Düsseldorf. Die Landesregierung lässt vorerst offen, wie sie sich die Entschuldung der Städte vorstellt. Sie hofft auf eine Initiative des Bundes.

Manche Städte in NRW sind reich, andere eher klamm, einige bettelarm. Letztere liegen vor allem im Ruhrgebiet und haben Schulden angehäuft, die sie aus eigener Kraft wohl nie ganz tilgen können. Allein Bochum zahlt in diesem Jahr 30 Millionen Euro Zinsen, hat fast 1,8 Milliarden Euro Schulden angehäuft. Die Hoffnung der Städte auf ein eigenes NRW-Landesprogramm zur Entschuldung wurde am Mittwoch im Landtag enttäuscht.

NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) lässt sich beim Thema Altschulden einfach nicht in die Karten gucken. Zwar steht im nun fast fünf Jahre alten Koalitionsvertrag von CDU und FDP, dass die „Altschuldenproblematik“ einer Lösung bedürfe. Die Lösung ist aber noch nicht einmal skizziert, und in gut fünf Wochen wird schon die nächste Regierung gewählt.

Die Frage ist: Was kommt vom Bund?

„Wir sind in der Erwartungshaltung: Was kommt vom Bund?“, sagte die Ministerin in einer Aktuellen Stunde. Was sie selbst anstrebt, bleibt vage: Die CDU in NRW fordere in ihrem Wahlprogramm eine große Lösung für die Entschuldung und mehr Investitionen in die Städte, hieß es.

Die Frage „Was kommt vom Bund?“ ist berechtigt, denn die „Ampel“-Regierung sagt in ihrem Koalitionsvertrag zu, dass sie ihren Teil zur Altschuldenlösung beitragen möchte. Die Regierung aus SPD, Grünen und FDP spricht von einer „einmaligen Kraftanstrengung von Bund und Ländern“.

Andere Länder preschen mit eigenen Initiativen vor

Auffällig ist aber: Andere Bundesländer mit hoch verschuldeten Städten sind längst nicht so zögerlich wie NRW. Hessen hat zum Beispiel eine Teilentschuldung der Städte mit der so genannten „Hessenkasse“ geschafft. Saarland hat eine Milliarde Euro und damit mehr als die Hälfte der städtischen Liquiditätskredite übernommen. Das sind Kredite, die aufgenommen werden, um zahlungsfähig zu bleiben. Sozusagen Schulden, um Schulden zu bezahlen und nicht, um Kindergärten zu bauen. Die NRW-Städte drücken Liquiditätskredite von fast 23 Milliarden Euro.

Kommunalfinanzexperte Prof. Martin Junkernheinrich, der im Auftrag der SPD eine Studie zum Schuldenabbau der NRW-Städte geschrieben hat, versteht nicht, warum ausgerechnet das Land, in dem die Dichte der Schuldenstädte am größten ist, nicht selbst die Initiative ergreift. „Kein Land würde von einer Altschuldenlösung so sehr profitieren wie NRW“, sagt er.

Bündnis "Für die Würde unserer Städte" protestiert vor dem Landtag

SPD-Kommunalexperte Stefan Kämmerling warf der Landesregierung vor, sich bisher „0,0“ um die drückenden Altschulden von Städten wie Mülheim, Oberhausen oder Essen gekümmert zu haben. Während draußen vor dem Landtag Vertreter des Schuldenstadt-Aktionsbündnisses „Für die Würde unserer Städte“ protestierten, habe Ina Scharrenbach eine Rede gehalten, die „kälter als die Antarktis“ gewesen sei.

Das Bündnis ließ auf der Wiese vor dem Parlament einen Gasballon schweben. Aufschrift: „Weg mit dem Altschulden-Ballast – und NRW hebt ab“. Vor wenigen Tagen traf eine hochrangige Ruhrgebiets-Delegation in Berlin führende Regierungsvertreter und Fraktionsspitzen. Es ging auch um die Altschulden.

Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) sieht wegen der Schulden die „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ in Gefahr. „Die Altschulden sind wie eine tickende Zeitbombe“, warnte Hans-Willi Körfges (SPD).

Regierung: Den Städten geht es heute besser

Ina Scharrenbach macht eine andere Rechnung auf: Insgesamt gehe es den NRW-Städten heute besser als vor fünf Jahren. Sie hätten Überschüsse von 8,3 Milliarden Euro erzielt. Allein in diesem Jahr habe die Regierung der „kommunalen Familie“ 30 Milliarden Euro Fördermittel gegeben. In „irre hoher Weise“ hätten die Städte zusätzliches Geld zum Beispiel für Corona-Tests in Schulen und Kitas oder für Einnahme-Ausfälle im Nahverkehr erhalten. Und das Gewerbesteuer-Aufkommen habe im Jahr 2021 höher gelegen als im Vor-Corona-Jahr 2020.

Henning Höne (FDP) unterstrich, dass die vergangenen fünf Jahre finanziell „gute Jahre“ für die NRW-Kommunen gewesen seien, zumal der Bund seinen Anteil an den Kosten der Unterkunft für Sozialhilfeempfänger deutlich erhöht habe.

Zwar sei eine „gemeinsame Kraftanstrengung“ zwischen Bund, Ländern und Kommunen zum Altschuldenabbau nötig. Es bedürfe dann allerdings auch einer besseren kommunalen Aufsicht, um eine hohe Neuverschuldung zu verhindern. Die Kommunen müssten auch ihren eigenen Anteil für den Schuldenabbau leisten, so Höne. „Einen bloßen Schuldenschnitt lehnen wir ab.“

Nächste Krise in Sicht

Die Folgen der Pandemie und die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine dürften die Haushalte der Kommunen weiter massiv belasten. Der Ukraine-Krieg mit seinen Flüchtlingsströmen könnte für NRW die „vierte kommunale Finanzkrise“ in den vergangenen 20 Jahren bedeuten, warnt Prof. Martin Junkernheinrich. Zudem drohe eine Zinswende.

Ihren Höhepunkt erreichten die Liquiditätskredite deutscher Kommunen im Jahr 2015 mit 50,4 Milliarden Euro. Bis Ende 2020 konnten davon 15,4 Milliarden Euro abgebaut werden, in NRW 4,9 Milliarden Euro.