwasser wurden nicht wieder entsprechend aufgefüllt. Vor allem im Osten Deutschland haben wir seit 2018 kontinuierlich ein Wasserdefizit.
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Und hier im Westen?
Hier sieht es etwas besser aus. Das Boden- und Grundwasser hat sich 2020 und 2021 wieder etwas erholt. Aber nun sehen wir wieder eine Extremsituation. Die heißen Sommer führten zu harten, trockenen Böden, die Grundwasserspiegel konnten sich nicht erholen, zugleich verdunstete mehr Feuchtigkeit. An ähnlich niedrige Pegel müssen wir uns daher in Zukunft gewöhnen.
Liegt es nur an fehlendem Niederschlag?
Die Niederschlagsmenge nimmt übers Jahr gesehen nicht ab, sondern bleibt insgesamt etwa gleich. Nur die Verteilung ändert sich. Im Winter fällt etwas mehr Niederschlag, im Sommer dagegen deutlich weniger. Die Sommermonate werden also trockener, wodurch auch der Wasserbedarf steigt.
Was sind die Folgen?
Die Böden sind knochentrocken. Selbst wenn es jetzt heftig regnet, läuft das Wasser nur oberflächig ab und ist weg. Doch die Böden müssten das Wasser aufnehmen können, damit es versickern und das Grundwasser speisen kann.
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Welche Rolle spielt der Mensch dabei?
Wir haben für die hohen Temperaturen und den Klimawandel gesorgt. Zudem gibt es kaum noch natürliche Gewässer. Manche wurden zu Transportautobahnen ausgebaut oder kanalisiert. Das führt dazu, dass das Wasser sehr rasch abtransportiert wird. Es fehlen Schwammstrukturen, die das Wasser länger halten. Wir brauchen Gewässer, die langsam fließen, mäandrieren, mit Mooren, Auenlandschaften und Sümpfen verbunden sind und von dort in Trockenzeiten ihr Wasser bekommen.
Aber große Flüsse und Schifffahrtswege wie den Rhein kann man nicht mehr entsprechend umgestalten…
Das ist richtig, wobei auch am Rhein einige Polder und Auenflächen wieder angeschlossen werden könnten. Aber der Rhein hat viele Nebenflüsse, die man renaturieren kann. Das wird dann auch dem Rhein helfen. So könnte man extreme Niedrigwasser vermeiden. Man kann einiges tun, die Lage ist nicht hoffnungslos.
Welche Maßnahmen können helfen?
Wir müssen unsere Gewässer und ihr Umfeld anders bewirtschaften. Ein Problem ist, dass durch die Hitze das Wasser immer wärmer wird. Daher sollten wir kleinere Gewässer durch Bäume am Ufer beschatten, um sie zu kühlen. Und wir müssen dafür sorgen, dass das Wasser möglichst lange in der Landschaft gehalten wird. Dazu ist auch die Landwirtschaft gefordert.
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Wie meinen Sie das?
Nackte, trockene und verdichtete Böden nehmen kein Wasser auf. Landwirte sollten nach der Ernte Zwischenfruchtanbau betreiben, um die Böden zu begrünen. Das tiefe Pflügen sollte vermieden werden, die Böden sollten nicht verdichtet werden. Das hilft am Ende der Landwirtschaft und dem Grundwasser.
Welche Auswirkungen hat das Niedrigwasser auf Tiere und Pflanzen?
Das Ökosystem verändert sich, die Artenvielfalt nimmt ab. Viele kleine Gewässer trocknen komplett aus, Tiere und Pflanzen sterben. Bei niedrigem Wasserspiegel erwärmen sich Gewässer schneller, dadurch entstehen Algenblüten und es sinkt der Sauerstoffgehalt, was Fischsterben verursachen kann. Arten, die anspruchsloser sind und mit den extremen Bedingungen besser zurechtkommen haben hingegen Vorteile.
Welche Tiere leiden besonders?
Etwa die Bachforelle, eine klassische Kaltwasserart. Oder die Steinfliegen, eine Insektengruppe. Wir sehen seit langer Zeit, dass diese Arten zurückgedrängt werden. Auch die Selbstreinigungsfähigkeit der Gewässer nimmt ab. Wir müssen deshalb langfristig dafür sorgen, dass die Gewässer kühler bleiben.
Hat die Politik die Lage erkannt?
Ich habe das Gefühl, dass die Politik das Problem verstanden hat, aber noch nicht in ausreichendem Maße gegensteuert. Der Wasserwirtschaft ist die bedrohliche Lage hingegen völlig klar, aber in der Landwirtschaft geht es zu langsam vorwärts, weil viele Interessen im Spiel sind. Doch die Landnutzung muss sich ändern durch Maßnahmen, die Versickerung fördern.
Gibt es auch positive Beispiele?
Ja, der Emscher-Umbau ist eine Erfolgsgeschichte, auch die Renaturierung der Ruhr bei Arnsberg. Es gibt viele gute Einzelprojekte, doch es fehlt eine flächendeckende Strategie.
Bei der Nutzung von Gewässern gibt es zahlreiche Interessenkonflikte. Wie lassen sie sich lösen?
Die Gewässer dienen als Trinkwasserreservoir, zunehmend zur Bewässerung von Feldern, als Transportwege, zur Kühlung von Kraftwerken, als Erholungsraum und Ökosystem. Dies unter einen Hut zu bringen, war schon immer schwierig. Je weniger Wasser vorhanden ist, desto stärker spitzen sich die Konflikte zu. Aber man kann Kompromisse finden. Denn was den Gewässern hilft, dient am Ende allen Nutzern.
Wie optimistisch sind Sie, dass ein Umdenken stattfinden wird?
Ich hoffe, dass die Krise als Chance genutzt wird. Mitentscheidend für eine Verbesserung der Situation unserer Gewässer ist die Landwirtschaft. Hier etwas zu bewegen, wird schwer. Ich bin verhalten optimistisch, weil es viele gute Ansätze gibt.