Düsseldorf. Bei der Inneren Sicherheit hat sich die CDU durchgesetzt, die Grünen bescheren NRW die Solarpflicht und viel mehr Windräder.

„CDU und Grüne wollen Gegensätze überwinden und neue Brücken bauen“, sagte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages. Kern des 146 Seiten starken Papiers ist das Ziel, NRW zum „ersten klimaneutralen Industriestandort Europas“ zu machen. Hier und an anderen Stellen wird klar, dass gerade die Grünen in den vergangenen drei Wochen gut verhandelt haben. Ein Überblick über die Kompromisse:

Windkraft und Solarenergie:

Die Grünen haben eine ihrer zentralen Forderungen durchgesetzt: Der pauschale 1000-Meter-Abstand zwischen Windkraftanlagen und Wohnbebauung, an den sich CDU und FDP regelrecht geklammert hatten, wird abgeschafft. Allerdings stufenweise, rechtssicher und wenn möglich nicht über die Köpfe der Anwohner hinweg. „Wir werden Fläche zur Verfügung stellen, dass Windenergieanlagen ausgebaut werden können“, versprach Grünen-Verhandlungsführerin Mona Neubaur. Sie meint vor allem geschädigte Wälder (Kalamitätsflächen) sowie Industrie- und Gewerbegebiete. CDU und Grüne möchten prüfen, ob Betreiber von Windenergieanlagen zu Abgaben an die Kommunen und zur Gewinnbeteiligung von Bürgern verpflichtet werden können. Ziel sind mindestens 1000 zusätzliche Windräder in fünf Jahren.

Durchgesetzt haben sich die Grünen auch bei der Solarpflicht, die schrittweise eingeführt wird: Ab dem 1. Januar 2023 für alle neuen öffentlichen Liegenschaften, ab dem 1. Januar 2024 für alle gewerblichen Neubauten, für private Neubauten ab dem 1. Januar 2025. Ab dem 1. Januar 2026 gilt die Solarpflicht auch für private und gewerbliche Gebäude, bei denen eine Dachsanierung durchgeführt wird.

Braunkohle:

CDU und Grüne halten am Kohleausstieg bis 2030 fest. Alle Dörfer des so genannten dritten Siedlungsabschnittes des Braunkohletagebaus Garzweiler sollen nicht mehr abgebaggert werden. Dennoch droht der künftigen NRW-Regierung ein Konflikt, der besonders die Grünen durchschütteln könnte. Denn der vom Abrissbagger bedrohte Ort Lützerath, der zum zweiten Umsiedlungsabschnitt gehört, bekommt keine Bestandsgarantie. Schwarz-Grün will offenbar den Energiekonzern RWE nur bitten, Lützerath zu verschonen. Ausgang ungewiss.

Innere Sicherheit:

Hier trägt der Vertrag die Handschrift der Union. „Wir halten Kurs. Es bleibt bei der Null-Toleranz-Linie gegen Kriminelle“, stellt Hendrik Wüst klar. Die künftige Regierung will jährlich 3000 zusätzliche Polizeikräfte einstellen. Für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität werden „noch mehr Personal und Geld“ zur Verfügung stehen. Der aus Sicht der CDU besonders wichtige Kampf gegen die Clan-Kriminalität kann unter Bedingungen fortgesetzt werden.

Der Einsatz von Elektroschockpistolen (Taser) bei der Polizei wird bis 2024 weiter getestet und wissenschaftlich begleitet. Diese Geräte sollen künftig mit Körper-Kameras (Bodycams) gekoppelt werden, die automatisch alles aufzeichnen.

Das umstrittene Versammlungsgesetz wird Ende 2023 unabhängig und wissenschaftlich evaluiert.

Schule, Kita und Bildung:

„Wir werden auch das dritte Kita-Jahr vor der Einschulung in ganz NRW beitragsfrei machen“, steht im K-Vertrag. Bisher sind die beiden letzten Betreuungsjahre kostenlos.

Die künftigen Regierungspartner halten ihr Versprechen, die Eingangsbesoldung für alle Lehrämter auf A13 anzuheben und schrittweise auch „Bestandslehrkräfte“ an diese Besoldung heranzuführen. Bisher werden Lehrerinnen und Lehrer an Grund-, Haupt-, Real- und Gesamtschulen schlechter bezahlt als Lehrer der gymnasialen Oberstufe. Lehrergewerkschaften lobten am Freitag diesen Teil des Koalitionsvertrages.

In den kommenden fünf Jahren sollen 10.000 zusätzliche Lehrkräfte eingestellt werden. Die Lehrergewerkschaft GEW bezweifelt aber, dass dies möglich ist.

Die Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen ist laut Koalitionsvertrag eine „Aufgabe aller Schulen“.

Straßenbau und Verkehr:

Hier haben sich auf den ersten Blick die Grünen durchgesetzt, denn der Erhalt von Straßen und Brücken soll Vorrang vor dem Neubau bekommen. Allerdings wird dabei wohl nicht so heiß gegessen wie gekocht. „Die Landesstraßen-Planungen laufen weiter“, stellte Hendrik Wüst klar. Straßenbau-Projekte, die schon vorbereitet sind, könnten realisiert werden. Planungen und Genehmigungen von Straßen, aber auch der Häuserbau und der Ausbau erneuerbarer Energien sollen nach dem Willen von CDU und Grünen beschleunigt werden.

Der Öffentliche Nahverkehr steht vor einem „massiven Ausbau“, vor allem auf dem Lande. „Bis zum Ende der 2020-er Jahre wollen wir das ÖPNV-Angebot um mindestens 60 Prozent erhöhen“, sagte Wüst. Schwarz-Grün hat sich außerdem vorgenommen, bis 2027 insgesamt 1000 Kilometer neue Radwege bauen zu lassen. Bis 2027 soll NRW ein flächendeckendes Schnellbusnetz bekommen, ergänzend zum Schienenverkehr.

Die von Flughafen Düsseldorf angestrebte und von lärmgeplagten Anwohnern abgelehnte Kapazitätserweiterung dürfte möglich sein. Eine Ausweitung von Nachtflügen solle es in Düsseldorf nicht geben, in Köln/Bonn soll der Passagiernachtflug reduziert werden.

Wahlrecht:

CDU und Grüne beabsichtigen, das Wahlrecht zur Landtagswahl auf 16 abzusenken. Der Vorstoß der Grünen, das Ausländerwahlrecht zu erweitern, hatte keinen Erfolg.

Umwelt- und Naturschutz

Schwarz-Grün verfolgt konkrete Pläne gegen den Flächenverbrauch. „Das Prinzip der Flächensparsamkeit soll Leitschnur unseres Regierungshandelns sein“, heißt es. Das Ziel: den Flächenverbrauch im Landesentwicklungsplan zeitnah auf fünf Hektar pro Tag zu reduzieren

Harte Maßnahmen gegen den umstrittenen Kies- und Sandabbau kündigen CDU und Grüne nicht an. Der Bedarf wird nur mit einem „Rohstoffbarometer“ etwas transparenter gemacht.

Wohnen:

Von einer harten Mietpreisbremse ist nicht die Rede. Der Vertrag bleibt an dieser Stelle schwammig. Die Mieterschutzverordnung soll „zeitnah“ auf der Basis eines Gutachtens erneuert werden. Bis 2027 sollen mindestens 45.000 neue Sozialwohnungen entstehen.

Wichtig fürs Ruhrgebiet:

CDU und Grüne kündigen eine „substanzielle Lösung für die Altschulden in NRW“ an – ein Hoffnungsschimmer für die armen Revierstädte. Die von Schwarz-Gelb begonnene „Ruhrkonferenz“ soll fortgeführt und ausgebaut werden. Brach liegende Flächen sollen unbürokratisch reaktiviert werden können.